Buddhas Lehre

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Das Zentrum für Zen-Buddhismus hat für das Jahr 2015 einen Kalender mit dem Thema «Die vier Edlen Wahrheiten» (Buddhas Lehre) herausgegeben. In dieser Nummer von Dhyāna möchte ich, der Struktur des Kalenders folgend, jede dieser Wahrheiten etwas erweitert betrachten. Wer den Kalender zur Hand hat, kann ihn zusammen mit der Zeitschrift benutzen.

Die Einsicht

Was der Buddha in tiefer Meditation unter dem Bodhibaum sah, war die allumfassende Wahrheit über die menschliche Geistesverfassung auf dieser Erde. Nach dieser Erleuchtung brachte er eine längere Zeit damit zu, diese Erfahrung zu verdauen und zu verarbeiten. Dieser Prozess ermöglichte es ihm, das, was «ausserhalb dieser Welt», d.h. ohne Worte ist, «in diese Welt», d.h. in den Bereich von Gedanken und Sprache zu bringen. Es ist derselbe Prozess, den viele erleben, die einmal an einem längeren Schweigeretreat teilgenommen haben. Mit anderen Worten: Es braucht eine gewisse Zeit, in «diese Welt» zurückzukehren, wenn man in der «Welt der Geistesstille» war. Der Buddha beschloss, dies für sich allein und im Schweigen zu vollziehen. Denn es ist so leicht, in den alten Trott zurückzufallen, wenn man nicht wach und aufmerksam bleibt, sobald sich alte Gewohnheiten und Rituale einzuschleichen drohen.

Nachdem der Verdauungs- und Assimilationsprozess vollendet war, widerstrebte es dem Buddha, seine subtilen Erfahrungen mit anderen zu teilen. Erst Brahmā Sahampati konnte ihn schliesslich überzeugen, dass er die Prinzipien, die er in seinem Samadhi entdeckt hatte, anderen verständlich machen sollte. Also verbrachte er die 45 Jahre seines restlichen Lebens damit, dies zu tun.

Die Ganze Lehre

Die ganze Lehre Buddhas ist in den Vier Edlen Wahrheiten und im Achtfachen Edlen Pfad enthalten. Die Edlen Wahrheiten spiegeln sich im Edlen Pfad und umgekehrt. Die Wahrheiten und der Pfad gehören zusammen wie die Teile eines Puzzles. Es ist auch nichts anderes zu erwarten – es gibt nur eine Wahrheit. Die Worte, die die Edlen Wahrheiten und den Edlen Pfad beschreiben, sind nur Annäherungen an die wortlose Erfahrung, die ihnen zugrundeliegt. Der Buddha zögerte auch deshalb lange, diese Konzepte zu lehren, weil er wusste, wie schnell die Menschen dazu übergehen, an Konzepte zu «glauben», statt sich damit auseinander zu setzen und sich selber zu «beweisen». Es ist ein schwacher Trost zu sehen, dass wir Menschen vor 2500 Jahren genau so dickköpfg waren wie heute – so viel zu unserer Entwicklung.

Die Vier Edlen Wahrheiten (Januar)

1. Das Leben ist Dukkha
2. Die Ursache von Dukkha
3. Das Beenden von Dukkha
4. Der Weg zum Beenden von Dukkha

Der Buddha drückte sich in Bezug auf die menschliche Geistesverfassung auf dieser Erde sehr klar und wissenschaftlich aus. Als Erstes stellte er fest, was das grundlegende Problem ist und schon immer war, nämlich: Das Leben ist Dukkha! Dann legte er die Ursache des Problems dar – die Ursache von Dukkha – und dann die Lösung des Problems – das Beenden von Dukkha – und schliesslich den Weg, der die Lösung verwirklicht – der Weg zum Beenden von Dukkha. Klarer kann es nicht sein. Es bedarf keiner Intervention von aussen. Die Priester und Prediger, die Psychologen und Psychiater haben dasselbe Problem wie du und ich. Es gibt keine Experten, die dieses Problem für einen lösen. Es ist unsere eigene Aufgabe, die Vier Edlen Wahrheiten zu verstehen und durch dieses Verstehen die eigene Unwissenheit zu überwinden.

Was ist Dukkha? (Februar)

Dukkha ist Buddhas Defnition des menschlichen Schicksals.

