Einheit von Atem, Körper, Geist – AWH, Tagesretreat Mai 2024
Die Einheit von Atem, Körper, Geist ist das primäre, grundlegende Prinzip der Sitzmeditation (Zazen).
Damit ihr spürt, dass es sich nicht um eine theoretische Abhandlung handelt, bitte ich euch, jetzt einfach fortzufahren mit dem, was ihr in der vergangenen Sitz-Periode getan habt. Wobei ich natürlich hoffe und annehme, ihr habt nicht bloss euren Träumen nachgehängt, sondern habt eure Aufmerksamkeit nur auf euren Atem gerichtet und ganz natürlich eingeatmet und ausgeatmet …
Dies bitte ich euch, jetzt noch einen Moment lang weiterhin zu tun.
(Für diejenigen, die diesen Text lesen, empfiehlt es sich, hier und bei den folgenden stillen Momenten ebenfalls innezuhalten und die Aufmerksamkeit auf ihren Atem zu richten, bevor sie weiterlesen.)
(Stille)
Das Atmen geschehen lassen
Denkt nicht, ihr müsst dem Atem befehlen, was er zu tun hat. Das ist leider ein häufig vorkommendes Missverständnis, wenn man Meditationsbücher liest oder Vorträge hört, in denen es heisst, man solle den Atem kontrollieren. Auf diesen Aspekt komme ich später zurück.
Gebt den Atem ganz frei, habt keine Vorstellung, wie er sein sollte oder nicht sein sollte. Übt keine Kritik an ihm. Lasst euch mit freundlicher Gesinnung auf die Atembewegung ein, so wie sie im Moment ist.
Schaut diesem Geschehen zu; erlebt, spürt es. Nehmt wahr, wie der Einatem zu seinem Ende kommt und zu einem Ausatem wird. Und wenn der Ausatem zu seinem Ende gekommen ist, wandelt er sich wieder zu einem Einatem. Nehmt jeden Atemzug auf diese Weise wahr.
(Stille)
Die Wahrnehmung des Atems ist selbstverständlich nicht immer gleich. Es kann sein, dass der Atemfluss «stockt» oder dass er so sanft und «leise» ist, dass man ihn kaum noch wahrnimmt. Was auch geschieht, lasst es gut sein. Wenn man sich nicht einmischt, findet der Atem von selbst einen ruhigen Rhythmus.
Nehmt euch Zeit, dies so gut wie möglich zu spüren, ein – aus – ein – aus…
(Stille)
Ein Kieselstein versinkt im Teich
In seinem Buch Das Wunder der Achtsamkeit hat der Zen-Meister Thitch Nhath Hanh das Wesen der friedvollen Meditation mit einem sehr schönen Bild umschrieben. Er schreibt:
«Atmet langsam und tief. Werdet eins mit dem Atem. Dann lasst alles los. Stellt euch vor, ihr seid ein Kieselstein, der in einen Fluss geworfen wurde. Ohne sich anzustrengen, sinkt der Kiesel im Wasser. Losgelöst von allem, fällt er auf dem kürzesten Weg und landet schliesslich auf dem Grund, dem Punkt vollkommener Ruhe.»
Der Kiesel kommt am Grund an – bums – und bleibt liegen. Dann steigt von diesem Grund der Impuls zum nächsten Einatem auf. Natürlich muss man den Stein nicht wieder an die Oberfläche befördern. Das Schwergewicht bleibt unten, in der Leibesmitte/Hara.
Der Einatem gleicht eher einer Luftblase, die vom Boden an die Oberfläche des Teiches steigt und, oben angekommen, zerplatzt – und so den Impuls zu einem erneuten Atemzug auslöst.
Bleibt eine Weile dabei, das Ein- und Ausfliessen der Atemluft zu erspüren.
(Stille)
Atem ist immer neu
Denkt nicht, was ich hier sage, sei Anfängergeschwätz, das Fortgeschrittene längst hinter sich gelassen haben.
