Wiegenlieder…

magic-king

Einführung

Wiegenlieder, Kinderreime, Fabeln und Märchen haben eine lange Tradition in allen Kulturen der Welt. Sie reflektieren die „allgemeine Weisheit“ der Menschheit. Wir alle kamen irgendeinmal damit in Berührung. Unsere Eltern benutzten sie, um uns in den Schlaf zu singen, wenn wir alles andere tun wollten als schlafen. Und viele von uns benutzten und benutzen denselben Trick mit unserer Nachkommenschaft.

Ich dachte, es könnte interessant sein, einige dieser Reime und Fabeln zu betrachten, deren Worte den allgemein menschlichen Zustand widerspiegeln. Ich wählte sie aus der riesigen Sammlung von englischen Versen aus, nicht zuletzt aus dem Grund, weil ich selbst damit aufgewachsen bin. In der deutschen Übersetzung geht manchmal der Reim verloren, nicht aber der Sinn. Wenn nichts anderes, so könnt Ihr sie wenigstens Euren Kindern oder Grosskindern vorlesen, wenn diese ungeduldig darauf warten, ihre Geschenke unter dem Weihnachtsbaum auszupacken.

Solomon Grundy

relativity
Relativity
Solomon Grundy,
geboren am Montag,
getauft am Dienstag,
verheiratet am Mittwoch,
erkrankt am Donnerstag,
verschlimmert am Freitag,
gestorben am Samstag,
beerdigt am Sonntag:
Das ist das Ende
von Salomon Grundy.
Solomon Grundy,
geboren am Montag,
ein SMS verschickt am Dienstag,
den iPad geladen am Mittwoch,
erhielt „Spam“ am Donnerstag,
„twittered“ am Freitag,
„downloaded“ am Samstag,
Kurzschluss am Sonntag:
Das sind die Bits und Bytes
von Solomon Grundy.
Solomon Grundy,
geboren am Montag,
geprägt mit Religion am Dienstag,
geprägt mit Schule am Mittwoch,
geprägt mit Arbeit am
Donnerstag,
geprägt mit Politik am Freitag,
frühpensioniert am Samstag,
gestorben und beerdigt am
Sonntag: Wer zum Teufel
war Solomon Grundy?
Solomon Grundy,
geboren am Montag,
verlor „sich selbst“ am
Dienstag,
fand einen Guru am
Mittwoch,
rief „Ich bin erleuchtet“ am Donnerstag,
wurde ein Guru am Freitag,
Talk show-Gast am Samstag,
noch immer verloren am Sonntag:
Es hat kein Ende mit
diesen Salomon Grundys.

Das ist das Haus, das Jack gebaut hat

Das ist die Ratte,die das Malz gefressen hat im Haus,
das Jack gebaut hat.
Das ist die Katze,die die Ratte getötet hat,
die das Malz gefressen hat,
im Haus, das Jack gebaut hat.
Das ist der Hund,der die Katze geärgert hat ,
die die Ratte getötet hat,
die das Malz gefressen hat
im Haus, das Jack gebaut hat.
– Diese Geschichte hat keinen Anfang, diese Geschichte hat kein Ende.
Das ist die krummhörnige Kuh,die den Hund geschüttelt hat,
der die Katze geärgert hat
die die Ratte getötet hat,
die das Malz gefressen hat
im Haus, das Jack gebaut hat.
Das ist die einsame Magd,die die krummhörnige Kuh gemolken hat,
die den Hund geschüttelt hat,
der die Katze geärgert hat,

die die Ratte getötet hat,
die das Malz gefressen hat

im Haus, das Jack gebaut hat.
Das ist der zerlumpte Mann,der die einsame Magd geküsst hat,
die die krummhörnige Kuh gemolken hat,
die den Hund geschüttelt hat,
der die Katze geärgert hat,
die die Ratte getötet hat,

die das Malz gefressen hat
im Haus, das Jack gebaut hat.
– So gesehen ist sie wie das Leben, bevor die Gedanken dazwischen kommen. –