Dukkha umfasst die ganze Bandbreite der menschlichen Erfahrungen; Geburt, Alter, Krankheit, Tod, in all ihren physischen und psychischen Manifestationen. Wir alle schwimmen und versinken in dieser Welt von Dukkha. Wir alle haben eine traurige Geschichte zu erzählen. Wir alle sind geboren und werden sterben. Warum hassen wir uns dann gegenseitig? Warum hassen wir uns selbst? Warum? – Aus Unwissenheit. Welche Unwissenheit – Unwissenheit über die Vier Edlen Wahrheiten, das ist alles!

Der Buddha unterteilte das Konzept von Dukkha in diversen Facetten. Jede Facette muss durch und durch verstanden werden, damit man von ihren Auswirkungen frei wird. Dieses Verstehen ist nicht intellektuell. Es ist kein Gedankenspiel. Es besteht in einer Erfahrung, die erlebt und verdaut werden will. Der Buddha nannte folgende Facetten, die Dukkha manifestieren:

… als Gewöhnliches Leiden (März)

Das ist das körperliche und mentale Leiden im ewigen Kreislauf von Geburt, Alter, Krankheit und Tod. Wir alle kennen dies intuitiv. Wir sehen die Natur ihre vier Jahreszeiten durchlaufen. Wir pfanzen neue Samen im Frühling und im Herbst ziehen wir die toten Pfanzen aus dem Boden. Wir spazieren durch den Wald und bestaunen gleichzeitig die Frühlingsblumen und das morsche Holz. Wir sehen Bienen von Blüte zu Blüte fiegen und fnden sie im Spätsommer erschöpft und sterbend am Boden liegen. Wir sehen unsere Lieben altern und sterben. Wir akzeptieren all dies als den natürlichen Kreislauf des Lebens, ausser wenn es uns selbst betrifft. Warum?

… als Veränderung (April)

Das Leiden am Versuch, die Dinge festzuhalten, die sich andauernd verändern. Nichts steht still, aber viele von uns investieren viel Zeit, Energie und Ressourcen in den Versuch, geliebte Dinge für immer zu behalten. Sei es ein überfüllter Schrank voller gestriger Plüschtiere oder ein überfüllter Geist voller Erinnerungen an Dinge, die nie so toll waren in der Realität – wir sind Meister im Sammeln. Warum?

… als Bedingte Persönlichkeitsfaktoren (Mai)

Die Fünf Skandhas bewirken eine grundsätzliche Unzufriedenheit mit dem menschlichen Dasein, weil sich nirgendwo ein Kern oder eine Substanz finden lässt.

Die Fünf Skandhas sind: körperliche Form, Gefühl, Wahrnehmung, Geistesformationen, Bewusstsein. Wir investieren viel von unserer Lebensenergie in die Kultivierung von Wurzeln im Treibsand. Wir haben unsere Traditionen, unsere Geschichte, unseren Nationalismus, unsere Familie, unsere Sippe, unser «Dies» und «Das»; das sind lauter Produkte unseres Denkens. Und wie wir alle wissen: Gedanken sind unbeständig. Das Denken mag unaufhörlich weitergehen, immer bereit, das Loch unserer Leere, unserer Wurzellosigkeit, unserer Einsamkeit zu füllen. Damit kann es uns momentanen Komfort bescheren, bis wir ‒ aus den Augenwinkeln ‒ die Leerheit von all diesem sehen.

Die Skandhas bilden das mentale Selbst (Juni)

Der Buddha lehrt, dass die Fünf Skandhas leer sind, d.h. sie existieren nur als mentale Konstruktionen, als unsere persönlichen mentalen Vorstellungen.

Das menschliche Wesen ist ein Prozess, der nach sinnlicher Befriedigung und Dauerhaftigkeit strebt. Das ursprüngliche «Selbst» existiert jenseits von Zeit und Raum und ist bloss in die mentale Konstruktion – diesen Prozess – «gekleidet», damit es in der Welt bestehen kann. In unserer Unwissenheit halten wir den Prozess für unser wahres Selbst.

