Masken

Das Thema

Masken – Wir denken, es wäre eine Schande, den Tumult der gegenwärtigen Pandemie nicht zu nutzen. Ebenso wäre es eine Schande, das Thema Masken und Viren zu ignorieren. Deshalb haben wir es zum Thema für den Kalender 2021 gemacht. Und zwar mit Hilfe der sehr aufschlussreichen Poesie von Kahlil Gibran.

Es freut uns, dass wir Euch eine weitere Nummer unserer Zeitschrift Dhyāna in der Form eines Kalenders überreichen können. Wir bedanken uns für die vielfachen Spenden, die mitgeholfen, dies zu ermöglichen.

Der Kalender

Im laufenden Jahr hatten wir alle das zweifelhafte Vergnügen, Gesichtsmasken verschiedener Art aufzusetzen und abzunehmen. Dies taten wir, um uns vor den zornigen und ängstlichen Blicken unserer Freunde, Nachbarn sowie Behörden zu schützen. Natürlich auch vor dem allgegenwärtigen Corona-Virus selbst.

Ein Virus, das x-mal mutiert hat. Aber das ist es, was Viren tun, sie mutieren. In Wirklichkeit verändert sich alles; überhaupt nichts steht still, nicht wahr? Ausser vielleicht unser kleingeistiges Gemüt.

Wie wunderbar wäre es, wenn wir das Glück hätten, in weniger als einem Jahr mehrmals psychologisch mutieren zu können. Dann könnten wir alle dem Edlen Achtfachen Pfad entlang gehen. So würden wir dem Dukkha-Virus, das wir alle in uns tragen, schweren Schaden zufügen. Bedauerlicherweise sind wir auf diesem Weg wahrscheinlich nicht viel weiter gekommen als im vergangenen Jahr. Jedoch gibt es einige bemerkenswerte Ausnahmen.

Masken und Viren

Das Problem des mangelnden Fortschritts auf dem Pfad ist auch ein Problem von Masken und Viren. Denn wir tragen eine äußere Maske, um das Virus draußen zu lassen. Umgekehrt tragen wir jedoch eine innere Maske, um das Dukkha-Virus drinnen zu lassen. Stimmt’s?

Unsere psychologischen Masken, und davon gibt es viele, sind dazu da, die von uns selbst gezüchteten psychologischen Viren zu schützen. Diese Viren infizieren den Verstand und veranlassen ihn, die Gestalt anzunehmen, die ich als «mein Bewusstsein» definiere.

«Mein Bewusstsein» – eine Sammlung von Masken und Viren, die auf meine eigenen Wünsche zugeschnitten sind – mutiert ständig. Dies geschieht, damit der Fluss der Begierden nicht stagniert und zu einem pathogenen Tümpel voller Begierden von gestern wird. Sowohl die Masken als auch «psyViren» mutieren mit einer Geschwindigkeit, die die Corona-Mutationsrate in den Schatten stellt. Für die meisten von uns hört das nie auf, weder in diesem noch in multiplen Leben. Der Schmerz von Dukkha übersteigt den Schmerz, den wir uns mit unseren Selbsttäuschungsmanövern zufügen, noch immer nicht. Und so strampeln wir weiter und radeln seit undenklichen Zeiten von einer Existenz zur anderen.

Kahlil Gibran

Viele von euch sind vermutlich mit Gibrans Werken bekannt. Sein berühmtestes Buch trägt den Titel «Der Prophet». In den 1970er Jahren war es die Pflichtlektüre für alle Hippies und Möchtegern-Hippies auf ihrem Weg zur Erleuchtung. Gibrans Werk hat den Test der Zeit mit viel mehr Anmut und Souveränität bestanden als viele von jenen, die ihm Kultstatus verliehen hatten … zum Glück.

Kahlil Gibran selbst war eine bemerkenswerte Persönlichkeit: https://www.kahlilgibran.com/
Man kann viel über ihn lesen unter: https://en.wikipedia.org/wiki/Kahlil_Gibran

oder ein wenig unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Kahlil_Gibran

The Madman

Die Texte und Poesie im Kalender stammen zum grössten Teil aus dem Buch The Madman.

