Beziehung, Meditation, Masoala und mehr

masaola

Beziehung zu…

Beziehung zu Orten
Beziehung zu Menschen/Lebewesen
Beziehung zu Ideen
Beziehung zu mir selbst

Traveling light ohne Extragepäck im Masoala-Wald ist das, woraus Beziehung besteht.

Meine Beziehung zu Orten
Meine Beziehung zu Menschen/Lebewesen
Meine Beziehung zu Ideen
Meine Beziehung zu mir selbst

Diese Beziehungen gestalten die Inhalte meines Bewusstseins. Traveling Light ist Beziehung ohne Extragepäck.

Traveling Light ist Bewusstsein ohne Extragepäck.
Und Meditation? Meditation bedeutet, das Bewusstsein vom Extragepäck zu entleeren.

Meditation

(überarbeitete Darlegung von Robert während eines Tagesretreats im Mai 2009 ) Was ist Meditation?

Die Frage hier ist nicht, wie – wie mache ich Meditation? – und nicht warum – sondern: Was ist Meditation ?

Wir benutzen dieses Wort so oft: Ich meditiere, sie meditiert, Zen-Meditation, christliche Meditation, transzendentale Meditation, buddhistische Meditation, thailändische Meditation, Appenzeller-Meditation. Gibt es so viele Arten, gibt es so viele Methoden?

(Pause)

Meditation ist die Entleerung des Bewusstseins von den Inhalten. „Entleerung“ – „Bewusstsein“ – „Inhalt“.

(Pause)

Bewusstsein

Was ist Bewusstsein?
Wenn ich mich frage: „Was ist Bewusstsein?“ Wie lautet die Antwort?
Probiert es selbst aus!
Bekommt man nicht eine Parade von Gedanken, die einem logisch erklären, was Bewusstsein ist?
Denkt ihr, meine Gedanken sind die gleichen wie eure Gedanken? Vielleicht ähnlich, aber sicher nicht die gleichen.
So habe ich meine Definition von Bewusstsein und ihr habt die eurige.
Wie viele Versionen von Bewusstsein gibt es?
Oder gibt es vielleicht nur – Bewusstsein?

Nimm ein Glas reines, durchsichtiges Wasser und füge etwas Himbeersirup dazu; Farbe und Konsistenz ändern sich. Das Wasser bleibt dasselbe. Es scheint bloss etwas anderes zu sein. Was ich „mein“ Bewusstsein nenne, ist der Himbeersirup, der die Transparenz des Wassers im Glas trübt. Ich erkenne dieses getrübte Bewusstsein als mein eigenes. Meines ist Himbeere, deines ist Zitrone, aber die unterliegende Wirklichkeit ist formlos, farblos, ohne Geschmack, ohne Meinung, ohne Ego.

(Pause)

Bewusstsein ist Wirklichkeit.

Und Entleerung von den Inhalten des Bewusstseins bedeutet, mit der Wirklichkeit eins zu sein: Ich und Wirklichkeit sind eins.
Ich spreche hier aber nicht vom Ich als dem persönlichen Ego, sondern von der „Vor-Vater-und Mutter-Essenz“, wie es im Zen auch heisst.

Wir sind Bewusstsein.

Wir sind Bewusstsein, oder wie ein Zen-Meister sagen würde: „Zeige mir dein ursprüngliches Gesicht“. Die Maske der Identität ablegen, die Essenz aus dem Wasser heraus destillieren bedeutet, „das Bewusstsein seines Inhaltes entleeren.“

Der Inhalt ist das, was uns trennt. „Mache den kleinsten (unterscheidenden) Gedanke und Himmel und Erde sind unendlich weit voneinander entfernt“ – so wird es in einem Zen-Text gesagt.

Ein Gedanke – und Himmel und Erde sind was? – Getrennt. Denkt darüber nach!

Also: Meditation bedeutet die Entleerung von Inhalt.
„Ah gut, jetzt habe ich etwas zu tun, jetzt bin ich ein Entleerer.“ – Quatsch!

