Die Lehre vom Tao

Das Tao von Lao – Tzu

Das ursprüngliche Konzept von Tao kann am besten an Hand einiger ausgewählter Beispiele aus dem Tao te King erspürt werden. Die fettgedruckten Sätze sind als Einleitung gedacht, sie gehören nicht zu Lao-tzus Text. Die deutsche Übertragung ist frei, in Anlehnung an diverse Vorlagen (s. S. 12). Die Nummern am Ende der Verse kennzeichnet die Versnummer im Original.

Tao ist das unbenennbare, unfassbare Eine, dem alles entspringt:

Das Tao, das sich aussprechen lässt, ist nicht das ewige Tao.
Der Name, der sich nennen lässt, ist nicht der ewige Name.
Das Namenlose ist der Ursprung von Himmel und Erde.
Das Benennbare ist die Mutter der zehntausend Dinge.
Darum: Ohne Begehren nach innen blickend,
kann man das Geheimnis sehen.
Besirzergreifend und benennend sieht man
nur die äussere Begrenztheit der Erscheinungsformen.
Im Ursprung ist beides eins,
verschieden nur dem Namen nach.
Diese Einheit ist unbegreifbar,
das Geheimnis aller Geheimnisse,
das Tor, durch das sich alle Wunder offenbaren. ( 1)

Tao ist das Absolute, die schöpferische Energie, die Himmel und Erde entstehen lässt Himmel und Erde bringen die “zehntausend Dinge” hervor:

Der Geist des Tales stirbt niemals, der dunkle Urmutterschoss,
dem Himmel und Erde entspringen. Im Ruhen ohne Unterlass
wirkt er ohne Mühe. (2)

Das Tao erzeugt die Eins, die Eins erzeugt die Zwei, die Zwei erzeugt die Drei,
aus der Drei entstehen die zehntausend Dinge. Alle Dinge tragen in sich das dunkle Yang
und das helle Yin, deren strömende
Kraft für Einklang sorgt. (42)

Tao ist nicht parteiisch; es kennt weder gut noch schlecht:

Himmel und Erde sind nicht gütig,
die Geschöpfe sind ihnen wie Puppen aus Stroh. Die Weisen sind ebenfalls nicht gütig,
die Menschen sind ihnen wie Puppen aus Stroh.
Der offene Raum zwischen Himmel und Erde gleicht einem Blasebalg,
je mehr er sich bewegt,
umso mehr bringt er hervor.
Doch die vielen Worte bringen nichts,
besser ist es,
schweigend das Innere zu wahren. (5)

Tao ruht in sich selbst; es ist Ursprung und Ziel aller Dinge:

Es ist jenseits von sichtbar,
jenseits von hörbar,
jenseits von greifbar.
Es ist unergründlich eines.
Von oben ist es nicht hell,
von unten ist es nicht dunkel,
ohne Anfang und Ende
reicht es ins Nichtsein zurück.
Ruhe im uralten Tao,
dann kannst du, den Ursprung kennend
mit der Gegenwart mitfliessen. (14)

Der Mensch richtet sich nach der Erde.
Die Erde richtet sich nach dem Himmel.
Der Himmel richtet sich nach dem Tao.
Das Tao richtet sich nach sich selbst. (25)

Rückkehr ist die Bewegung des Tao.
Nachgeben seine Weise.
Die zehntausend Dinge entstehen im Sein.
Sein entsteht im Nichtsein. (40)


Tao manifestiert sieb durch Te. Te wirkt durch Weichheit, Schlichtheit und Einfachheit. So verleibt Tao allem Leben Dauerhaftigkeit:

Wer vom Te erfüllt wird,
gleicht einem neugeborenen Kind.
Insekten stechen und Schlangen beissen es nicht,
reissende Tiere und Raubvögel packen es nicht.
Seine Knochen sind weich, seine Muskeln schwach,
und doch ist sein Griff fest.
Es kann den ganzen Tag schreien und wird nicht heiser.
Der kleine Knabe weiss noch nichts von Mann und Frau,
und doch regt sich sein Glied voller Samenkraft.
Dies ist vollendeter Einklang mit dem Tao.
Im Einklang sein bedeutet unvergänglich sein,
unvergänglich sein bedeutet erleuchtet sein.
Es ist nicht klug, voller Begehren umherzuhasten.
Die Kräfte zu vergeuden bringt Erschöpfung.
Dies ist nicht im Einklang mit dem Tao.
Was nicht im Einklang mit dem Tao ist, hat keine Dauer. (55)

Was im Einklang mit dem Tao ist, stirbt nicht:

Der Mensch kommt zart und nachgiebig zur Welt,
wenn er stirbt ist er hart und starr.
Junge Pflanzen sind zart und biegsam,
wenn sie sterben sind sie dürr und hart.
Darum ist das Starre und Unbeugsame in der Gefolgschaft des Todes,
das Weiche und Sanfte in der Gefolgschaft des Lebens.
Das Harte und Starke wird vergehen.
Das Weiche und Schwache wird dauern. (76)