Das ist…

Das ist der kahle Priester,der den zerlumpten Mann verheiratet hat,
der die einsame Magd geküsst hat,
die die krummhörnige Kuh gemolken hat,

die den Hund geschüttelt hat,
der die Katze geärgert hat,
die die Ratte getötet hat,
die das Malz gefressen hat
im Haus, das Jack gebaut hat.
Das ist der krähende Hahn,der den kahlen Priester geweckt hat,
der den zerlumpten Mann verheiratet hat,
der die einsame Magd geküsst hat,
die die krummhörnige Kuh gemolken hat,

die den Hund geschüttelt hat,
der die Katze geärgert hat,
die die Ratte getötet hat,
die das Malz gefressen hat
im Haus, das Jack gebaut hat.
Das ist der Bauer,dem der krähenden Hahn gehört hat,
der den kahlen Priester geweckt hat,
der den zerlumpten Mann verheiratet hat,

der die einsame Magd geküsst hat,
die die krummhörnige Kuh gemolken hat,

die den Hund geschüttelt hat,
der die Katze geärgert hat,
die die Ratte getötet hat,
die das Malz gefressen hat
im Haus, das Jack gebaut hat.
Worte!
Worte können es nicht ausdrücken.
Der Weg kennt kein Gestern,
kein Morgen,
kein Heute.

Vertrauen in den Geist

Eine weise, alte Eule

Eine weise,alte Eule sass in einer Eiche,
je mehr sie hörte, desto weniger redete sie,
je weniger sie redete, desto mehr hörte sie.
Warum sind wir nicht alle wie dieser weise, alte Vogel?

Jack Sprat

Jack Sprat konnte nichts Fettiges essen,
seine Frau konnte nichts Mageres essen,
und zusammen, wie man sieht,
leckten sie die Platte leer.

birds
Birds

Wenn weder Liebe noch Hass vorhanden sind, wird alles klar und offen. Macht man jedoch die kleinste Unterscheidung, werden Himmel und Erde unendlich weit voneinander getrennt. Wenn du die Wahrheit sehen willst, habe keine Meinung dafür oder dage- gen. Der Konflikt zwischen Vorliebe und Abneigung ist die Krankheit des Geistes.

Vertrauen in den Geist

Der Mann, der nicht da war

Als ich die Treppe hochstieg,
traf ich einen Mann, der nicht da war;
er war auch heute wieder nicht da,
ich wünschte, er bliebe weg. Hughes Mearns

Den Grossen Weg zu leben, ist weder leicht noch schwierig; aber die kleinmütigen Menschen sind ängstlich und unentschlossen: Je schneller sie vorwärtseilen, desto langsamer kommen sie voran, und ihr Anhaften ist grenzenlos. Selbst an der Idee der Erleuchtung anzuhaften, führt in die Irre. Lass die Dinge einfach sein, wie sie sind, dann gibt es weder Kommen noch Gehen.

Vertrauen in den Geist

Inchworm

rind
Rind
Inchworm,
Inchworm,
der die Ringelblume misst; mir scheint:
Würdest du bloss einmal anhalten,
könntest du ihre Schönheit sehen.
Inchworm,
Inchworm,
der die Ringelblume misst;
du und deine Arithmetik,
ihr werdet vermutlich weit kommen.
Menschenwurm,
Menschenwurm,
der die Ringelblume misst, mir scheint:
Würdest du bloss einmal anhalten,
könntest du ihre Schönheit sehen.
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Steinsuppe

drawing hands
Drawing Hands

Ein freundlicher, alter Fremder wanderte durch das Land, als er zu einem Dorf kam. Sobald er eintrat, zogen sich die Dorfbewohner in ihre Häuser zurück und schlossen Türen und Fenster.

