Die meisten Menschen wissen gar nicht, wie schön die Welt ist und wieviel Pracht in den kleinsten Dingen, in einer Blume, einem Stein, einer Baumrinde oder einem Birkenblatt sich offenbart. Rainer Maria Rilke
Blaue Hortensie
So wie das letzte Grün in Farbentiegeln
sind diese Blätter, trocken, stumpf und rauh,
hinter den Blütendolden, die ein Blau
nicht auf sich tragen, nur von ferne spiegeln.Sie spiegeln es verweint und ungenau,
als wollten sie es wiederum verlieren,
und wie in alten blauen Briefpapieren
ist Gelb in ihnen, Violett und Grau;Verwaschenes wie an einer Kinderschürze,
Nichtmehrgetragenes, dem nichts mehr geschieht:
wie fühlt man eines kleinen Lebens Kürze.Doch plötzlich scheint das Blau sich zu verneuen
Rainer Maria Rilke
in einer von den Dolden, und man sieht
ein rührend Blaues sich vor Grünem freuen.
Blumen
Ich lag in Schmerz und dumpfem Fiebersehnen.
– Da legte jemand Blumen auf mein Bette –
Die lösten meine Freude bis zu Tränen,
Als ob ich Blumen nie gesehen hätte.Ich trank ihr Duften, streichelte sie innig,
Francisca Stoecklin
Und war so froh mich liebend zu verschwenden.
Dann hielt ich sie ganz fest und fromm, und minnig.
Da blühten sie aus meinen eignen Händen.
Rosa Hortensie
Wer nahm das Rosa an?
Wer wusste auch, dass es sich sammelte in diesen Dolden?
Wie Dinge unter Gold, die sich entgolden,
entröten sie sich sanft, wie im Gebrauch.Dass sie für solches Rosa nichts verlangen.
Bleibt es für sie und lächelt aus der Luft?
Sind Engel da, es zärtlich zu empfangen,
wenn es vergeht, großmütig wie ein Duft?Oder vielleicht auch geben sie es preis,
Rainer Marie Rilke
damit es nie erführe vom Verblühn.
Doch unter diesem Rosa hat ein Grün
gehorcht, das jetzt verwelkt und alles weiß.
Das Veilchen
Ein Veilchen auf der Wiese stand
Gebückt in sich und unbekannt;
Es war ein herzigs Veilchen.
Da kam ein’ junge Schäferin,
Mit leichtem Schritt und munterm Sinn,
Daher, daher,
Die Wiese her und sang.Ach! denkt das Veilchen, wär ich nur
Die schönste Blume der Natur,
Ach, nur ein kleines Weilchen,
Bis mich das Liebchen abgepflückt
Und an dem Busen matt gedrückt!
Ach nur, ach nur
Ein Viertelstündchen lang!Ach! aber ach! das Mädchen kam
Johann Wolfgang von Goethe
Und nicht in acht das Veilchen nahm,
Ertrat das arme Veilchen.
Es sank und starb und freut’ sich noch:
Und sterb ich denn, so sterb ich doch
Durch sie, durch sie,
Zu ihren Füssen doch!
Rosenwacht
Im Glase blüht ein frischer Rosenstrauß,
Daneben webt ein Jünglingsleben aus;
Ins Zimmer bricht der volle Abendglanz –
Welch schönes Bild in einen Totentanz!Von rotem Golde taut das Sommerland,
Die Reb’ am Fenster und die Kammerwand,
Der Sterbenskranke und sein Linnentuch,
Das Kirchenmännlein und sein schwarzes Buch.Du armer Dunkelmann, was suchst du hier?
Die Menschen nicht, noch Blumen lauschen dir!
Nach Westen neigen sie sich insgesamt:
Die Sonne hält das heilge Totenamt.Wie abendschön des Kranken Antlitz glüht,
Daß kaum man ahnt, wie weiß der Tod da blüht!
Sein Nachtmahlkelch ist flüssig Sonnengold,
Wie durstig trinkt er diesen Liebessold!Und scheidend winkt der letzte Sonnenstrahl,
Erkaltet und verglüht sind Berg und Tal,
Das junge Menschenkind ist bleich und tot,
Die Rosen sind geblieben frisch und rot.So halten die Vergänglichen die Wacht
Gottfried Keller
Beim stillen Manne bis zur dritten Nacht;
Dann legen sie bescheiden ihr Gewand
Dem Herrn des Lebens in die Vaterhand.
Den gelben Astern ein Lied
Sie blicken durch den Regen hell mich an,
Selma Meerbaum-Eisinger
so licht, daß sie die Sonne mir ersetzen.
Und gar nichts von des Regens Trauer kann
die leuchtend gelbe Freude mir verletzen.
Auflachend neigen sie sich in dem Grün,
das rein und frisch ihr Lachen mir begleitet –
ich leg’ ihnen mein Lied zu Füßen hin,
weil sie mir eine Freude heut bereitet.
Blumen – Die Blume kann gar nicht anders als leben. Wir aber können zu viel anderes. – Rainer Maria Rilke