Die Gesetze von Tao und Te sollen dem Menschen Vorbild für das eigene Handeln sein. Handeln in Übereinstimmung mit dem Tao ist Nicht-Handeln (Wu-Wei):

Das Allerweichste auf Erden Überwinder das Allerhärteste auf Erden.
Das Nichtseiende dringt auch noch ein in das, was keinen Zwischenraum hat.
So wertvoll ist Nicht-Tun.
Lehren ohne Worte, Wirken ohne Tun,
dies verstehen nur sehr wenige auf der Welt. (43)

°°°

Übe Nicht-Handeln, wirke ohne Tun.
Schmecke das Geschmacklose.
Lass das Kleine gross werden
und das Wenige mehr.
Vergelte Groll mit Nachgiebigkeit (Te).
Alles Schwere beginnt leicht.
Alles Grosse beginnt klein.
Der Weise strebe nicht nach dem Grossen und erreicht es.
Wer viel verspricht, kann wenig halten.
Leichtfertigkeit bringt Schwierigkeit.
Der Weise bedenkt die Schwierigkeiten und so werden sie ihm leicht. (63)

°°°

Tao macht nicht und doch bleibt nichts ungetan.
Würden die Herrschenden es so halten,
würde sich alles seiner Natur gemäss entfalten.
Begehren und Machenwollen werden durch begrifflose Schlichtheit gebannt.
Einfachheit bewirkt Wunschlosigkeit,
Wunschlosigkeit bewirkt Geistesfrieden.
So kommt die Welt von selbst in Ordnung. (37)

Durch das Beobachten des Tao kommt der Geist zur Ruhe, durch die Bewahrung der inneren Ruhe findet man den Weg:

Entleere deinen Geist vollständig,
weile gelassen in vollkommener Ruhe.
Dann siehst du Entstehen und Vergehen der zehntausend Dinge.
Ein jedes kehrt zu seiner Wurzel zurück.
Rückkehr zur Wurzel heisst Stille.
Dies ist der Weg der Natur.
Der Weg der Natur ist zeitlos.
Das Zeitlose zu kennen, bedeutet Einsicht.
Es nicht zu kennen, bedeutet Wirrnis und Unheil.
Im Wissen um das Ewige sind Geist und Herz offen.
Offenheit führt zu königlichem Handeln.
Wer königlich handelt gleicht dem Himmel.
Der Himmel ist eins mit dem Tao.
Eins mit dem Tao sein bedeutet zeitlos sein.
Das Tao vergeht nicht, selbst wenn der Körper stirbt. ( 16)

°°°


Kannst du dein Herz und Geist sammeln,
dass sie das Eine umfangen ohne sich zu zerstreuen?
Kannst du deine Kraft einheitlich machen
und weich wie ein neugeborenes Kindlein sein?
Kannst du deine Sicht reinigen, so dass sie makellos ist?
Kannst du die Menschen lieben
und den Staat lenken ohne Eitelkeit?
Kannst du das Öffnen und Schliessen der Himmelspforten geduldig ertragen wie eine brütende Henne?
Kannst du mit deiner inneren Klarheit und Reinheit alles durchdringen,
ohne des Handelns zu bedürfen?
Erzeugen ohne zu besitzen,
wirken ohne Anspruch auf Lohn,
lenken ohne zu beherrschen
das ist wahrhaftige Tugend (Te). (10)

°°°

Wer weiss, redet nicht. Wer redet, weiss nicht.
Schliesse deinen Mund
und wache über die Sinnespforten.
Mässige deinen Scharfsinn.
Entwirre deine Gedanken.
Verdecke dein Glänzen.
Verbinde dich mit dem Staub der Erde.
Dann bist du im Einklang mit dem Tao.
Wer dies vermag, den kann man nicht beeinflussen durch Liebe oder Kälte,
durch Nutzen oder Schaden,
durch Ehre oder Schande.
Dies ist der höchste Stand des Menschen. (56)


Wahrhaftige Lebensweisheit:

Wer andere kennt, ist klug.
Wer sich selbst kennt, ist weise.
Wer andere besiegt, hat Kraft.
Wer sich selbst besiegt, ist stark.
Wer sich durchsetzt, hat Willen.
Wer sich genügt, ist reich.
Wer seinen Platz nicht verliert, hat Dauer.
Wer auch im Tode nicht untergeht, der lebe. (33)

°°°

Wahre Worte sind nicht schön,
schöne Worte sind nicht wahr.
Der Verstehende überredet nicht,
der Überredende versteht nicht.
Der Weise ist nicht gelehrt,
der Gelehrte ist nicht weise.
Der Weise sammelt nicht,
je mehr er gibt, desto mehr hat er.
Das Tao des Himmels fördert, ohne zu schaden,
das Tao des Weisen ist Tun ohne Wollen. (81)

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