Wie viele Buddhas gibt es im Garten? –AWH, Medittionswoche August 2021
An einem sonnigen Vormittag wurden die Teilnehmenden des diesjährigen Sommerretreats aufgefordert, eine Sitzperiode statt im Zendo im Park des Seminarhauses zuzubringen. Sie wurden gebeten, später in der Einzelbegegnung (Dokusan) die Frage zu beantworten: Wie viele Buddhas gibt es im Garten? Das Folgende ist ein Auszug aus dem Dharma-Vortrag des nächsten Tages.
Eine Frage der Perspektive
Gestern gab es die Gelegenheit, eine Meditationsperiode im Park des Seminathauses zu verbringen, und ich habe euch gebeten, mir in der darauf folgenden eEnzelbegegnung (Dokusan) die Frage zu beantworten: «Wie viele Buddhas gibt es im Garten?» Heute bitte ich euch, mit ungeteilter Aufmerksamkeit zu hören – so unvoreingenommen und frisch, wie ihr euch gestern der Frage angenommen habt – was sich daraus ergeben hat. Ohne Vorurteile, ohne vorgefertigtes Wissen, einfach nur zuhören.
Eines ist klar: So verschieden, wie wir sind, so verschieden waren die Antworten:
Einige von euch sagten: «Es gibt unendlich viele Buddhas,» oder zeigten diese Geste (Agetsu macht eine allumfassende Armbewegung). Andere Antworten lauteten: «Sieben, siebeneinhalb, einen, keinen» oder: «Ich weiss es nicht.» Jemand sagte es auf poetische Art: «Den Wind kann man auch nicht zählen.»
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Nun, welches ist die richtige Antwort? Oder welches ist die beste Antwort? Ich vermute, die meisten von euch würden auf die Frage nach der richtigen Antwort relativ schnell sagen: «Keine!» Denn man hat inzwischen «gelernt», dass es keine richtigen und falschen Antworten gibt hier (A. lächelt). Aber wenn ich nach der besten Antwort frage – Hand aufs Herz – fängt man dann nicht sofort an zu überlegen und die Antworten gegen einander aufzuwiegen?
Es ist ja unsere Gewohnheit, alles zu vergleichen, abzuwägen, zu beurteilen und in die Skala von sehr gut bis sehr schlecht einzuordnen. Nicht wahr?
Aber in der Angelegenheit, mit der wir hier beschäftigt sind, ist dieses Vergleichen fehl am Platz. Wie könnte man dadurch die Wirklichkeit, in der wir leben, erfassen?
Mit der Frage: «Wie viele Buddhas gibt es im Garten?» war jeder und jede auf sich selbst gestellt und musste die eigenen Augen, das eigene Denken, die eigene Weisheit benutzen, um zu einer Antwort zu kommen. Genau das ist Sinn und Zweck von allen Fragen, die in der Zen-Schulung gestellt werden.
Dementsprechend war jede Antwort, ob verbal oder nicht verbal geäussert, ein Ausdruck des gegenwärtigen Bewusstseins jedes einzelnen von uns. Und das Bewusstsein spiegelt die Perspektive, aus der die Frage angegangen wurde. Wie könnte es dabei ein Richtig oder Falsch, ein Besser oder Schlechter geben?
Lasst uns nun einige der Antworten betrachten. Dies gibt uns ein wunderbares und lehrreiches Abbild der vielen unterschiedlichen Perspektiven, aus denen wir Menschen die Welt sehen und erleben.
Form und Name
Fangen wir mit der ganz pragmatischen Antwort an: «In diesem Garten gibt es sieben oder siebeneinhalb Buddhas. Einer sitzt auf der Terrasse, einer neben dem Teich, einer steht neben dem Hauseingang usw. Einen sieht man nur halb, der Rest ist im Gebüsch versteckt.»
In dieser Betrachtungsweise sehen wir eine aus Stein oder Holz gefertigte Buddha-Figur und sagen, das ist ein Buddha!
Diese Ansicht widerspiegelt die übliche, ganz gewöhnliche Sicht von uns Menschen auf unsere Welt. Die indischen Geisteswissenschaftler nannten es die Welt von Namen-und-Form (Skrt. nama-rupa.)