Denn auf diese Weise ersetze ich den Inhalt, den ich entleeren will, bloss durch einen anderen. Und so wird das Entleeren eine Endlosschlaufe, ein Karussell, ein Hund, der sich in den eigenen Schwanz beisst. Das ist ein Paradox, oder? Wie kann man entleeren, ohne einen neuen Inhalt zu schaffen?

(Pause)
Entleerung – nun – welcher Inhalt muss entfernt werden?

Vielleicht können wir dies aus einem anderen Winkel betrachten.
Was ist es konkret; was für eine Gedankenform in meinem Bewusstsein macht mich zu dem, was ich denke, das ich bin? Woraus besteht meine Identität?

Meine formulierten Ideen

Meine formulierten Ideen, mein Glaube an …, meine Traditionen, mein Nationalität, meine Familie – das, was ich denke, das ich bin – diese Gedankenform, diese Identität, ist mein Problem; das ist der Himbeersirup im klaren Wasser.

Vorher sagte ich „Denkt darüber nach“ und gleichzeitig sage ich: „Das Denken ist unser Problem“. Bin ich etwa verrückt?

Aber Denken hat verschiedene Funktionen. Ich muss denken, um in dieser Welt zu überleben. Ich muss mich erinnern, wenn ich mit dem Tram nach Hause fahren will, von wo bis wo zu fahren ist, wo ich umsteigen muss. Dieses Denken, das nötig ist, um in der Welt zu leben, ist kein Problem – aber muss ich dauernd daran denken, wenn meine Frau mir heute Morgen etwas meiner Meinung nach Schlimmes gesagt hat, oder etwas Nettes? Muss ich, voll von Nettigkeit, dauernd daran denken, was für ein netter Kerl ich doch bin? Ist das nötig?

Wer zum Teufel bin ich

Ich steige in das Tram Nr. 14 in Richtung Zürich-Zentrum. Ich setze mich hin. Mit dem iPod in einem Ohr, dem Mobiltelefon am anderen – „Hallo?“ – lese ich die Morgen-Gratiszeitung auf dem Schoss und überlege mir, wo ich heute das Mittagessen einnehmen soll. Wer zum Teufel bin ich in diesem Augenblick? Und wo bin ich in diesem Moment? Wo ist die Stille, die ich immer zu erlangen wünsche? Jeder dieser „Apparate“, die meine Ohren, Augen und Hände besetzen, sind bloss mehr Himbeersirup im Glas voller klaren Wassers.

Sind wir nicht genau so beschäftigt in unserem Kopf, jede Mikrosekunde am Tag, mit oder ohne diese Dinge?

Ist dann nicht alles weg?

Wenn ich eine Arbeit mache oder etwas tue, das ich liebe – malen, musizieren, Tai Chi, Kalligraphie – etwas, das mich packt – wenn ich mitten drin bin in diesem Kontakt, kann ich dann über etwas anderes nachdenken? Ich spiele z.B. Geige in einem Orchester. Mache ich mir Sorgen darüber, was die Zuschauer denken oder was der Dirigent denkt, dann hört man dies sofort: „Mauuu“! Wenn ich male, das Bild klar vor Augen direkt mit dem Pinsel mit Öl auf die Leinwand übertrage und dann den Gedanken dazwischen schiebe: „Ah, das ist schön…“, ist dann nicht alles weg – der zauberhafte Moment – der magische Moment ohne den Gedanken, was für ein grossartiger Maler ich bin? Dieser magische Moment des klaren Bewusstseins – er ist weg.

Oder ich bin mit jemandem in ein Gespräch vertieft und alles geht ziemlich gut. Dann fallen ein paar Worte, die mich froh machen oder verletzen und schon kommt das Gespräch ins Stocken.

Kann ich Yoga machen, wenn ich über andere Dinge nachdenke? Kann ich Teil der Bewegung sein oder bin ich dann getrennt davon? Es geht nicht.

Wir alle haben diese Erfahrungen. Sollte jemand sagen: „Mir passiert das nicht“, lautet meine Antwort: „Du hörst nicht auf das, was sich in dir abspielt.“

(Pause)

Was ist Meditation?

