Vedische Sicht
Shankara, der eigentliche Begründer der indischen philosophischen Schule namens Advaita (Ad-vaita: nicht dual; 8. Jh.) fasste die Lehre der Veden in drei Aussagen zusammen:
- Die letztendliche Wirklichkeit allein ist wirklich.
- Das Universum ist nicht wirklich.
- Das individuelle Selbst ist nicht anders als die letztendliche Wirklichkeit.
Der Wahrheitsbeweis dieser Aussagen liegt in der Selbst-Erkenntnis und jeder Mensch ist persönlich dafür verantwortlich, wie er die Erkenntnis dieser drei Aussagen verwirklicht.
Die Evolution “weist unsere gegenwärtigen Fesseln und Beschränktheit zurück” und der Mensch entwickelt sich zu seiner “Vollendung, Selbstwertung, Unsterblichkeit”.
Der physische Körper und das Ich-Bewusstsein sind die Vehikel, deren sich das wahre Selbst bedient, um mit dieser Welt zu interagieren. Richtig verstanden, helfen die beiden beim Erreichen von Selbst-Gewahrsein, wenn nicht richtig verstanden, schaffen sie das, was man gewöhnlich unter “Hölle auf Erden” versteht.
Bedeutet dies, dass man, um mit den täglichen Geschehnissen zurecht zu kommen, zuerst voll erleuchtet sein muss? Nein, ganz und gar nicht! Denn wenn man voll im Prozess der Selbsterkenntnis engagiert ist, zeigt sich das Tagesgeschehen von selbst in einem anderen Licht, weil sich die Perspektive erweitert. Man ist nicht länger eingeschränkt durch den begrenzten Blickwinkel eines Geistes, der dauernd von der materiellen Ebene beeinflusst wird.
Ein Wendepunkt ist erreicht, wenn man durch den Gebrauch der Erkenntniskraft und durch die geistige Übung realisiert, dass das Selbst nicht der physische Körper und nicht das bewusste Denken ist. Diese Erkenntnis kann durch den Prozess des Eliminierens geschehen, d.h. man stellt fest, was man nicht ist. Das, was bleibt, wenn man alles, was man nicht ist, eliminiert hat, ist das “Selbst.”
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‘Wenn die, die euch führen, zu euch sagen: ‘Siehe das Reich ist im Himmel’, so werden euch die Vögel des Himmels zuvorkommen. Wenn sie euch sagen: ‘Es ist im Meere’, so werden die Fische euch zuvorkommen. Aber das Reich ist in euch und es ist ausser euch. Wenn ihr euch erkennt, dann werdet ihr erkannt werden und ihr werdet erkennen, dass ihr die Söhne des lebendigen Vaters seid. Wenn ihr euch aber nicht erkennt, so seid ihr in Armut und ihr seid die Armut. “
Evangelium nach Thomas
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Im Dhammapada wird es so gesagt:
“Kommt, schaut euch die Welt an, sie ist wie eine verzierte Königskutsche. Narren versinken darin; wer Bescheid weiß, haftet nicht daran.”
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Sri Aurobindo schreibt in “Doctrine of the Mystics” über die Veden:
“Man findet eine Sprache von Poeten und Erleuchteten, für die alle Erfahrungen wirklich, lebendig, vernünftig, ja sogar gegenständlich sind. Es ist noch nicht die Sprache der Denker und Systematiker für welche die Wirklichkeit des Geistes und der Seele zu Abstraktionen geworden sind. Ein System, eine Lehre ist durchaus vorhanden, doch ihre Struktur ist weich, ihre Begriffe konkret, ihre Gedankenformen praktisch und experimentell; sie ist vollendeter Ausdruck eines alten und sicheren Wissens, nicht eines Wissens, das grob und voller Zweifel ist, da es noch im Werden ist.
Es handelt sich um die uralte psychologische Wissenschaft und die Kunst des geistigen Lebens, welche in die Philosophie der Upanishaden münden und später in der lntellektualität und im logischen Dogma von Vedanta, Sankhya und Yoga resultieren. Wie alles Leben und wie alle Wissenschaften, die noch vital sind, fehlt den Veden die gepanzerte Starrheit des logisch denkenden Intellekts.