Meister Sokei-an sagt dazu folgendes:
In unserer Erfahrung sind wir uns normalerweise zuerst der materiellen Existenz bewusst. Die Materie, einschliesslich unser eigener Körper, ist die Grundlage für alles weitere. Dazu gehören neben dem eigenen, fleischlichen Körper auch alle Dinge um uns herum.
Die materielle Welt (rūpa) und die Sinneswahrnehmung bedingen sich gegenseitig. Das eine existiert nicht ohne das andere. Das ist das erste Naturgesetz unseres Bewusstseins.
– Man sieht nur in der Stille klar, Kap.19
Mit anderen Worten: Unsere Sinne übermitteln uns Eindrücke der materiellen Welt und wir verleihen den Wahrnehmungsformen Worte oder Namen. Es ist uns zur unauslöschlichen Gewohnheit geworden, die Sinneswahrnehmungen mit den Namen zu identifizieren und als tatsächlich existierende Gegenstände zu betrachten. Wir erlernen das Verbinden von Form und Name in frühester Kindheit mit dem Erlernen der Muttersprache. Indem unser Bewusstsein eine einmal benannte Form immer wieder erkennt und benennt, schafft es sich die Form-und-Namen-Welt selbst und stellt sie niemals in Frage.
Aber die Worte haben nichts mit dem wirklich Existierenden zu tun. Das, was die Sinne uns übermitteln, ist ein Abbild von etwas, das ohne Worte existiert. Der sprachliche Stempel wird dem Bild erst hinterher aufgedrückt. Diese Fehlleistung unseres Denkens ist die erste Ursache für das menschliches Leiden in der Welt.
Bring mir einen Buddha
Von Meister Sokei-an gibt es folgende Geschichte aus seiner Zeit als junger Zen-Schüler. Sein bürgerlicher Name lautete Yeita Sasaki. Er befand er sich in der Ausbildung zum Holzschnitzer an der Nationalen Hochschule für Kunst, als er mit dem Studium und der Praxis des Zen begann. Bei einer der ersten Begegnungen mit seinem Lehrer fragte ihn dieser: «Was bist du von Beruf?» Yeita antwortete: «Ich bin Holzschnitzer.» Darauf sagte der Lehrer: «Gut, dann bring mir einen Buddha!»
Yeita machte sich unverzüglich an die Arbeit und schnitzte mit grosser Sorgfalt und viel Geschick eine kleine Buddha-Figur. Nach einer gewissen Zeit brachte er die Figur zum Lehrer: «Hier ist der Buddha, den Sie gewünscht haben!» Der Lehrer schaute sich die Figur an und warf sie kurzerhand aus dem Fenster in den Teich im Garten.
Yeita war schockiert, aber er verstand intuitiv, was der Lehrer damit ausdrückte, nämlich: Ich habe dir nicht gesagt, du sollst mir eine Buddha-Figur bringen! Die Figur ist nicht Buddha!
Was aber ist Buddha? Wie kann man dem Lehrer einen Buddha bringen?
Der unsichtbare Buddha
Die zeitgenössischen Anhänger von Shakyamuni Buddha waren sich durchaus bewusst, dass dessen körperliche Gestalt nicht identisch ist mit dem Wesen eines Buddhas. Kein Name ist identisch mit dem Wesen des Benannten, sei dies ein Mensch oder ein Gegenstand. Wörtlich bedeutet Buddha «der Erwachte». Aber wie könnte man «Wachheit» zeigen? Deshalb wurde der Buddha in den frühen Überlieferungen nie figürlich als Mensch dargestellt.
Auch heute kann man in Indien in Stein gemeisselte Berichte und Darstellungen aus dem Frühbuddhismus sehen. Dort wird der Buddha durch das Dharmarad symbolisiert, dem Symbol für seine Lehre, Dharma genannt.
