Der Mittlere Weg

Einleitung

Der Mittlere Weg – Das Thema dieses Newsletters ist der Mittlere Weg, wie er vom Buddha definiert wurde. Es besteht aus drei Teilen mit dem Titel: Rechte Entschlossenheit, Die Kunst des Lebens, Leben und Tod.

Die Kunst des Lebens und Rechte Entschlossenheit können als die zwei Seiten einer Münze betrachtet werden. Rechte Entschlossenheit bedeutet, nicht vom Mittleren Weg abzuweichen, weder in die Welt der sinnlosen Sinnlichkeit noch in deren Gegenteil, die Welt der sinnlosen Selbstverleugnung. Auch die Kunst des Lebens folgt dem mittleren Weg zwischen den zwei Extremen der sinnlosen Sinnlichkeit und sinnlosen Selbstverleugnung. Der Mittlere Weg ist Buddhas Rezept, um den Kreislauf von Samsāra zu durchbrechen, diese leidvolle Wiederholung von Geburt, Alter und Tod, die wir fälschlicherweise für das wahre Leben halten.

Rechte Entschlossenheit ist ein Auszug aus dem entstehenden Buch von Robert mit dem Titel Der Edle Achtfache Pfad. Die Kunst des Lebens ist die Überschrift eines Dharma-Vortrags, den Agetsu kürzlich an einem Tagesretreat präsentiert hat. Er basiert auf dem Bild und dem Text für den Monat Mai im Kalender 2019 des Zentrums für Zen-Buddhismus. Leben und Tod enthält einige Zitate aus Vorträgen von Zen-Meister Sokei-an, die einen direkten Bezug herstellen zum aktuellen Leben aus der Perspektive eines Menschen, der den Mittleren Weg nicht nur theoretisch verstanden, sondern in seinem eigenen Leben verwirklicht hat. Die Zitate sind dem Buch Sokei-an’s Weisheit entnommen, aus der Schriftenreihe Der Springende Punkt.

Wir hoffen, dass Ihnen diese Lektüre etwas sagt und wünschen Ihnen einen erlebnisreichen Sommer auf dem Mittleren Weg.

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RECHTE ENTSCHLOSSENHEIT

Rechte Entschlossenheit ist ein Element des Edlen Achtfachen Pfades. Sie bezieht sich auf:

• Aufgeben
• Freiheit von Böswilligkeit
• Gewaltlosigkeit

Entschlossenheit wird definiert als Absicht, Bestreben, Entschluss, Ernsthaftigkeit, Festigkeit, Intention, Kühnheit, Mut, Plan, Unerschütterlichkeit, Vorsatz, Wille, Zielstrebigkeit.

Rechte Entschlossenheit kann man als generelle Antriebskraft betrachten. Sie ist charakterisiert durch Tun ohne Tun, Einstellung ohne Einstellung, Absicht ohne Absicht. Nicht-Tun, Nicht-Einstellung, Nicht-Absicht sind ichlose Zustände. Es gibt kein «ich» darin. Echter Mut ist ichlos. Rechte Entschlossenheit ist der kleine Zwerg, der einem auf der Schulter sitzt und fortwährend wiederholt: «Tu’s einfach!», und zwar lauter und eindringlicher als Māra, der Verführer, der auf der anderen Schulter sitzt und einem ständig ins Ohr flüstert: «Tu’s einfach nicht!»

Wenn man den Vorsatz fasst, etwas zu tun und es einem ernst ist dabei, dann kann man beobachten, wie sich alles wandelt: die eigene Person, der Lebensstil, das Denken, die Weltanschauung, die Philosophie; alles verändert sich. Dieses Entschlossenheit, dieser Mut, kommt nicht mit Hilfe einer roten oder blauen Pille zustande. Es ist keine «Macho»-Sache. Es ist kein «Sieh’ mich an, ich meditiere.» Es ist kein «Sieh’ mich an, ich lebe vegetarisch.» Es ist Tun im Nicht-Tun. Rechte Entschlossenheit blüht nur dort, wo das Ich-Scheinwerferlicht nicht eingeschaltet ist; wenn man beginnt, sich selbst ohne Filter zu sehen, ohne Fantasie, ohne Lügen.