Wir sind das, was wir denken. Alles, was wir sind, entsteht mit unseren Gedanken.
Mit unseren Gedanken erschaffen wir die Welt.
Dhammapada, Spruch-Paare

Die Fünf Skandhas sind nicht dafür da, gelesen zu werden, damit einverstanden oder nicht einverstanden zu sein, um dann komfortabel in einer mentalen Schublade verstaut zu werden. Diese Worte sagen, dass du nicht wirklich als Sally oder Sam, Hans oder Hanna oder wie auch immer du heissen magst, existierst. Jede Person ist, psychologisch gesehen, ein Geschöpf des Denkens. Denke darüber nach, wenn du es wagst.

Prozess

Jeder Mensch ist ein Prozess, ein Geschehen, und das bedeutet Bewegung und Veränderung. Wie viel von dir ist noch dasselbe, wie vor einer Woche, einem Monat, einem Jahr – sowohl physisch als auch psychisch? Aber wir, in unserer Unwissenheit, wollen die Dinge für immer so haben, wie sie sind/waren. Wir sind dauernd im Konfikt mit «was ist» und «was sein sollte». Das ist ein aussichtsloser Kampf, aber viele Menschen verbringen ihr ganzes Leben mit dem Versuch, diesen Kampf zu gewinnen. Wir sind Dukkha-gefangen. Warum?

Das ursprüngliche «Selbst» – der Zustand von Nicht-Ignoranz – kann nur in tiefer Meditation gesehen werden, wenn sämtliche mentalen Konstruktionen weggefallen sind. Wenn das Denken zur Ruhe gekommen ist und Stille herrscht, dann «sieht» man sein eigenes «ursprüngliches Gesicht». Der Buddha sagte, dass wir dies vollbringen können. Wir können das «Abfallen» der mentalen Konstrukte selbst erleben. Man frage sich noch einmal: «Warum bin ich zu beschäftigt, um dies selber zu entdecken. Warum suche ich noch immer Ausreden?»

Form, Gefühl, Wahrnehmung, Geistesformationen, Bewusstsein (Juli)

Form, Gefühl, Wahrnehmung, Geistesformationen und Bewusstsein passen zusammen wie die fünf Matrjoschka-Puppen. Jede trägt etwas bei zur Matrix, die man als sein «Selbst» bezeichnet. Jede entpuppt sich beim Öffnen als leer. Es gibt kein Kernelement.

In tiefer Meditation kann man die Matrjoschka-Puppen, die das «Selbst» ausmachen, öffnen und feststellen, dass sie leer sind, ohne Substanz.

«Shāriputra, Form ist nicht anders als Leere und Leere ist nicht anders als Form.»

– aus dem Herz-Sutra

Form und Name existieren zusammen. Wir haben Namen für alles, was unsere sechs Sinne wahrnehmen. Wenn etwas keinen Namen hat, geraten wir in Panik, bis ein Name gefunden ist. Man beobachte sich bloss selbst, wenn man konfrontiert wird mit einem Objekt, einem Geruch, einem Geräusch oder sonst einem Sinnesreiz, für den man keinen Namen hat – man gerät in eine Art Panikzustand. Das Gehirn versucht feberhaft in den eigenen gespeicherten Erinnerungen oder in fremd gespeicherten Erinnerungen (z.B. Google) nach etwas, das ihm hilft, die Dinge verstehbar zu machen.

Sieht Leere so aus?

Wenn man den Objekten ihre Namen wegnimmt, dann verlieren sie ihre vorgegebene Definition, nicht wahr? Man probiere es selbst. Alles verschwimmt, die gut defnierten Konturen existieren nicht mehr. Es ist, wie in ein Blumenfeld zu schauen, ohne die einzelnen Blumen zu unterscheiden. Das Blumenfeld wird zu einem Feld von Farben. Sieht Leere so aus? Vielleicht nicht, aber man kommt der Sache näher. Die Sinne haben noch immer einen Einfuss. Wenn die Sinne das Gehirn nicht länger stimulieren, den Geist nicht mehr reizen, was bleibt dann übrig?