Der vollkommen Erwachte benutzte das Wort Buddha nie, wenn er von sich selbst sprach. Wenn es in seinen Lehrreden eines Subjektes bedurfte, eines Ichs oder eines Namens, benutzte er den Begriff Tathagata, was gewöhnlich übersetzt wird mit «So-gekommen» oder «das so Existierende». Nur ein Mal – das war im Moment seines Erwachens, seiner endgültigen Erleuchtung – soll er gesagt haben: «Ich bin Buddha!» Aber dieses Ich war nicht das Ich von Siddharta Gautama, dem jungen Mann aus gutem Hause.
Darstellungen von Buddha
Erst mit der Entwicklung der diversen buddhistisch-philosophischen Schulen und den entsprechenden Meditationstechniken entstanden zahlreiche figürliche Darstellungen mit einem grossen Schatz an symbolischen Merkmalen. Dabei spielen die Farben, die Körper- und Handhaltung eine sehr grosse Rolle.
In den Tempeln und Schreinen Asiens findet man ein Spektrum von raumhohen Buddha-Statuen, über reich geschmückte sitzende und liegende bis zu einfachen, fast lebendig wirkenden Figuren. Thankas und andere Bilder zeigen den Buddha in vielseitigen Haltungen, geschmückt mit Emblemen und Attributen. In einem «Tempel der tausend Buddhas», sah ich an allen vier Wänden auf mehreren übereinander angeordneten Regalen lauter gleich aussehende «Buddhas», einer neben dem anderen sitzend. Ob es genau tausend waren, weiss ich nicht.
Alle diese Darstellungen sind Gegenstand der Verehrung und der Anrufung. Die Gläubigen bringen ihnen Räucherstäbchen, Blumen und zahlreiche Opfergaben dar.
Und bei uns im Westen kennt bald jedes Kind die Figur des sitzenden Buddhas. Meist völlig losgelöst von der religiösen Bedeutung zieren sie Gärten und Designerwohnungen.
Von aussen nach innen
Im Diamant-Sutra heisst es:
«Wer nach mir in der Form sucht oder im Klang, ist auf einem falschen Weg und kann den Tathagata nicht sehen.» -Diamant-Sutra, 18
Auf der Suche nach Buddha beginnen wir alle beim Wort und suchen aussen. Wir lesen und hören Geschichten über den zeitgenössischen Buddha Shakyamuni, wir besuchen Kultstätten oder Ausstellungen und bewundern Statuen und andere Darstellungen. Dabei kann es geschehen, dass einen der Anblick – auch ganz ohne Kenntnis des Buddhismus – seltsam berührt. Überlässt man sich diesem Gefühl ohne religiöse Vorurteile und Meinungen, entsteht eine Art innerer Verbindung mit der äusseren Gestalt und etwas wird in einem lebendig. Man kann es nicht in Worten ausdrücken und Worte sind auch gar nicht nötig; es gibt eine intuitive Ahnung, was «Buddha» sein könnte …
Figürliche Darstellungen können durchaus eine Wirkung haben und ganz ohne Worte eine Saite im Gemüt des Betrachters in Schwingung bringen. Meiner Meinung nach hängt dies jedoch viel mehr vom Schöpfer der Figur ab, als von der Figur selbst. Ich spreche nicht von der Massenware, die, maschinell erzeugt, an jeder Ecke für Touristen feilgeboten wird. Ich spreche von Figuren, bei deren Anblick man spürt, dass der Schöpfer ein Mensch gewesen sein musste, der etwas verstanden und in sich realisiert hatte, das es ihm erlaubte, diese Figur so lebendig aus Stein oder Holz herauszuhauen oder zu schnitzen.
Die Figur ist ein Menschenwerk, aber, was ist es, das den Hammer, das Messer oder den Pinsel des Menschen geführt hat?
Das kann nur die Seele, der Geist, das innere Wesen des Künstlers gewesen sein, nicht wahr?
Geistige Resonanz
Auf einer Pilgerreise an die Wirkungsstätten Buddhas in Nordindien, habe ich dieses unerwartete Berührt-Sein mehrmals erlebt. Besonders stark erinnere ich mich an eine Höhle in der Nähe von Bodhgaya, in welcher der Buddha und seine Gefährten auf dem Höhepunkt ihrer Askese dargestellt waren. Das war kurz bevor der Buddha diese schmerzhafte, selbstzerstörerische Lebensweise aufgab mit der Begründung: Wenn ich so weitermache, bin ich tot, bevor ich den Sinn des Lebens und des Leidens erfasst habe.