Die Fähigkeit, sich ungefiltert zu sehen, ist schon immer da. Wir bemerken sie jedoch nicht, weil wir zu sehr in unsere Selbstgespräche verwickelt sind. Wir sehen sie nicht, weil unsere Augen immer nach aussen schauen und nicht oft genug nach innen. Es ist durchaus möglich, die Erfahrung der festen Zielstrebigkeit zu machen. Und wenn man nicht versucht, sie den eigenen flüchtigen Wünschen anzupassen, geht alles gut.

«Warum lächelst du?», fragte ich meinen Tram-Kameraden, als wir uns für die halbstündige Fahrt zur Arbeit niederliessen.

«Gestern habe ich mich im grossen Spiegel genau angeschaut. Ich stellte fest, dass mein mentales Körperbild von mir selbst nicht mit der physischen Realität meiner Körperform übereinstimmt», antwortete er noch immer lächelnd.

«Und jetzt planst du, etwas dagegen zu tun.», sagte ich, seinen Satz für ihn zu Ende führend.

«Ja, das ist mein Plan. Ich habe den Entschluss gefasst, etwas gegen meine physische und psychische ‹Un-Fitness› zu tun», antwortete er.

«Und wie willst du vorgehen? Wirst du dich in einem Fitnessstudio anmelden und eine strikte Diät einhalten und … und … und?» Die Fragen sprudelten nur so aus meinem Mund.

«Stop, stop, du greifst vor», unterbrach er mich, «ich weiss nicht, ob ich einem Klub beitreten oder eine Diät machen werde oder so etwas Ähnliches. Ich versuche es auf eine andere Art. Jedenfalls ist es eine andere Art für mich», sagte er.

Dann fuhr er fort: «Wie du weisst, habe ich mich ziemlich stark mit der Lehre Buddhas befasst. Eine davon ist der sogenannte Edle Achtfache Pfad. Diese Lehre ist darauf ausgerichtet, die Buddhaschaft durch eigenes Bemühen zu erlangen. Eines der Elemente dieses Pfades heisst ‹Rechte Entschlossenheit› oder ‹Rechter Vorsatz›. Ich dachte, bevor ich mich auf Diäten und Körperübungen oder andere Foltermethoden, die normalerweise vorgeschlagen werden, einlasse, könnte ich mir eine Basis für mein Unternehmen bilden mit einer guten Portion von Rechter Entschlossenheit.»

Ich stellte ihm die offensichtliche Frage: «Und was ist Rechte Entschlossenheit?»

«Rechte Entschlossenheit beinhaltet drei Komponenten: Aufgeben, Freiheit von Böswilligkeit und Gewaltlosigkeit. Ich denke, wenn ich diese Elemente auf mein psychologisches Ich anwende, sollte sich dies auch auf mein körperliches Ich auswirken. Ich denke, dass Rechte Entschlossenheit zusammen mit den sieben anderen Faktoren des Edlen Achtfachen Pfades zu einem gesunderen Leben führen kann, sowohl körperlich als auch seelisch.»

«Das scheint mir ein bisschen kompliziert», wagte ich einzuwenden.

«Ja, mir auch, aber da ist etwas in Buddhas Edlem Achtfachen Pfad, das mich anspricht. Ich werde dich von Zeit zu Zeit wissen lassen, wie es geht.»

«Hmm», sagte die Stimme in meinem Kopf, «vielleicht ist da etwas dran. — Schlechte Gewohnheiten aufgeben, ohne persönliche Beschuldigungen, ohne Schuldgefühl produzierende Selbstanklage, ohne Gewaltanwendung. Dies als Basis für die anderen Verhaltenselemente, die zu einer Veränderung des Lebensstils führen. — Ok. Abwarten und sehen.»

Der Edle Achtfach Pfad

Aufgeben

Im Buddhismus wird für «Aufgeben» das Paliwort Nekkhamma verwendet. Genau genommen bedeutet es «Die Welt aufgeben und ein heiliges Leben führen» oder «Freiheit von Lust, Gier und Hass».

Man sollte sich von den Worten «Die Welt aufgeben und ein heiliges Leben führen» nicht abschrecken lassen. «Die Welt aufgeben» heisst nicht, dass man irgendwo in eine Höhle kriecht und den Eingang mit einem Felsen verstellt. Denkt daran, der Buddha versuchte diese Art von Entsagung und befand sie als kontraproduktiv. Man muss in der Welt sein, damit man die Welt aufgeben kann. Richtig? Und «ein heiliges Leben» hat nichts mit Sack und Asche zu tun.