Entleerung – Inhalt – Bewusstsein. Man muss zuhören, man muss beobachten, andernfalls weiss man nie, was der Inhalt ist. Aber beobachten ohne Wertung, ohne Meinungen, nur anschauen, was im Kopf vor sich geht! Gewahr sein. Gewahrsein ohne zu wählen.

Wenn ich etwas male mit dem Pinsel in der Hand – mache ich da jeden Augenblick eine Entscheidung, wie weit der Pinsel gehen soll, oder geschieht es einfach aus dem Herzen heraus, rund, vollkommen, wie die Kalligrafie und der berühmte Kreis der Zen-Meister? Das, was zwischen den Gedanken passiert, ist Ruhe, echte Ruhe. Darin fliesst alles automatisch. Der Kreis ist kein Produkt des fortlaufenden Denkens. Alles geschieht parallel. Eine Billion Kanäle sind gleichzeitig offen. Vielleicht erleben wir alle solche Momente, aber wir haben keine Ahnung, dass dieses Neu-Sein immerzu vorhanden ist.

Entleeren!

Entleerung: Zuerst muss man also wissen, was es zu entleeren gibt. Durch dieses Gewahrsein bekommt man eine Ahnung, wie viel Quatsch einem durch den Kopf geht, wie viel „elektrisches Rauschen“ herrscht und wie wenige der Gedanken nötig sind. 99.99% der Gedanken haben nichts zu tun mit dem eigentlichen Leben. Aber sie haben zu tun mit der Angst vor dem Leben.

Wenn man Gedanken gebraucht, wenn Gedanken nötig sind, dann benutzt man den Geist so, wie er aus sich selbst heraus wirkt. In den restlichen 99.99% der Zeit ist der Geist still, gewahr, wachsam, offen, ohne mit sich selbst über „Abfall“ zu diskutieren.

Wir sitzen hier, die Glocke klingt „ding ding ding“. Die Meditationsperiode beginnt.

Als Erstes gilt es, den Körper bequem zu halten. Es gibt nicht Masochistisches am Sitzen.

Wenn der Körper bequem ist, hört das Gehirn nichts oder wenig von den Sinnen. Alles ist zufrieden. Keine Verkrampfung ist nötig, denn man kann sich immer ein wenig bewegen. Die Wirbelsäule ist aufrecht. Alles hängt von der Wirbelsäule ab. Die Sinne sind in Ruhe, das Gehirn wird nicht von ihren Reizen überflutet – der Körper ist ruhig.

Was geschieht dann?

All die Gedanken, die unter der Oberfläche waren, kommen in Erscheinung. Sie sprudeln empor wie die Blasen in einem Glas Champagner – mehr, mehr, und mehr, und bald ist mein Kopf mit Schaum gefüllt. Woraus besteht dieser Schaum? „Er hat mich verletzt, heute, gestern“, „Hey, mein Lehrer hat gesagt, ich sei …..“, „Was wird morgen sein?“, „Was werde ich in Zukunft machen?“, „Meine Mutter hat mich immer gehasst – sie ist vor dreissig Jahren gestorben“, „Ich mache es so wie mein Vater es gemacht hat – er ist auch vor dreissig Jahren gestorben“. Das ist alles Schaum, Luftblasen. Das ist der Inhalt, das grosse Gepäck, das wir ständig mit uns herumtragen.

Ist es nicht nötig, sich zu fragen, warum man im Gedächtnis behalten soll, was jemand über einen gesagt hat, sei es schlimm oder gut? Warum ist das wichtig? Es ist wichtig, dass ich mich erinnere, dass der Schlüssel zu dieser Türe in meiner Tasche ist. Aber warum ist es wichtig zu erinnern, dass mich jemand ein, zwei, dreimal verletzt hat? Und dass ich jedes Mal, wo ich mich erinnere, einen guten Roman schreibe über diese Ungerechtigkeit? Ich weiss, dass es Dinge gibt, an die man sich erinnern muss, ich weiss, dass ich denken muss. Aber ist es wichtig, traurig oder ärgerlich zu sein über etwas, das jemand vor zwanzig oder dreissig Jahren oder gestern oder heute zu mir gesagt hat?