Als Betrachter sieht man eine lebensnahe, bis auf die Knochen abgemagerte Gestalt aus Stein, ein mit Haut überzogenes Skelett. Was mich dabei zutiefst erschütterte und bewegte, war die Ausstrahlung dieser Gestalt. Eigentlich habe ich keine Worte dafür, aber behelfsmässig sage ich es so: Der Ausdruck des in sich gekehrten «Totenkopfs mit Haut» strahlte einen unermesslichen Frieden aus. Eine vollkommene Akzeptanz des Soseins. Kein Schmerz, kein Hadern. Die Gestalt ruhte völlig entrückt in friedvoller Versunkenheit. Und schien vollkommen lebendig.
Bei diesem Anblick fühlte ich, was wahrhaftige Lösgelöstheit ist: Vollkommenes Einsein mit dem, was ist, aber völlig frei davon.
Sehr gut erinnere ich mich auch an die Figur des liegenden Buddhas in Kushinagara, dem Ort, wo das irdische Leben des historischen Buddhas endete. Auch hier war es vor allem der entrückte, friedvolle Ausdruck des sterbenden Buddhas, der mir bis heute in lebendiger Erinnerung ist. Sie ist eine Art ständiger Ermutigung, dass das Sterben weder als Schrecken noch als ein gültiges Ende zu betrachten ist und mit Weisheit vollzogen werden kann.
Die fundamentale Geistesnatur
Wenn man von einem Wort – einer Klangform – oder einer bildlichen Darstellung Buddhas berührt wird, liegt das nicht an der Form, sondern an ihrer «Ausstrahlung». Es besteht eine Art Schwingung oder Strahlung die sich gewissermassen von Geist zu Geist, von Herz zu Herz zwischen dem Betrachter und dem Betrachteten ausbreitet.
Diese Schwingung kommt nicht aus dem Denken. Sie ist, wie Radio- oder elektrischen Wellen, eine natürliche Erscheinung des Universums, eine Manifestation des fundamentalen Geistes. Sie hat keinen Schöpfer, keine bestimmte Richtung, keine Dimensionen, keine Zeit, keinen Ort. Es ist, wie die Elektrizität, eine Potenz, die überall und immer aktiviert werden kann und eine bestimmte Wirkung zeigt.
Man mag die Strahlung des fundamentalen Geistes Liebe, Universalweisheit oder Buddha-Natur nennen, aber diese Worte sind allesamt schal, nichts als Konzepte. Um die konzeptuellen Grenzen zu überwinden und mit dem Wesen in Verbindung zu gelangen, braucht eine Empfänglichkeit, eine geistige Bereitschaft, eine innere Konstellation, die es den Geisteswellen ermöglicht, direkt sicht- oder fühlbar zu werden. Und wenn irgendwo auf der Welt ein Lebewesen dafür empfänglich ist und mit dieser allgegenwärtigen Geisteskraft in Verbindung tritt – dann ist es Empfänger und Sender zugleich. Auch das wird Buddha genannt.
Ein Buddha – viele Buddhas
Aus der Perspektive des allgegenwärtigen wachen Geistes gibt es nur einen Buddha. Sowohl im unendlichen, zeitlosen Sein als auch im endlichen und sich dauernd verändernden Garten unseres Dasein. Dann ist Buddha nur ein Namen für das Bewusstsein, dessen Liebe und Weisheit in allen Geschöpfen angeboren ist und zum Leben erweckt werden kann und sollte.
Damit sich dieses Gegenwart, diese Präsenz in uns offenbaren kann, müssen wir es verstehen, still zu sein und zu lauschen. Wir müssen Herz und Sinne öffnen für das, was aus den Formen und Klängen zu uns spricht. Nicht nur im Garten dieses Hauses, sondern überall und immer.