«Die Welt aufgeben» sollte verstanden werden als «In der Welt, aber nicht von der Welt sein.» Wie zum Beispiel, nicht gleich zu sabbern anfangen, wenn man erfährt, dass bald ein neues elektronisches Spielzeug auf den Markt kommt.

«Ein heiliges Leben führen» ist im Sinne des Edlen Achtfachen Pfades zu verstehen und bedeutet, dessen Elemente in sich selbst zu verwirklichen. Das hat nichts zu tun mit der Fähigkeit, auf dem Wasser zu gehen oder der Ausführung von esoterischen Ritualen. Es hat ausschliesslich mit Weisheit und tätigem Mitgefühl zu tun. Wir alle könnten dies verwirklichen, vorausgesetzt, wir haben den Mut dazu.

Man beginnt damit, die eigene angeborene Intelligenz zu benutzen, um durch dieses Leben zu navigieren. Man spielt das Spiel nicht gemäss der Werbeslogans von anderen. Man richtet seine Lebensbahn nach den Wegmarken aus, die durch die Elemente des Edlen Achtfachen Pfades gesetzt sind.

Das Leben in dieser Realität als Mensch bietet eine Gelegenheit, aus dem Kreislauf von Geburt und Tod auszubrechen, indem man das Verlangen nach allem Möglichen aufgibt und die mentalen und materiellen Schränke ausräumt, die voller Überbleibsel alter Begehren sind.

«Aufgeben bedeutet, zu erkennen, dass unsere nostalgische Sehnsucht nach einem Aufenthalt in einer geschützten, begrenzten, trivialen Welt wahnwitzig ist. Wenn man einmal das Gefühl für die Grösse und Weite der Welt und unser enormes Potential für echte Lebenserfahrung kennengelernt hat, dann beginnt man zu verstehen, was Aufgeben bedeutet. In der Sitzmeditation spürt man den Atem ein- und ausgehen und man empfindet eine Art Bereitschaft, sich dem gegenwärtigen Augenblick zu öffnen. Dann wandern die Gedanken zu allen möglichen Geschichten, Fantasien und eingebildeten Realitäten und man sagt zu sich selbst: ‹Das ist Denken.› Wir sagen dies sehr sanft, aber sehr entschieden. Jedesmal wenn wir willens sind, die Handlung einer Geschichte abzubrechen, und jedesmal, wenn wir willens sind, am Ende jedes Ausatems alles gehen zu lassen, dann wissen wir, was echtes Aufgeben ist, nämlich: lernen, wie man Festhalten und Zurückhalten aufgibt.»

— Pema Chödrön: Renunciation — Like a Raven in the Wind; Tricycle, Herbst 1991

Freiheit von Böswilligkeit

Böswilligkeit bezieht sich auf Gedanken voller Feindseligkeit, Ressentiments, Hass und Bitternis. Böswilligkeit kann man gegen sich selbst oder gegen andere richten oder als von aussen kommend erfahren. Richtet sie sich gegen einen selbst, dann manifestiert sie sich u.a. als Schuldgefühl. Dies ist eine Massenvernichtungswaffe. Sie durchwebt den Stoff des ganzen Lebens und verleiht der Persönlichkeit eine Dimension, der schwer zu entkommen ist.

Mit zunehmender Achtsamkeit und rechter Meditation wird man unweigerlich auf die eigene Böswilligkeit aufmerksam. Wenn dies geschieht, erkenne man sie als das, was sie ist. «Ja, so bin ich.» Beobachte die entsprechenden Gedanken wie sie wachsen, leben und sterben. Beobachte, was die Verlängerung ihres Lebens fördert. Beobachte, was ihren Tod vorantreibt. Tue dies oft genug, dann wirst du feststellen: Je schneller du «das Programm wechselst», d.h. zum gegenwärtigen Moment zurückkehrst, desto schneller stellt sich im Geist Stille ein. Böswilligkeit gehört zum Gestern. Wir lieben es zwar, im Gestern zu leben, aber die Zeit vergeht.