Trotz ihrer gefestigten Symbole und heiligen Formeln sind sie noch immer weit, frei, biegsam, flüssig, weich und subtil. Sie enthalten den Fluss des Lebens und den grossen Atem der Seele. Und während spätere Philosophien Bücher der Erkenntnistheorie darstellen und Befreiung zum höchsten Gut erklären, handelt es sich bei den Veden um ein Werk des Wissens, das unsere gegenwärtigen Fesseln und Beschränktheit zurückweist und ihr die Hoffnung auf Vollendung, Selbstwertung, Unsterblichkeit entgegensetzt.”
Das Problem
“In Unwissenheit habe ich viele Geburten durchlebt auf der Suche nach dem Erbauer dieses Hauses. Immer wieder aufs Neue zu suchen ist schmerzhaft. Nun bist du erkannt, Häuserbauer. Du wirst mir kein neues Haus bauen können, all deine Eckpfeiler sind zerbrochen, dein Dachfirst ist zerstört. Mein Geist ist losgelöst von allem und hat dem Verlangen ein Ende gesetzt.”
Dhammapada
Das Ich-Bewusstsein fährt fort, neue Häuser zu bauen, mit demselben Material und denselben Mitteln, wieder und wieder. Jedes neue elegante Design befriedigt den verlangenden Geist für eine Weile, dann lässt die Begeisterung nach und es stellt sich ein fader Geschmack ein bis sich der nächste grosse Entwurf herauskristallisiert, entsprechend dem “letzten Schrei der Mode”. Ohne Ende, immer aufs Neue!
Das zuvor “erfolgreiche” Design wird modifiziert in Abhängigkeit der wechselnden Launen des Geistes. Jede neue Kreation steigt wie eine Spielzeugrakete in die Luft, mit viel Licht, Rauch und Krach, die Augen blendend und die Ohren betäubend. Nur um alsbald abzusinken, schnell vergessen – viel Lärm um nichts.
Jedes Mal, wenn man vom hellen Glanz der Rakete geblendet wird, ist man im eigenen “Spiel es noch einmal” gefangen. Dieselben alten Tonbänder, sprich Gewohnheiten, werden wieder und wieder abgespielt. Und Jedes Mal sagt man zu sich selbst: “Wieder ist etwas schief gegangen, wann werde ich es endlich lernen?” Was “wieder schief gegangen ist”, ist, dass man sich statt von seiner Praxis von seinen alten Gewohnheiten leiten liess.
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Leider wird die spirituelle Praxis bei vielen von uns ihrer führenden Aufgabe nicht gerecht, aus dem einfachen Grunde weil wir selbst unserer spirituellen Übung nicht gerecht werden. Wir “denken”, das Leben bestehe aus dem, was sich um uns herum abspielt. Also soll sich der geistige Weg unserem materiellen Lebensstil anpassen. Es ist gerade umgekehrt. Wir wissen das. Wir legen ein Lippenbekenntnis dazu ab und vergessen es dann schnell. Wir wandern in die entgegengesetzte Richtung, von der Wahrheit weg, und wundern uns, warum “die spirituelle Praxis nichts nützt.”
Es ist nun mal so, dass es nicht genügt, einmal in der Woche mit einer Gruppe zu sitzen oder ab und zu einen Meditationsretreat einzulegen oder einen Lehrer ein- bis zweimal im Jahr zu sehen oder gar in der Welt herum zu rennen, um in der Gegenwart eines “Erleuchteten” zu weilen, wenn man in der Zwischenzeit alles vergisst und sich von der sogenannten Dringlichkeit des sogenannten “wirklichen” Lebens vereinnahmen lässt.
Was man in diesem Fall für wirklich und wichtig hält, ist aus dem Blickwinkel des wahren Selbst alles andere als die Wirklichkeit. Man stelle sich vor, ein Gärtner würde mit der selben Sprunghaftigkeit für seinen Blumengarten sorgen. Dieser wäre bald mit Unkraut überwuchert, die Blumen fänden einen schnellen Tod. So verhält es sich auch mit unserer Praxis, wenn wir sie nicht regelmässig pflegen.
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“Es war ein reicher Mann, der viel Vermögen hatte. Er sagte: ‘Ich werde mein Vermögen verwenden, um zu säen, zu ernten, zu pflanzen und meine Vorratskammer mit Früchten zu füllen. Das ist es, was er in seinem Herzen dachte. Und in jener Nacht starb er.”
Evangelium nach Thomas
Das geistige Leben ist nicht Teil und steht nicht im Dienst unserer materiellen Existenz. Unsere materielle Existenz ist Teil des geistigen Lebens. Solange man dies selbst nicht erkennt, wird einem das Leben zur Hölle.