Haben wir die Essenz des Lebens, den Tathagata des gegenwärtigen Augenblicks einmal erfasst, – dieses Gewahrsein jenseits von Zustimmung oder Ablehnung –, dann finden wir Buddha überall, in jedem Gras, jedem Blatt, jeder Blume, jedem Frosch, im Regen, im Tautropfen, im Wind.
Wer könnte diese Buddhas alle zählen? Wer könnte dann wissen, wie viele Buddhas es im Garten gibt?
Was wir dann aber wissen können, ist die Bedeutung von Hakuins Zazen Wasan, dem Lied von der Meditation. Dieses beginnt mit den Sätzen:
«Die Lebewesen sind im Grund alle Buddha. Es ist wie bei Eis und Wasser, ohne Wasser gibt es kein Eis. Wo fänden wir Buddha ausserhalb der Lebewesen?»
Was ist Buddha?
Nun – nach all diesen Worten: Wer kann sagen, was Buddha ist? Wer vermag Buddha im vollen Tageslicht zu zeigen?
Niemand, da bin ich mir sicher.
Wenn ein Zen-Meister dieser Frage in der Einzelbegegnung (Dokusan) stellt, dann verlangt er eine Antwort! Man kann seinem fragenden Blick nicht ausweichen. Doch unter diesem Blick stockt unser Herz. Die Worte versagen. Das Denken verstummt. Was nun?
Jetzt muss man Farbe bekennen. Irgendeine Floskel, irgendetwas Gehörtes oder Gelerntes wird nicht akzeptiert. Du verstehst oder du verstehst nicht. Wenn du nicht versteht, wirst du dich – wenn es dir denn ernst ist damit – solange mit dieser Frage beschäftigen – sie kauen, darüber meditieren und bei Tag und bei Nacht im Herzen tragen, – bis du es plötzlich ganz klar siehst: «Aha, das ist es.» So, wie Siddharta Gautama es viele Jahre lang mit seiner Lebensfrage getan hatte. Niemand weiss wann und wo sich das Auge öffnet, vielleicht heute, morgen oder im nächsten Leben … Aber du wirst dich wundern, dass du es nicht schon vorher gesehen hast.
Kommst jemand nun ins Dokusan und sagt: «Es gibt keinen Buddha» oder «Ich weiss es nicht» oder sitzt schweigen da, dann will der Lehrer genauer wissen, was hinter dieser «Antwort» steckt.
Dann braucht es ein geübtes Auge, ein geübtes Ohr, um zu sehen, zu hören: kommt hier eine authentische Erfahrung, ein echtes Verstehen zum Ausdruck? Nämlich die Realisation, dass Buddha letztendlich ein Konzept ist, dessen wahres Wesen sich unserem kognitiven Wissen entzieht? Oder versucht die betreffende Person bloss, etwas zu zitieren oder zu imitieren, was sie schon einmal gehört oder gelesen hat. Es gibt ja heutzutage so viel Literatur und Zen-Geschichten, dass ein schlauer Geist schnell etwas Passendes zu finden glaubt.
Jenseits von Worten und Symbolen
Die Zen-Lehre setzt alles daran, uns die Augen zu öffnen für die Wirklichkeit jenseits von Worten und Symbolen. Wir sollen uns sozusagen die Wahrheit von Buddhas-Lehre selber beweisen. Der Zen-Lehrer hat dabei bloss die Funktion eines Zeugen.
Meister Sokei-an hatte dafür ein schönes Sinnbild. Er sagte: Als Zen-Lehrling gräbt man tief in der Erde des eigenen Geistes und findet zum Beispiel einen schönen Stein. Da man nicht weiss, ob es sich um einen Edelstein handelt oder um ein Stück Glas, geht man zu einem Experten, dem Zen-Meister, und zeigt ihm das Stück. Der Meister zeigt ihm einige Edelsteine, die er selbst seinerzeit gefunden hatte und deren Echtheit von seinem Lehrmeister beglaubigt worden war. Durch das gemeinsame Vergleichen und Begutachten des ausgegrabenen Materials, lernt der Lehrling, seine Funde zu begreifen und zu realisieren.