Masoala-Regenwald

Der Eingang zur „Masoala-Halle“ führt durch einen langen rechtwinkligen Tunnel. Eine überdachte Brücke, die zwei Welten verbindet. Eine davon war an diesem Vor-frühlings-Zürich-Tag kalt, feucht und windig, die andere wie immer warm, feucht und windstill.

Es war mein erster Besuch in diesem hoch gelobten Mikro-Transplantat des Masoala-Regenwaldes im Zürcher Zoo, und ich empfand eine gewisse Vorfreude, als ich mich der ersten Kleiderhüllen entledigte und die beschlagenen Brillengläser abwischte, um mich bereit zu machen für – die Expedition. Noch befanden wir uns im Vorraum, und die Sauna Atmosphäre war noch gemässigt.

Mein erster Eindruck beim Eintritt in den Masoala-Wald weckte den Gedanken: „Hier sollte ich nur mit einem Lendentuch bekleidet sein“. Die Brillengläser beschlugen von neuem und filterten das ohnehin schon gefilterte Licht im Inneren des Doms. Man hörte Stimmen anderer Menschen, aber sie schienen ebenfalls gefiltert durch eine Atmosphäre, die bereits überladen war mit Feuchtigkeit und dem Duft des Lebens, das einem in allen seinen Stadien direkt entgegenschlug. Es wäre nicht übertrieben zu sagen, dass mich das Gefühl umfing „im Schoss der Welt zu stehen“, und das war recht angenehm. Die Sinne schienen diesen Ort wiederzuerkennen.

Der Pfad, dem man durch die Anlage folgt, windet und biegt sich, was die Halle viel länger erscheinen lässt, als sie wirklich ist. In angenehmen Abständen gibt es, wie in jedem Park, Bänke und Schrifttafeln – zum Gebrauch der Menschen. Die Pfade der Einwohner dieses Mikro-Regenwaldes haben ihre eigenen Ruheplätze und Plakate. Einige Affen entdeckten, dass der bequemste Weg von der einen Seite des Waldes zur anderen über die Leiter führt, die für das Personal zur Wartung der Dachstruktur angebracht worden war. Sie benutzen diesen Weg in fast gleicher Art und Weise wie die menschlichen Arbeiter.

Es dauert einige Minuten

Es dauert einige Minuten, bis man tief im Regenwald ist. Die Sinne stellen sich ein auf die kleinste Bewegung in den Blättern, die subtilste Veränderung des Duftes, das Geräusch eines Vogels, eines Affe, das Tropfen des Wassers von den Blättern, die warme und feuchte Zärtlichkeit auf der Haut. Die Welt aus Schnee, eben noch so gegenwärtig, verschwindet in Vergessenheit. Der Geist, der so gewöhnt ist an exakt benannte und kategorisierte Umgebungen, verstummt angesichts der Vielfalt von Dingen, die er nicht benennen kann. Flora und Fauna, die nicht mit Namen und Erinnerungen befrachtet sind, verlangen eine wortlose Zuwendung. Die Sinneseindrücke fliessen in einem gleichmässigen Fluss. Es gibt keine Sinnesüberforderung, weil nichts im Weg steht. Es ist keine Abfolge von Schnappschüssen, sorgfältig benannt und katalogisiert mit der passenden Meinung dazu. Es herrscht vollständiges Eingetaucht-Sein; Kontakt von Angesicht zu Angesicht, man steht mit den Lebewesen Du auf Du. Es gibt keine mentalen Grenzen.