«Wirst du zur Pensionierungsparty von D. gehen?», fragte mein Freund nachdem wir uns im Tram Nr. 7 gesetzt und den ersten Schluck Kaffee aus dem Papierbecher getrunken hatten.

«Nicht, wenn ich es vermeiden kann», antwortete ich.

«Oh, ich dachte, ihr versteht euch gut», lachte mein Kollege.

«Stimmt, wir verstehen uns gut, solange wir uns aus dem Weg gehen», antwortete ich. Und fuhr fort: «Ich habe nie jemanden gekannt, der so negativ, so bitter, so feindselig ist. Man kann kein Wort zu ihm sagen, ohne dass er irgend etwas Gehässiges zurückspuckt. Wenn er in ein Zimmer kommt, sinkt die Temperatur um zehn Grad, die Gespräche enden und die Leute suchen automatisch das Weite.»

Mein Freund nickte zustimmend. Dann sagte er: «Weisst du, es gab einmal eine Zeit, in der ich ernsthaft daran interessiert war, den Mann kennenzulernen.»

«Und?», riskierte ich zu fragen.

«Ein Zeit lang hielt ich beim Lunch in der Cafeteria Ausschau nach ihm. Es gab immer genügend freie Plätze an seinem Tisch. Mit ihm zu reden, war kein Problem. Er redet gerne. So sehr, dass ich meistens viel schneller fertig war mit Essen als er. Er gab sich sehr zivilisiert, aber es lag immer eine Schärfe in seinen Worten. In seiner Welt war alles eine «Schweinerei». Selbst wenn wir bloss über das Wetter sprachen, z.B. wie ungewöhnlich nass es in dieser Jahreszeit war, er vermittelte das Gefühl, die Nässe sei direkt gegen ihn persönlich gerichtete. Manchmal waren seine Argumentationen überzeugend, so dass ich nach einer gewissen Zeit dachte, vielleicht habe er recht. Dann änderte ich meine Zeit für die Mittagspause.»

«Und du, gedenkst du, zur Party zu gehen?», fragte ich meinen Kaffee-Partner? «Ja klar, natürlich werde ich gehen», lautete seine Antwort.

«Aber warum? Jetzt hast du mir doch soeben erzählt, dass dein Sozialisierungsprogramm mit ihm gescheitert ist.»

«Ich will seiner Bitterkeit keine Nahrung bieten, indem ich seiner Party fernbleibe», antwortete er mit einer gewissen Ernsthaftigkeit.

«Oh, das ist interessant. Vielleicht begleite ich dich. So können wir beide gemeinsam auf seinen Abgang anstossen mit einem Doppelten von was auch immer serviert wird», sagte ich.

Der Edle Achtfach Pfad

Gewaltlosigkeit

Gewaltlosigkeit manifestiert sich, sobald man die Schönheit von Rechter Sicht, Rechtem Reden, Rechtem Handeln, Rechtem Lebensunterhalt, Rechtem Bemühen, Rechter Entschlossenheit, Rechter Achtsamkeit und Rechter Meditation entdeckt.

Gewaltlosigkeit blüht auf, sobald die Wurzeln der Begierden absterben.

Mit Gewaltlosigkeit wird man menschlicher und weniger barbarisch. Man ist für andere und für sich weniger bedrohlich, wenn man weniger Schaden verursacht. «Mensch und Tier» beide akzeptieren einen auf der Basis von Liebe und nicht auf der Basis von Angst, wenn man weniger gewalttätig ist. Man muss nicht vorgeben, jemand oder etwas zu sein. Man handelt in Harmonie mit dem, was ist und nicht gemäss den Vorstellungen, was sein sollte. Wieviel mehr Begründung braucht es, um Gewaltlosigkeit zu kultivieren?

«Sie allein sind sehend, die die Ehegefährten anderer wie ihre eigenen Eltern betrachten; den Reichtum anderer wie einen Haufen Erde und Steine; jedes Lebewesen wie sich selbst.» — Smrti

DIE KUNST DES LEBENS

Der Kalender des ZZB zeigt für den Monat Mai 2019 zwei Hände, die ein Tongefäss formen. Im Begleittext steht: «Das Leben ist eine Kunst — Der Mittlere Weg».

mai

Um es gleich vorwegzunehmen, der Mittlere Weg ist einer der bekanntesten Begriffe des Zen-Buddhismus, aber kaum jemand versteht, was er wirklich ist.