Gibran war mit den Parabeln des Sufismus und dem Konzept des «Verrücktseins» recht gut vertraut. Ein «Verrückter», in der Sufi-Tradition auch als «verrückter Heiliger» bekannt, ist gekennzeichnet durch unkonventionelles Verhalten im Zusammenhang mit religiösen oder spirituellen Erfahrungen. Es ist oft ein Lehrer, der für Außenstehende unverständlich bleibt, aber von seinen Schülern verstanden wird.

Das Wort «verrückt» oder «majnun» im Arabischen ist ursprünglich ein Sufi-Begriff. «Majnun» bedeutet extreme Liebe, bis hin zum Wahnsinn. Die durch den Wahnsinn ausgedrückte Liebe ist die Liebe zu Gott, nicht zu verwechseln mit dem Wort «Gott» in der jüdisch-christlichen Version. Ein Kernanliegen des Sufi-Glaubens ist das Streben nach «Einheit mit Gott», (Zen: «Was ist dein ursprüngliches Gesicht?», «Zeige deine Urnatur».).

In der ersten Parabel beantwortet Gibran die Frage, wie er ein Verrückter geworden sei:
«Es geschah folgendermassen: Eines Tages, lange bevor viele Götter geboren wurden, erwachte ich aus einem tiefen Schlaf und stellte fest, dass alle meine Masken gestohlen worden waren, – die sieben Masken, die ich in sieben Leben gestaltet und getragen habe …»

Sufi-Konzept

Die Zahl Sieben repräsentiert das Sufi-Konzept, dass zur Verwirklichung des Selbst (das Alaya-Bewusstsein, das «Ich bin», die sieben Chakras) sieben Stufen der Erkenntnis durchlaufen werden müsse. Diese Stufen repräsentiert das Verlöschen der sechs Bewusstseinsarten (wie im Herz-Sutra beschrieben).

Dann beschreibt der Verrückte (Gibran) seine Initiation in den Zustand der Verrücktheit:
«Als ich den Marktplatz erreichte, stand ein Jüngling auf einem Hausdach und rief: «Er ist ein Verrückter». Ich schaute auf, um ihn zu sehen und da küsste die Sonne mein Gesicht. – Zum ersten Mal küsste die Sonne mein eigenes nacktes Gesicht und meine Seele war von Liebe zur Sonne entbrannt. Ich wollte meine Masken nicht mehr. Und wie in Trance rief ich: «Gesegnet, gesegnet sind die Diebe, die meine Masken gestohlen haben.»

So wurde ich zu einem Verrückten. – Und habe beides gefunden: Freiheit der Einsamkeit und den Schutz vor dem Verstandenwerden. Denn diejenigen, die uns verstehen, versklaven etwas in uns.»

Gibran schenkt uns elf weiter Monate der Einsicht in die menschliche Welt der Masken und Verkleidungen.

Schlussfolgerung

Wir haben ein recht besonderes Jahr hinter uns. Nicht zuletzt hat es gezeigt, dass wir, abgesehen von unserem Äußeren, alle gleich sind. Denn wir tragen die gleichen Ängste, Zweifel, Liebe und Hass in uns wie der maskierte Fremde, der 1,5 Meter von uns entfernt steht. Außerdem sehen wir alle den Gebrauch und Missbrauch von Macht durch Menschen, die ebenso dumm oder dümmer sind, als wir selbst zu sein glauben. Und wir üben auf unsere Weise unsere Macht über diejenigen aus, die wir für weniger mächtig halten als wir selbst.

Viele von uns haben gelernt oder lernen gerade, mit sich alleine zu leben. Es ist schwierig geworden, in ein fremdes Land zu fliehen, um unsere Phantasien zu pflegen, statt sich unserer Unreife in unserer Heimat zu konfrontieren. Die Dinge um uns herum verändern sich dramatisch. Und zwar mit beschleunigter Geschwindigkeit und in unerwartete Richtungen. Man könnte sagen, sie verändern sich asymmetrisch. Wo steht Ihr bei all dem? Seid ihr verwurzelt oder läuft ihr herum wie ein kopfloses Huhn?

Agetsu und ich wünschen Euch das Beste in dieser herausfordernden Zeit. «Reset», «reload», «restart» im 2021. Es gibt kein Zurück. Es gibt kein Vorwärts. Es gibt nur diesen Moment. Bleibt wach!

«Nur einmal wusste ich nichts zu sagen. Das war, als mich jemand fragte: «Wer bist du?» – K.G.

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