«In der Leere gibt es nichts zu sehen, nichts zu hören,
nichts zu schmecken, nichts zu fühlen, nichts zu denken, kein Wissen und kein Nicht-Wissen, kein Alter und Tod sowie kein Auslöschen von Alter und Tod, kein Leiden, keine Ursache des Leidens, kein Beenden des Leidens und keinen Weg zum Beenden des Leidens.» Aus dem Herz-Sutra

Was ist die Ursache von Dukkha? (August)

«Das ist die edle Wahrheit von der Entstehung von Dukkha:

  • Das Begehren nach sinnlicher Befriedigung,
  • Das Begehren nach Existenz,
  • Das Begehren nach Nicht-Existenz»

-aus dem Dhammacakkappavattana Sutta übersetzt von Thanissaro Bhikkhu

In einem Wort, die Quelle von Dukkha ist – Begehren.

In vielen Worten ist es: Ablehnung, Absicht, Appetit, Ärger, Bedrängnis, Bedürftigkeit, Begeisterung, Be- hagen, Drang, Durst, Empörung, Enthusiasmus, Emotion, Erregung, Eifer, Eksta- se, Gefühle, Gemütsbewegung, Gier, Heftigkeit, Hunger, Inbrunst, Kauffeber, Liebe, Leidenschaft, Lust, Mangel, Mitgefühl, Neid, Pficht, Rastlosigkeit, Rausch, Reizbarkeit, Seelenqual, Sehnsucht, Sinnlichkeit, Schmerz, Sucht, Schwäche, Tatendrang, Trübsal, Trunkenheit, Überschwang, Unbehagen, Unersättlichkeit, Ungeduld, Vehemenz, Verlangen, Verzückung, Völlerei, Vorliebe, Widerwillen, Wille, Wut, Zorn – inklusive alle ihre Synonyme!

Aber Begehren ist nicht die Hauptursache von Dukkha.

Die Hauptursache von Dukkha ist – Unwissenheit.

Welche Unwissenheit?

Unwissenheit über die Vier Edlen Wahrheiten.

Bedingte Entstehung

Der Buddha formulierte das ganze Drehbuch unseres Leben in einer Darlegung, die «Bedingte Entstehung» oder «Entstehen in Abhängigkeit» genannt wird (Pratītya-Samutpāda):

Aus der Unwissenheit kommen Geistesregungen,
aus Geistesregungen kommt Bewusstsein,
aus Bewusstsein kommen Name und Form,
aus Name und Form kommt der sechsfache Sinnesbereich,
aus dem sechsfachen Sinnesbereich kommt Kontakt,
aus Kontakt kommt Gefühl,
aus Gefühl kommt Begehren
aus Begehren kommt Anhaften/Aufrechterhalten,
aus Anhaften kommt Werden,
aus Werden kommt Geburt,
aus Geburt kommen Alter, Tod, Kummer, Trauer, Unheil, Missstimmung und Verzweifung.
So verhält es sich mit der Entstehung dieser ganzen Masse von Leiden.»

Diese Kettenreaktion fndet natürlich auch in umgekehrter Richtung statt: «Durch das gänzliche Aufhören und Verschwinden des Nichtwissens nun hören die Geistesregungen auf usw.» Der Buddha fasste seine Erkenntnis wunderbar zusammen in den Worten:

Dieses ist, weil jenes ist.
Dieses ist nicht, weil jenes nicht ist.
Dies hört auf zu sein, weil jenes aufhört zu sein.

So ist es. «Bedingtes Entstehen» ist ein momentanes «Geschehen». Es passiert andauernd, in jedem Augenblick. Es ist gewissermassen die Geschichte unseres Lebens; und für die meisten ein vollkommenes Mysterium ihr Leben lang. Aber jetzt, da man dies gelesen hat, kann man es nicht länger ignorieren – oder doch?

«Ich kannte nichts als Schatten und meinte, sie seien wahr.» – Oskar Wilde

Was ist das Beenden von Dukkha? (September)

«Das ist die edle Wahrheit vom Beenden von Dukkha: Das restlose Verblassen und Verschwinden, das Aufgeben, sich Lösen und Loslassen und sich vollständig Trennen von diesem Begehren» -aus dem Dhammacakkappavattana Sutta übersetzt von Thanissaro Bhikkhu

Ist irgendeine unserer Taten «Restlos»? Gibt es irgendeine Erfahrung, die keine Spuren hinterlässt, keine Überbleibsel, keine Erinnerung? Wir katalogisieren doch alles in unserer Gedächtnisbank, oder? Wir sind stolz darauf, nichts zu vergessen. Ich spreche hier nicht von sachbezogenen Erinnerungen. Nicht die Erinnerungen an Fakten des Lebens, die wir brauchen, um auf diesem Planeten zu überleben. Ich meine nicht das Erinnern von 1+1=2. Nein, ich spreche von der Erinnerung daran, dass der Mathematiklehrer, der mir das Rechnen beibrachte, ein Tyrann/toller Typ war, an den zu denken, mich noch heute wütend/glücklich macht – und in welchem chronologischen Alter befand ich mich damals?