Auch Kunst wird sehr oft mit Zen in Verbindung gebracht: Auf dem Büchermarkt finden sich Titel wie: Zen in der Kunst des Bogenschiessens, Zen und die Kunst des Putzens, Zen und die Kunst der Gelassenheit, … der Vogelbeobachtung, …ein Pferd zu reiten, um nur einige zu nennen. Und natürlich der berühmte Bestseller aus den 1960er Jahren: Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten.

Dann gibt es die diversen «Künste», die direkt aus der Meditationspraxis des Buddhismus entstanden sind und als selbständige Wege oder als wichtiger Bestandteil der Zen-Übung praktiziert werden. Dazu gehören z.B. die Kunst der Kalligraphie und der Tuschmalerei, die Kunst des

Blumensteckens (Ikebana), der Tee-Weg, die Garten-Kunst sowie viele sogenannte Kampfkünste wie Judo, Aikido, Kendo und einige mehr.

All dies hat aber nichts mit dem zu tun, worüber ich heute spreche. Heute geht es um die Kunst, das eigene Leben mit Weisheit und Einsicht so zu führen, dass wir nicht in den Sumpf von Missgunst, Verzweiflung und ewigem Streit mit uns selbst und anderen versinken.

Wie wir alle wissen, ist die Menschheitsgeschichte voll von angepriesenen Heilswegen. Diese gehen vom einen Extrem der absoluten Weltverneinung und strengen Askese bis ins andere Extrem von absoluter Genusssucht nach dem Motto: Hole aus dem Leben heraus, was du kannst. Einige propagieren die Unterwerfung und den absoluten Gehorsam unter den Willen irgendeiner fiktiven Göttlichkeit, andere suchen das Heil bei den Ahnen oder Geistern einer anderen Welt, wiederum andere propagieren die rücksichtslose Durchsetzung der eigenen Wünsche und Macht.

Was wir wohl alle gemeinsam haben: Wir suchen nach dem Weg zum Glück. Nur wird das Glück ganz unterschiedlich definiert.

Für die Buddhas sowie alle authentischen Zen-Meister und alle erwachten Weisen dieser Welt ist es sonnenklar, dass das, was wir suchen, wenn wir nach einem «glücklichen» Leben suchen, nicht zu finden ist. Sie warnen vor den Extremen und ermuntern uns, dem Mittleren Weg zu folgen, den der Buddha aufgezeigt hat und den sie alle auf ihre Art und Weise selbst auch gefunden haben.

Was ist dieser Mittlere Weg?

In einem seiner Vorträge für seine westlichen Zuhörer, die, wie wir auch, kaum etwas vom Buddhismus, geschweige denn vom praktischen Zen verstanden haben, betonte Sokei-an, dass man sich unter einem «mittlerem» Weg keine falschen Vorstellungen machen soll. Er sagte: «Die Mitte ist nicht dasselbe wie ein Mittelmass. Es ist nicht ein bisschen von dem und ein bisschen von jenem. Gemeint ist die Mitte zwischen zwei Extremen. Die Extreme sind z.B. gut und nicht-gut, schlecht und nicht-schlecht oder freundlich und unfreundlich. Übertriebene Freundlichkeit und Unfreundlichkeit sind Extreme. Das Mittelmass wäre dann mittelfreundlich. Aber das ist nicht dasselbe, wie Buddhas Mittlerer Weg. Auf dem Mittleren Weg ist man wie ein Fechter, der gegen zwei Feinde kämpft. Einmal schlägt man das Schlechte, dann das Gute.»

Später präzisierte er: «Es ist der Standpunkt von weder-gut-noch-schlecht. Man versteht und benutzt beides…» Und er fügte hinzu: «Selbst angesichts des blanken Schwertes bleibt der Geist ruhig. Selbst angesichts des Giftbechers bleibt der Geist unerschütterlich.»

Dies ist der springende Punkt: Der wahre mittlere Weg ist der unerschütterliche Sitz in der Mitte, in der Nabe des Rades, im Auge des Sturms. Und die Kunst ist es, in der Mitte zu weilen, aus der Mitte zu handeln, egal, was rechts und links und oben und unten passiert.