Am Ende des Pfades gelangt man zum Gebäudekomplex, in dem ein Restaurant und ein Souvenirladen untergebracht sind. Grosse, vom Boden bis zur Decke reichende Doppelglasfenster bilden eine Wand mit Blick in den Regenwald oder ins Restaurant, je nachdem, auf welcher Seite man sich befindet. Ich sass im Restaurant mit einer nichtssagenden Speise aus einer nichtssagenden Speisekarte und schaute einer Ente zu, die sich auf dem Teich des Regenwaldes treibend der Gefiederpflege hingab. Wir waren nur eine dünne Glasscheibe weit voneinander entfernt, aber das war ein gewaltiger Unterschied.

Ein alter Zen-Meister pflegte seine Schüler zu necken mit den Worten: „Hunde wissen es. Katzen wissen es. Warum nicht wir?“

Oh, und vergesst die wissenden Enten nicht.

Extragepäck

Vor einigen Wochen gingen wir in die Ferien ins Tessin. Wir hatten eine kleine Wohnung gemietet mit Blick auf den Lago Maggiore in Minusio, direkt neben Locarno.

Am Ankunftstag war das Wetter sonnig und warm, viele Blumen blühten, Enten und Schwäne patrouillierten das Ufer entlang nach Menschen Ausschau haltend, die ihnen eventuell etwas zum Futtern geben würden. Spatzen und Tauben taten dasselbe auf dem Rasenstreifen etwas weiter vom Ufer entfernt. Leute zu Fuss, auf dem Fahrrad, mit und ohne Stöcke strömten vorbei. Einige gemächlich, andere als trainierten sie für einen Olympia-Anlass. Trotz all dieser Aktivitäten war es erstaunlich still, nur die verschiedenen, simultan geführten Konversationen der Vögel erfüllten die Luft.

Wir hatten zwei Tage mit angenehmem Wanderwetter bevor der Regen einsetzte, der vier Tage lang nicht aufhörte. Oh, er war vielleicht von Zeit zu Zeit nicht so heftig oder wurde vom Wind ab und zu aus seinem geraden Fall in eine andere Richtung geblasen. Ein Teil des Wassers fiel in die sich stetig ausdehnende Pfütze mitten auf dem Weg, die allmählich zum „Lago Minore“ wurde. Ich betrachtete die Tropfen, die im Licht der Strassenlaterne aufleuchteten, als der graue Tag in eine graue Nacht überging. Sobald die Tropfen auf die Oberfläche der Wasserlache auftrafen, sandten sie blaue Lichtblitze aus. Die Frage tauchte auf: Gibt es ein Muster oder ist es zufällig?

Welch törichte Fragen…

Welch törichte Fragen, wirklich! Fragen, die bloss die Zwischenräume der Stille zwischen anderen willkürlichen Gedanken ausfüllen. Fragen, die, wenn man ihnen folgt, den geschäftigen Geist in sich selbst gefangen halten und immer um denselben Kern kreisen – mich. Fragen, die zu stellen nicht nötig ist, geschweige denn, sie zu beantworten. Warum bestehe ich darauf, die Stille mit mentalem Geschwätz zu füllen? Warum kann ich nicht einfach das funkelnde, blaue Licht der Tropfen in der Pfütze betrachten? Warum verabscheue ich die Stille? Warum hasse ich es, nicht beschäftigt zu sein?

Wer auch immer die törichten Fragen stellt, ist sicherlich nicht in den Ferien. Also, wer ist in den Ferien?

Am dritten Tag schienen sogar die Vögel ermüdet zu sein vom endlosen Regen. Die Enten und Schwäne mussten weiter schwimmen, um das Ufer zu erreichen, denn der Wasserpegel war ziemlich stark gestiegen. Es gab kaum Enten-fütternde Menschen im Regen, also war es nutzlos, nach ihnen Ausschau zu halten. Nur wenige Vögel sangen am dritten Tag. Es gab nichts zu tun und nirgendwo hinzugehen und alles, was sich bewegt, schien dies zu spüren. Welch befreiender Gedanke! „Ich bin in den Ferien und habe rein gar nichts zu tun und nirgendwo hinzugehen.“

Aber das Denken, mit seinen unendlich variierenden „Drehbüchern“ hat immer eine schlaue Bemerkung bereit, sollte man sich über einen Gedanken zu sehr „freuen“: „Aber du bringst es einfach nicht fertig, nichts zu tun, nicht wahr!“ faucht es ohne viel Hemmung zurück, wohl wissend, zu wem es spricht.