Wir haben unseren Kopf voll von solchen gehorteten Erinnerungen, die uns dazu dienen, uns daran zu erinnern, wer wir in unseren eigenen Augen sind. Jedes solche Überbleibsel ist ein Ziegelstein in der Wand die uns die «Sicht» auf die Wirklichkeit auf der anderen Seite der Wand verstellt. Und ist ein Teil von dem, was ich «Ich» nenne.

Frühlingsblume

Man sieht eine neue Frühlingsblume, und was tut man? Man sucht ihren Namen im Gedächtnis. Die Zeit vergeht. Das innere DuckDuckGo-System zieht einen Namen hervor, aber man ist nicht sicher, ob er stimmt – mehr Zeit vergeht. Nun regt man sich auf oder schämt sich, dass man den Namen einer Blume vergessen hat – mehr Zeit vergeht. Man schaut die Blume nicht mehr an; höchstwahrscheinlich hat man sie bereits hinter sich gelassen, aber das Gehirn arbeitet weiter an der Identität der Blume und an der vermeintlichen eigenen Dummheit, ihren Namen vergessen zu haben. Dieses fehlende Erinnerungsvermögen wird alsdann als ein Faktor in das eigene Selbstbildnis eingebaut.

Man sucht vielleicht nach Entschuldigungen für das fehlende Gedächtnis oder gibt diesen oder jenen äusseren Umständen die Schuld oder versucht, das Versagen in irgend einer mentalen Ecke zu vergraben oder man macht eine Ausbildung in «Blumen-Namen-Wissen». So oder so, man fragt sich nie: «Wozu muss ich den Namen der Blume wissen? Warum kann ich sie nicht einfach betrachten?» Man sagt niemals: «Ich habe mir nie überlegt, warum ich Blumen immer nur im Hinblick auf ihren Namen anschaue.» Man wird diese Scharade nie durchschauen als ein Verlangen, eine Gewohnheit, ein Überbleibsel aus einer vergangenen Zeit. Und solange man nicht erkennt, wie diese Dinge – wie in diesem kleinen Beispiel – das eigene Leben gestalten, Tag für Tag, und schliesslich die Gesamtheit der ganzen Existenz ausmachen, solange ist man in Dukkha gefangen. Ganz abgesehen davon, letztlich kümmert es niemanden, welche Meinungen ich habe. Warum sollte ich selbst es tun?

Was ist der Weg zum Beenden von Dukkha? (Oktober)

«In gleicher Weise sah ich einen alten Pfad, eine alte Strasse, auf der die Buddhas der Vergangenheit wanderten. Und was ist dieser alte Pfad, diese alte Strasse, auf der die Buddhas der Vergangenheit wanderten?

Einfach dieser edle achtfache Pfad:
Rechte Sicht,
rechtes Bestreben,
rechtes Reden,
rechtes Tun,
rechter Lebensunterhalt,
rechtes Bemühen,
rechte Achtsamkeit,
rechte Konzentration
….Diesem Pfad folgte ich.»
– aus dem Nagara Sutta übersetzt aus dem Pali von Thanissaro Bhikkhu

Der Buddha «sah» einen alten Pfad. Ein alter Weg, der schon viele Male benutzt worden war. Er nannte ihn den «Achtfachen Pfad». Alle Elemente, alle Facetten dieses Weges existieren gleichzeitig. Rechtes Bestreben folgt nicht auf rechte Sicht. Es ist verfochten mit rechter Sicht. Ebenso wie rechte Sicht verfochten ist mit rechtem Reden. Alle acht genannten Zweige sind wie die Fäden, die ein Stück Stoff ergeben. Man folgt ihnen simultan. Und sie alle enden simultan. Wo beginnt dieser Pfad? – Er beginnt genau dort, wo man in diesem Augenblick ist. Wie weit geht er? – Wie lange dauert eine Lebensspanne? Wo endet er? – Man fnde dies selbst heraus. Beginne jetzt! Oder ist man zu sehr beschäftigt mit irgendeiner Trivialität?