Ob die Schüler das Gefundene bzw. Entdeckte mit Worten oder ohne Worte zeigt, ist nicht wichtig. Wichtig ist die Qualität, der Wahrheitsgehalt dessen, was zum Ausdruck kommt. Und da die Wirklichkeit grundsätzlich jenseits von Worten und Symbolen ist, besteht die Zen-Schulung im Wesentlichen darin, das «Unsagbare zu sagen». So verstanden, dienen Worte und Symbole, ja die ganze Lehre, nur als Hilfsmittel oder Brücken, um aus der Dunkelheit der Unbewusstheit ins Licht des Gewahrseins und Verstehens zu treten.
Zu diesem Zweck, und nur zu diesem Zweck allein, habe ich euch gefragt, wie viele Buddhas es im Garten gibt. Die Frage gab und gibt uns die einzigartige Gelegenheit, die Welt, in der wir uns befinden, aus diversen Perspektiven selber zu untersuchen und zu entdecken – und im besten Fall vielleicht sogar, diese Perspektiven in einem unmittelbaren Verstehen zu vereinen.
Das Ganze in einem Blick
Da unsere Wahrnehmung durch und durch von den linearen Denkgewohnheiten bestimmt wird, ist sie sehr beschränkt. Das heisst wir können immer nur einen Standpunkt innehaben. Das reine Gewahrsein hingegen, unsere natürlich Weisheit, kennt dies Einschränkung nicht. Wie ein Spiegel erfasst es das grosse Ganze und die kleinsten Details gleichzeitig. Im Diamant-Sutra gibt es eine passende Stelle, an der der Buddha (B) dem Subuthi (S) den Zustand der vollkommenen Klarsicht eines Erleuchteten zu illustrieren versucht:
B: «Subuthi, was denkst du, hat der Tathagata das menschliche Auge?» S: «Ja, von aller Welt Verehrter, er hat es.
B: «Subuthi, was denkst du, hat der Tathagata das menschliche Auge?»S: «Ja, von aller Welt Verehrter, er hat es.»
B: «Hat der Tathagata das göttliche Auge?» S: «Ja, von aller Welt Verehrter, er hat es.»
B: «Hat der Tathagata das Auge der Erkenntnis?» S: «Ja, von aller Welt Verehrter, er hat es.»
B: «Hat der Tathagata das Auge der vollkommenen Weisheit?»S: «Ja, von aller Welt Verehrter, er hat es.»
B: «Hat er das allwissende Buddha-Auge?» S: Ja, von aller Welt Verehrter, er hat es.»
B: «Subuthi, ganz egal wie viele Lebewesen es in allen Welten gibt, und wie viel verschiedene Geisteszustände (Mentalitäten) sie auch haben mögen, der Tathagata versteht sie alle. Warum? Weil das, was der Tathagata verschiedene Geisteszustände nennt, in Wirklichkeit nicht verschiedene Geisteszustände sind. Sie werden nur so genannt.»
Ausblick
Darf ich annehmen, dass wir nach dieser Betrachtung nun verstehen, wie müssig es ist, eine einzige richtige oder beste Antwort zu definieren, wenn es darum geht, etwas über die erlebte Wirklichkeit auszusagen? Verstehen wir, dass in der Wirklichkeit keine Aussage richtig ist und keine falsch? Und umgekehrt, dass alle richtig sind und alle falsch?
Denn das Hier-Jetzt, die aktuelle Gegenwart ist wie sie ist, und steht nie still. Man kann das So weder einfangen noch festhalten. Die Schönheit und die Grenzenlosigkeit eines jeden Augenblicks mit klarem Gewahrsein zu sehen und zu fühlen – ohne Urteil und Widerstand – , das ist das Geheimnis eines reichen, erfüllten Lebens. Dieses Gewahrsein hat weder Anfang noch Ende und endet deshalb nicht mit dem körperlichen Verfall. Das ist die Erkenntnis und Kernbotschaft aller Buddhas aller Zeiten:
Die eine Buddha-Natur durchzieht das ganze Universum und alles, was darin kreucht und fleucht. Auch du bist nichts anderes als ein Geschöpfe dieses einen, allumfassenden Geistes, Tathagata.