Und so fängt er an

Und so fängt er an, der niemals endende Dialog in meinem Kopf, ein unendlicher Meinungsstreit, der unter dem Begriff „Denken“ läuft. In diesem Fall ist es die Debatte „Tun-versus-nichts-tun“. Es ist ein uraltes Seilziehen und ich habe es so oft in meinem Kopf durchgeführt, dass es ekelhaft automatisch geworden ist. Statt die Tatsache zu bedenken, dass es nur Meinungen sind, die sich in meinem Kopf bekriegen, verwickle ich mich in die Meinungen selbst. Früher oder später hat eine Meinung mehr Ausdauer, eine Erklärung passt besser als die andere.

Diese bleibt gültig bis der Gedankenwind aus einer anderen Richtung bläst, dann erhält der ganze Streit neuen Schub und beginnt von vorn. Gibt es irgendeinen anderen Zweck für diese privaten Diskussionen, ausser dass ich mir damit selber Gesellschaft leiste und mir wieder und wieder bestätige, dass ich immer noch hier bin? Warum fürchte ich mich vor der Stille, von der ich mir einrede, sie sei so schwer zu finden? Warum lehne ich Stille ab zu Gunsten von Gedanken? Warum trage ich all das sinnlose, mentale Gepäck mit mir herum – überall? Brauche ich dieses mentale Gepäck wirklich? Ist mir überhaupt bewusst, dass es da ist?

Eine kleine Geschichte

Ein alter und ein junger Mönch gingen durch einen Wald, als sie an einen Bach kamen, an dessen steil abfallendem Ufer eine wunderschöne, junge Frau stand. Die Frau sagte, sie müsste den Bach überqueren, habe aber Angst auszurutschen und vom Wasser mitgerissen zu werden. Sie fragte, ob die Mönche ihr helfen könnten. Der ältere spürte die grosse Not der Frau und trug sie kurzerhand auf dem Rücken hinüber.

Die junge Frau bedankte sich und ging ihres Weges. Auch die beiden Mönche setzten ihren Weg fort, aber der junge war schockiert und verstört, weil sein älterer Gefährte sein Keuschheitsgelübde so nonchalant gebrochen hatte.

Nach drei Stunden wandern und grübeln, konnte er schliesslich nicht länger an sich halten und es brach aus ihm heraus: „Sag mir, alter Mann, wie fühlt es sich an, dein Gelübde nach so vielen Jahren zu brechen? Wie fühlt es sich an, der Sinnlichkeit zu erlauben, dich vom geistigen Pfad abzulenken? Wie war es, ihre weichen, warmen Schenkel um deine Taille gewickelt und ihre Brüste an deinem Rücken zu fühlen, ihre Arme um den Nacken und ihre Wange beinahe an der deinigen? Sag es mir, alter Mann, wie ist es, eine solch schöne, junge Frau zu tragen?“

Der ältere Mönch schwieg mehrere Schritte lang und sagte dann: „Du bist es, der mir sagen müsste, wie es ist, eine solch schöne, junge Frau zu tragen. Denn ich habe sie vor drei Stunden losgelassen, aber du trägst sie noch immer mit dir.“

Traveling light

Als ich neulich durch die Verkaufsregale eines Sportgeschäftes schlenderte, war ich erstaunt zu sehen, wie viele verschiedene, neue, leichtgewichtige, „intelligente“ Stoffe und Materialien heutzutage in der Verarbeitung von Sportbekleidung zur Anwendung kommen: leicht, wasserdicht, durchlüftet, vor schlechtem Geruch schützend und mit Hilfe von High-tech-Reissverschlüssen veränderbar, so dass z.B. aus langen Hosen kurze werden. Erstaunliche Technologie. Der Geist bewerkstelligt es, den Körper sicherer und bequemer zu machen – und im gleichen Zug – auch sich selbst.