Der Fremde lächelte und fragte: „Warum fürchtet ihr euch alle so sehr? Ich bin ei einfacher Reisender auf der Suche nach einem weichen Platz für die Nacht und einem warmen Ort für eine Mahlzeit.“

„Es gibt keinen einzigen Bissen in der ganzen Provinz“, wurde ihm gesagt. „Wir sind schwach und unsere Kinder hungern. Bitte gehen Sie weiter.“

„Oh, ich habe alles, was ich brauche“, sagte er. „Eigentlich hatte ich im Sinn, eine Steinsuppe zu machen, um sie mit euch allen zu teilen.“ Er zog einen Eisenkessel aus seinem Umhang hervor, füllte ihn mit Wasser und begann, ein Feuer unter ihm zu entfachen. Dann, mit grosser Feierlichkeit, entnahm er einem Seidenbeutel einen gewöhnlich aussehenden Stein und warf ihn ins Wasser.

Mittlerweile, das Gerücht von Nahrung hatte sich herumgesprochen, waren die meisten Dorfbewohner aus ihren Häusern gekommen oder schauten aus ihren Fenstern zu. Als der Fremde an der „Brühe“ schnupperte und sich mit der Zunge über die Lippen fuhr, wurde der Hunger stärker als ihre Furcht.

„Ahh“, sagte der Fremde zu sich selbst ziemlich laut: „Ich liebe eine schmackhafte Steinsuppe. Aber Steinsuppe mit Kohl – das ist natürlich kaum zu übertreffen.“

Bald näherte sich zögernd ein Dorfbewohner mit einem kleinen Kohl in der Hand, den er aus seinem Versteck geborgen hatte und fügte ihn dem Topf zu.

„Wunderbar“ rief der Fremde. „Wissen Sie, ich hatte einmal eine Steinsuppe mit Kohl mit ein wenig gesalzenem Rindfleisch darin, und das war eines Königs würdig.“

Der Dorfmetzger schaffte es, ein wenig gesalzenes Rind zu finden … und so ging es mit Kartoffeln, Zwiebeln, Karotten, Pilzen und so weiter, bis tatsächlich eine köstliche Mahlzeit vorhanden war, die für das ganze Dorf reichte.

Der Dorfälteste offerierte dem Fremden eine stattliche Summe Geld für den „magischen“ Stein, aber der Fremde weigerte sich, ihn zu verkaufen, und reiste am nächsten Tag weiter.

Auf dem Weg aus dem Dorf traf er auf eine Gruppe Kinder, die am Wegrand standen. Er überreichte den Seidenbeutel mit dem Stein dem jüngsten Kind und flüsterte der Gruppe zu: „Es war nicht der Stein, sondern die Dorfbewohner, welche die Magie vollzogen.“


– Portugiesisches Märchen
the white cat
The White Cat

Der Fuchs und die Katze

Ein Fuchs prahlte vor einer Katze über seine schlauen Mittel und Wege, seinen Feinden zu entkommen.

„Ich habe einen ganzen Sack voller Tricks“, sagte er, „ mit hundert Möglichkeiten, um allen Feinden zu entkommen.“

„Ich habe nur einen Weg“, sagte die Katze, „aber damit kann ich in der Regel zurechtkommen.“

Genau in diesem Augenblick hörten sie ein sich näherndes Rudel Jagdhunde. Die Katze sprang flugs auf einen Baum und versteckte sich im Laub.

„Dies ist mein Weg“, sagte die Katze. „Was wirst du tun?“

Der Fuchs dachte an seinen ersten Plan und machte sich daran, wegzuhuschen.

Aber dann kam ihm eine anderer, noch besserer Plan in den Sinn und er machte sich auf in eine andere Richtung.

Dann hielt er inne.

Es war ihm noch ein anderer Plan eingefallen, aber er war sich nicht sicher, ob er besser war als der zweite.

Während er überlegte, kamen die Hunde näher.