Der Buddha sprach: (Dezember)

Betrachtet die Welt mit eurem «ursprünglichen Gesicht» und seht sie so, wie sie ist und nicht, wie wir sie uns zu sein wünschen. Es gilt, die eigenen Wünsche von «Dieses-oder-jenes-sein-wollen» als ein Kopfspiel und eine Scharade zu durchschauen. Alles, was geboren wurde, wird bald vergehen. Dies kann man nicht ändern, man mag sich noch so anstrengen. Man sollte das Leben in Harmonie mit dem Leben leben so, wie es ist und nicht als dessen Möchtegern-Meister. Man ist Meister über gar nichts, wenn man sich nicht selbst meistert.

«Ich sage euch:
So sollt ihr unsere bedingte Existenz in dieser vergänglichen Welt betrachten:
Wie ein Tautropfen,
eine Luftblase in einem Strom,
ein Blitz in einer Sommerwolkeein
fackerndes Licht,
ein Phantom,
ein Traum.
So betrachte man die ganze bedingte Welt.»
– Aus dem Diamant-Sutra

dhyana-joke
Das Schöne ist, dass ich, solange ich nicht an meinen Sachen hänge, nichts davon aufgeben muss.

Anhang: «Sehen» = Einsicht = verwirklichen

Im vorangegangenen Text wurde im Zusammenhang mit Buddhas Erfahrungen des Öfteren das Wort «sehen» verwendet. Dieses «Sehen» ist keine Funktion der physischen Augen. «Sehen» ist identisch mit «Einsicht» und impliziert die unmittelbare Verwirklichung, wie es im folgenden Text von J. Krishnamurti dargelegt wird:

«Man hat eine Einsicht und aus dieser Einsicht heraus handelt man. Diese Handlung ist sinnvoll, vernünftig, natürlich, gesund. Es bedeutet nicht, dass man eine Einsicht hat und dann das Gegenteil tut; das wäre keine Einsicht.

Nehmen wir, zum Beispiel, die Einsicht in die Wunden und Kränkungen, die man in der Kindheit erlitten hat. Alle Menschen werden im Laufe des Lebens, von der Kindheit bis zum Tod, aus dem einen oder anderen Grunde verletzt. Man ist psychisch verwundet.

Wahrnehmen

Nun, komme zur Einsicht in die ganze Natur und Struktur dieser Wunde: Du bist verletzt, verwundet? Seelisch? Du könntest zu einem Psychologen, Analytiker, Psychotherapeuten gehen und dieser könnte die Ursache deines Schmerzes bis in die Kindheit zurückverfolgen: Deine Mutter war dies und dein Vater war jenes usw. Aber das Aufspüren der Ursache allein löst den Schmerz nicht auf. Die Verletzung ist da. Die Folgen sind Isolation, Angst, Widerstand. Um bloss nicht mehr verletz zu werden, kapselt man sich selbst ein. Wir alle kennen das. Es ist das ganze Verletzungs-Muster. Die Verletztheit ist das Bild, das man sich selbst über sich selbst geschaffen hat. Solange dieses Bild besteht, solange tut es weh; das ist offensichtlich.

Eine Einsicht in all dies zu haben ‒ ohne zu analysieren ‒ , heisst, es sofort wahrzunehmen; dann ist eben dieses Wahrnehmen die Einsicht. Sie erfordert deine ganze Aufmerksamkeit und Energie. In dieser unmittelbaren Einsicht verschwindet die Verletzung. Diese Einsicht löst den Schmerz vollkommen auf, ohne eine Spur zu hinterlassen, restlos. Und deshalb kann dich niemand mehr verletzen. Das Bild, das du von dir selbst geschaffen hast, existiert nicht mehr.»

Hat man den Mut, die «Verletzung aufzulösen»? Oder verliert man zu viel seines «nicht-ursprünglichen» Gesichts, zu viel von dem, was «man für sich selbst ist»? Kann man ohne diese psychologischen Krücken leben? Kann man?

Sommer 2015

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