Aber ein Geist, der ständig beschäftigt ist und sich nur um seine Bedürfnisse kümmert, indem er dem Körper zu mehr Sicherheit und Bequemlichkeit verhilft, verfehlt sein Ziel. Der Körper mag mit wenig Gepäck und leicht bekleidet unterwegs sein, aber der Geist ist belastet mit zu vielen veralteten Reiseanzügen.

Wie ich mich erinnere, hatte ich als Kind eine grosse Liebe zu einem „Pea coat“, den meine Mutter auf die Grösse eines Zehnjährigen heruntergeschnitten hatte. („Pea coat“ bezeichnet einen traditionell bei den Matrosen und den Hochseefischern gebräuchlichen Mantel oder eine Jacke aus dicker Wolle.) Es war eine dunkelblaue Wolljacke, die mir nicht ganz bis zu den Knien reichte und einen Kragen hatte, der, aufgestellt beinahe bis zu meiner Scheitelspitze reichte. Schräge Brusttaschen oben ermöglichten es, die Hände warm zu halten, und tiefe horizontale Taschen unten, die Schulbücher hineinzustopfen. Die Jacke hielt mich warm und trocken – bis zu einem gewissen Grad. Das Problem lag in ihrer Neigung, Regen und geschmolzenen Schnee aufzusaugen. Je älter die Jacke wurde, desto mehr glich sie einem Schwamm.

Je feuchter sie war…

Je feuchter sie war, umso schwerer wurde sie. Und wer schon mal im Regen neben einem Schaf gestanden hat, weiss, wie sie roch. Es war nicht sehr angenehm, bei Regen in einer Jacke nach Hause zu marschieren, die schwerer und schwerer wurde und bei jedem Luftzug den Geruch einer Herde von Schafen freisetzte. Aber dann brauchte sie nur einen Tag lang in der Nähe der Heizung zu hängen und zu trocknen, schon waren die Schafe weg und ich glücklich, wieder hineinzuschlüpfen. Doch wie wir alle wissen, Körper wachsen, aber Kleider nicht, jedenfalls nicht in jenen Jahren, und so wurde die Jacke zum gegebenen Zeitpunkt durch eine neue ersetzt, die ebenso grossartig war.

Und so ist es, denke ich, auch mit unserem Geist. Wir alle haben diese sehr warme, sichere, kuschelige Wolljacke, in die wir uns verkriechen. Mit der Zeit wird sie schwerer und schwerer in Bezug auf Gewicht und Geruch. Wir wollen sie nicht aufgeben, weil sie bequem und warm ist – ausser bei einem Gewitter. Nachdem wir einige Male psychisch „im Regen durchnässt worden sind“, „werden wir erwachsen“ und tauschen die alte Jacke gegen eine neue aus. Und eine Zeit lang „reisen wir leicht“, psychisch vollkommen geschützt vor den vier Elementen. Aber mit der Zeit wird die neue Jacke die alte und muss durch eine neue ersetzt werden, was übrigens mit der Erneuerung der ganzen Garderobe für den Körper einher gehen mag.

Die Ersatzgarderobe

Die Ersatzgarderobe, die für den Körper und die für den Geist, ist dazu bestimmt, das Gleiche zu vollbringen, nämlich bequem zu sein und vor den gegebenen Elementen zu schützen. Und was heute als „leichte Bekleidung“ gilt, ist es nur für eine gewisse Zeit, bis sie seinerseits schwer wird wie eine feuchte, wollene Jacke, die dann so bald als möglich ausgetauscht wird.

Wenn man dieses Szenario bis zu seinem Ende durchdenkt, müsste man zum Schluss kommen, dass man, um „leicht zu reisen“ überhaupt keine Kleider tragen sollte, weder am Körper noch am Geist. Dann wäre man wahrhaftig „leicht“ unterwegs. Aus allen oben genannten Gründen würde ich niemals vorschlagen, dass wir aufhören, unseren Körper zu bekleiden. Aber wie verhält es sich mit der mentalen Bekleidung? Ist sie nötig? Warum?

Sommer 2009

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