Diese Haltung wird symbolisiert durch das in Asien sehr bekannte Stehaufmännchen, in der Gestalt von Bodhidharma, dem Urvater der Zen-Meditation. Man kann die Figur drehen und wenden wie man will, dank der «Kraft der Mitte» kommt sie immer in die aufrechte Haltung zurück.

Der Mittlere Weg ist kein Abwägen zwischen zwei Übeln, um dann das kleiner zu wählen. Es ist kein politischer Kompromiss, der beide Seiten unbefriedigt zurücklässt und in jeder neuen Situation neu ausgehandelt wird. Der mittlere Weg ist überhaupt kein Handel, weder mit sich sich selbst noch mit dem Schicksal.

Wir haben gehört, der Mittlere Weg sei eine Lebenskunst und auf dem Kalenderblatt, sehen wir Hände, die ein Gefäss modellieren. Die Töpferscheibe sehen wir nicht, aber wir wissen, dass es dieses sich drehende Element braucht, um eine runde, ausgewogene Form zu gestalten. Eine

Form, die einen inneren Raum umschliesst, der durch die dünne Schicht aus Ton vom universalen Raum sozusagen abgetrennt wird.

Wenn man die Hände betrachtet, kann man die Konzentration, Sorgfalt aber auch die Ruhe spüren, die sich in den Fingerspitzen bündeln.

Diese Konzentration hat ihre Quelle in der Sammlung in der Mitte. D.h. die Person, die das Werk schafft, ist ganz gesammelt, von keinen Gedanken oder äusseren Eindrücken abgelenkt, völlig eins mit dem Ton, der sich unter ihren Fingern bewegt. Es ist ihre Intention, die Ausrichtung ihres Willens, die eine bestimmte Form schafft. Das ist aber kein Wille, der dem Ton etwas aufzwingt; es ist ein Spüren und Formen im Einklang mit dem materiellen Stoff und der Bewegung der Töpferscheibe. Kurz: Es ist ein Tun ohne etwas zu tun.

Tun ohne Tun, Tun im Nicht-Tun ist das Prinzip des mittleren Weges. Das ist es, was entschlossene Zen-Praktizierende tagein tagaus üben.

Aktivität und Passivität sind in unserem gewöhnlichen Denken und Leben zwei Gegensätze, die sich ausschliessen. Entweder man ist aktiv, man tut etwas, oder man ist passiv und lässt alles geschehen. Aber wie ist es, wenn man weder aktiv noch passiv ist, weder tut noch nicht-tut? Wir Menschen lernen dies am besten von der Natur: Das Wasser eines Bergbachs z.B. fliesst mit grosser Kraft, es zerkleinert Steine und gräbt tiefe Täler. Aber tut es dies mit Absicht? Hat es ein vorgegebenes Ziel? Folgt es nicht vielmehr dem natürlichen Gefälle?

Zazen ist, wenn richtig verstanden, ein ganz natürliches Geschehen und ein wunderbares Beispiel für das Tun im Nicht-Tun.

In den 80-Jahren kursierte unter den Zen-Schülern ein Witz: Eine Mutter trifft ihre Freundin auf der Strasse.

Die Freundin sagt: «Du siehst wieder so besorgt aus. Was plagt dich heute?»

Die Mutter seufzt: «Ach du weisst ja, ich habe immer Sorgen mit meinem Sohn. Seit neuem ist er sehr oft weg und wenn ich ihn frage, wohin er gehe, sagt er, er gehe ‹meditieren›.»

Die Freundin fragt: «Ja, was ist denn das?», worauf die Mutter antwortet: «Das weiss ich eben nicht.»

Darauf sagt die Freundin: «Mach dir mal keine Sorgen, dass ist immer noch besser, als herumsitzen und nichts tun.»

Warum sind wir müde nach einem Retreat? Wir tun doch nichts? Oder doch? Vollkommene Sammlung in der Leibesmitte, den herumhüpfenden Geist «an die Leine zu nehmen» und festhalten, sich weder von Teufel noch von Engeln verführen zu lassen, mit jedem Atemzug willens zu sein, alles, aber auch alles herzugeben und nichts zu behalten — das ist eine Aktivität von Körper und Geist. Körper und Geist gleichzeitig völlig frei zu geben, sie nicht nach dem eigenem Willen zu manipulieren, den Bewegungen des Lebens wie in einem Spiegel zuzuschauen ohne zu urteilen und einzugreifen — das ist die Natur des sogenannten passiven Gewahrseins.