In seiner Verwirrung, welcher Plan der beste sein könnte, wurde der Fuchs schliesslich von den Hunden gepackt und vom Jäger getötet.

Die Katze hatte das ganze Geschehen aus ihrem sicheren Versteck im Baum beobachtet und sagte:

„Für den einheitlichen Geist, der mit dem Weg übereinstimmt, kommt alles selbstzentrierte Bemühen zu einem Ende. Zweifel und Unentschlossenheit verschwinden und ein Leben in echtem Vertrauen ist möglich. Mit einem Schlag sind wir von allen Banden befreit; nichts haftet an uns und wir haften an nichts. Alles ist leer, aus sich selbst heraus leuchtend, ohne die geringste Anstrengung der Geisteskraft. Hier sind Gedanken, Gefühle, Wissen und Vorstellung wertlos. In dieser Welt des Soseins gibt es weder Selbst noch Etwas-anderes-als-Selbst. Um direkt in diese Harmonie mit der Wirklichkeit einzutreten, sage einfach bei jedem auftretenden Zweifel ‚nicht zwei‘. In dieser Nicht-Zweiheit ist nichts abgetrennt, nichts ist ausgeschlossen. Ganz egal wann und wo: Erleuchtung bedeutet, in diese Wahrheit einzutreten. Und diese Wahrheit ist jenseits von Verlängerung oder Verkürzung in Zeit oder Raum; in ihr ist ein einziger Gedanke nicht anders als zehntausend Jahre.“

Vertrauen in den Geist

Wenn der Tod kommt

Wenn der Tod kommt
wie ein hungriger Bär im Herbst;

Wenn der Tod kommt und alle glänzenden Münzen aus seiner Börse nimmt,
um mich zu kaufen, und die Börse wieder schliesst;

wenn der Tod kommt wie die Masern;

wenn der Tod kommt
wie ein Eisberg zwischen den Schulterblättern,

will ich die Türe durchschreiten voller Neugierde, erwartungsvoll;
wie wird sie sein, diese Stätte der Dunkelheit?

Und deshalb betrachte ich alles
als eine Bruder- und Schwesternschaft

und sehe Zeit als nichts anderes als eine Idee
und erachte Ewigkeit als eine andere Möglichkeit und denke mir jedes Leben als eine Blume,
als eine gewöhnliche Wiese mit Löwenzahn, und als einmalig,
und jeden Namen als eine angenehme Melodie im Mund, die sich, wie jede Musik, der Stille zuneigt,

und jeden Körper als ein Löwe des Mutes, und etwas, das der Erde kostbar ist.

Wenn es vorbei ist, will ich sagen: Mein ganzes Leben lang war ich eine Braut,
die dem Staunen angetraut war;
war ich ein Bräutigam, der die Welt in den Armen hielt.

Wenn es vorbei ist, will ich mich nicht fragen,
ob ich aus meinem Leben etwas Besonderes und Echtes gemacht habe;

ich will mich nicht seufzend und ängstlich vorfinden oder voller Streit.

Ich will nicht enden als jemand, der auf der Welt bloss zu Besuch war.

Original: Englisches Gedicht von Mary Oliver, aus New and Selected Poems, Volume I

So soll man diese vergängliche Welt betrachten:
Ein Stern im Morgengrauen,
eine Wasserblase in einem Strom,
ein Blitz in einer Sommerwolke,
ein flackerndes Licht,
ein Phantom,
ein Traum.

Diamant-Sutra

Bilder Quellen:
M.C. Escher:
Solomon Grundy: ‘Relativität
Jack Sprat: ‘Birds
Inchworm: ‘Rinde
Steinsuppe: ‘Zeichnende Hände
Der Fuchs und die Katze: ‘White Cat
Diamant Sutra: ‘Hand mit Kugel

Dhyāna: Winter 2006

Wiegenlieder, Kinderreime, Fabeln und Märchen

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