Mit höchster Achtsamkeit passiv gewahrsein, das ist korrektes Zazen.

Wozu machen wir so etwas? Ich denke, die meisten tun es aus einer Notwendigkeit heraus. Wenn keine Not vorhanden ist, d.h. wenn man keine innere Notwendigkeit spürt im wahren Sinn des Wortes, wenn es nichts gibt, das drückt und drängt, keine drängende Sehnsucht nach Frieden oder Ruhe oder wie man es auch nennen mag, dann tut man so etwas nicht. Dann bringt man die Entschlossenheit und Ausdauer nicht auf, die es braucht, um den allgegenwärtigen Ablenkungen zu widerstehen. Ihr könnt Euch ja selber fragen, ob das stimmt. Ob es etwas in euch gibt, das euch immer wieder aufs Sitzkissen führt oder zieht, und warum.

Es soll jedenfalls wieder einmal darauf hingewiesen werden, dass Zazen kein Selbstzweck ist, man sitzt nicht, um etwas zu erreichen oder etwas zu lernen oder etwas zu werden. Man wird kein Buddha, wenn man nur lange genug sitzt. Man wird auch nicht klüger, gescheiter, reicher oder sonst etwas.

Viele Meditierende unserer Zeit verstehen diesen Punkt nicht oder vergessen ihn. Auch wir sind nicht gefeit davor, mit irgendeiner Absicht zu «meditieren» oder mit der Hoffnung, doch irgendeinmal «anders» zu sein, besser oder weiser oder … oder…

Aber was noch viel häufiger ist, man gibt sich zufrieden mit einer Ruhe und Leere, die nur gerade so lange anhält, wie man im Zendo sitzt. Und sobald man wieder aufsteht und aus dem Zendo geht, ist alles wieder wie vorher. Dann fällt man, sobald das Leben ein wenig an einem zerrt oder rüttelt oder gar der Tod an die Türe klopft, sofort aus dem Leim und geht unter den Schicksals- schlägen zu Boden. Obwohl man stundenlang sitzt, ist man wie ein Baum ohne Wurzeln, der von jeder Gefühlsflut weggespült wird.

Tut mir leid, aber ein derartiges Sitzen führt zu nichts. Vergeudet keine Zeit damit. Setzt euch mit Bodhidharma gegen eine Wand und bleibt wach. Die Wand ist ein Symbol für den fundamentalen, unerschütterlichen Geist, auf den keine Gedankenbilder projiziert werden.

Verschwendet keine Gedanken an Aktivität oder Passivität, richtig oder falsch, nützlich oder nutzlos, angenehm oder unangenehm, neu oder alt. Setzt euch einfach hin und überlasst alles der Natur. Denn es ist die Natur unseres Geistes, nach dem Licht zu streben, nach dem Gleichgewicht im Hier und Jetzt und dem lebendigen Leben jenseits von Zeit und Raum. Das ist die Buddha-Natur, die uns allen gemeinsam ist.

Das Gebet oder das Motto des Buddhismus lautet: Mögen alle Wesen glücklich sein! Glücklich, weil man in Verbindung mit dem Fluss des Lebens ist. Glücklich, weil man sich weder für die eine Seite noch gegen die andere entscheiden muss. Glücklich, weil man sich tragen lässt und vertraut, dass der natürliche Weg wirklich und wahrhaftig durch die Mitte führt. Durch die Mitte, die leer ist, ohne Wände, ohne Dach, ohne Boden ohne Form. Und weil sie leer ist, ohne Boden, ohne Wände, ohne Dach, hat alles in ihr Platz.

Dies während des Sitzens zu erkennen, ist das eine, es im alltäglichen Leben zu verwirklichen das andere. Diese Kunst kann man in keiner Akademie in keinem Kurs erlernen, man lernt sie durch das Tun. Und zwar durch das Tun, das kein eigenes Tun ist, sondern ein Geschehenlassen, ein Einhergehen mit den Gegebenheiten des Augenblicks. Das ist nicht zu verwechseln mit Laissez-faire oder Resignation, es ist das Resultat von wacher Präsenz und von Vertrauen in die Weisheit des innewohnenden «Wissens», auch Buddha-Natur genannt.

Das tönt alles gut und schön, nicht wahr? Aber wie macht man das?

Die Zen-Meister fragen dich: Sagst du ja, geb ich dir 20 Schläge, sagst du nein, gebe ich dir auch zwanzig Schläge. Wie kannst du diesen Schlägen entkommen? Auf deutsch sagt man dazu: «Wie man’s auch macht, es ist immer falsch.» Wir alle kennen dieses Dilemma.

Wer hat den Mut, sich dieser Frage zu stellen? Sage ich ja? Oder sage ich nein? Oder sage ich gar nichts? Wie kann ich den «Fehlern» entkommen?

LEBEN UND TOD

  • Wir sollten für unsere Existenz kämpfen, so gut wir können, aber wir dürfen uns dabei nicht um Gewinn oder Verlust kümmern. Es ist nicht an uns zu entscheiden, ob wir leben oder sterben.
  • Auf der Bühne des täglichen Lebens sollt ihr nicht «jemand» sein, sondern «niemand».
  • Befreit euch von «Erleuchtung», erwacht zu diesem Leben.
  • Wer nichts unternimmt, um seine Einstellung zu ändern, wird weiterhin leiden. Man kann nicht in der Ich-Haltung verharren und glücklich leben.
  • Solange ihr nicht aus eurem Ich heraustretet, versteht ihr das Gesetz des Lebens nicht und gebt anderen die Schuld für eure Schwierigkeiten.
  • Wer seinen Urzustand kennt, kennt die Kraft, die seinen Körper am Leben hält, und seine Nahrung verdaut, ganz ohne sein Dazutun.
  • Wir können keine Harmonie herstellen, wenn wir eine einseitige Ansicht vertreten. Wenn man das weltliche Leben entweder ablehnt oder darin schwelgt, dann hat man kein Gleichgewicht.
  • Man braucht nichts zu zerstören. Sobald man zum Schluss kommt, dass das Leben ohne Makel ist, hat man ewigen Frieden.
  • Betrachten wir unser fundamentales Verlangen nach Leben von aussen, sehen wir es als einen ganzheitlichen Trieb und Wachstumsprozess; sehen wir es aber von innen, erleben wir es als Freude, Hass, Leiden, Liebe, wie wir es jeden Tag erfahren.
  • Der Begriff «Lebensumstände» hat im Buddhismus eine bestimmte Bedeutung. Die gegenwärtige Lebenslage ist das Resultat der Vergangenheit in vielen Verkörperungen während vielen Zeiten. Sie ist kein Zufallsprodukt.
  • Die Menschen verstärken ihr geistiges Leiden, indem sie dieses Leben ablehnen, von Sünde und ähnlichem reden und den Himmel erst nach dem Tod zu finden glauben. Katzen, Hunde, Blumen, sie alle akzeptieren ihr Leben und leben es glücklich.
  • Wenn ihr hört, es gehe darum, das «jenseitige Ufer» zu erreichen bzw. jenseits von Leben und Tod zu gelangen, stellt ihr euch wahrscheinlich vor, ihr müsstet aus dieser Welt heraus ans andere Ufer springen. Es gibt nichts dergleichen! Man transzendiert Leben und Tod durch die innere Einstellung.
  • Wenn ihr denkt, Leben und Tod seien die wahre Wirklichkeit, hängt ihr am weltlichen Leben und meint, nach dem Tod gebe es nichts.
  • In der objektiven Existenz gibt es nichts, worüber man sich Sorgen machen muss. Da gibt es kein Leben und Tod, die aufhören müssen.
  • Wenn der Mensch zur Erleuchtung kommt, weiss er, was Tod ist und was Leben.
  • Wohin gehst du nach deinem Tod? Das ist eine grosse Frage. Um sie zu beantworten, muss man zuerst wissen, wo man jetzt ist.
  • Wenn jemand stirbt, geht nichts verloren in der Welt, und wenn jemand geboren wird, wird nichts zugefügt.
  • Nach einem Leben von fünfzig, sechzig, siebzig Jahren sollte man nicht wie ein Hund oder eine Katze sterben. Es ist absurd zu behaupten, man könne nicht wissen, was nach dem Tod geschieht. Ihr sollt es ganz genau wissen!
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