Im Gegenteil: Je länger jemand Sitzmeditation praktiziert, desto wichtiger ist es, sich immer wieder neu darauf einzulassen. Man ist nie fertig damit. Man kann es nie, denn es hat nichts zu tun mit Fortschritt.
Wir sollten uns alle immer wieder bewusst werden, dass unser individuelles Leben mit dem Atem anfängt, auf dem Atem aufbaut, vom Atem erhalten wird und mit dem letzten Atemzug aufhört.
Besonders wenn wir uns zur Meditation hinsetzen, sollten wir uns auf dieses Grundprinzip besinnen. Egal, ob man zu Hause alleine sitzt oder hier in der Gruppe. Wenn man diese Achtsamkeit nicht aufbringt oder vernachlässigt, kann die Meditation nicht gelingen. Dann bleibt man in der Gedankenwelt stecken und kommt nicht «auf den Boden» der Wirklichkeit.
Wer geübt ist, im Kontakt zu sein mit dem Atem, d.h. mit sich selbst, hat dadurch einen inneren Halt. Man hat einen inneren Boden, auf den man sich jederzeit zurückziehen kann. Wann immer man sich in den Aktivitäten und Problemen des Alltags verliert, kann man sich flugs darauf besinnen, einen Moment lang innezuhalten und – im wahrsten Sinne des Wortes – Luft zu holen.
Alles, was einen belastet, einem zu Leibe rückt, kann so wieder ausgeatmet und an die Luft abgegeben werden.
Fangt also, wenn ihr euch hingesetzt habt, nicht gleich damit an, über irgendetwas nachzudenken – sei es ein Koan oder ein persönliches Problem. Lasst alles Wollen und Streben weg! Kommt einfach nachhause zu eurem Atem – immer wieder, immer neu!
Übergänge
Bevor ich weiter spreche, bitte ich euch, eure Aufmerksamkeit noch einmal auf den Atem zu richten und diesmal sorgfältig auf die Übergänge von Einatem und Ausatem zu achten. Wenn ihr merkt, dass der Einatem fertig ist, beobachtet, wie er zum Ausatmen wird und umgekehrt.
Führt sowohl den Ein- als auch den Ausatem wirklich zu Ende, ohne zu puschen. Denkt an den Kieselstein. Bei einer eventuellen Pause wartet in aller Ruhe, bis der Ein- oder Ausatem wieder einsetzt.
Es ist wichtig, dass man dieses Geschehen ohne Hetze, ohne Druck und ohne Angst erforscht.
(Stille)
Wie bei den sich brechenden Wellen in einem See oder im Meer, gibt es auch beim Übergang vom Ein- zum Ausatem einen Wendepunkt, bei dem der Atem für eine Millisekunde lang «still zu stehen» scheint. Auch beim Übergang vom Aus- zum Einatmen gibt es einen Wendepunkt. In der Regel merkt man dies nicht, aber in der Sitzmeditation kann man es spüren – manchmal deutlich, manchmal schwach.
Es kann zum Beispiel sein, dass es nach dem Ausatem eine spürbar lange Pause gibt, bevor der Einatem wieder einsetzt. Wenn dies geschieht, macht euch keine Sorgen. Es nichts Falsches dabei. Man soll es aber auch nicht provozieren – nicht wollen. Ich komme auf diese Pausen zurück.
Hauptsache ist, wir werden uns des Rhythmus – ein, aus, ein, aus – gewahr und gehen völlig aus dem Weg.
Ruhen im Gewahrsein
Sich der Sitzmeditation so mit dem ganzen Wesen, mit Haut und Haar und Knochen hinzugeben und einfach nur des inneren Geschehens gewahr zu sein, ist der direkte Weg zu einem echten, tiefen Meditationszustand.
Denn durch das Ruhen im Gewahrsein verflüchtigen sich mit der Zeit alle Gedanken und es wird still.
Sorgen, Zukunftspläne, Erinnerungen – ja selbst das Bewusstsein des Atmens ziehen sich zurück. Es existiert nur noch die grosse stille Gegenwart des Geistes, ohne Ich und ohne Zeit. Wenn sich dann in dieser ichlosen Präsenz das sogenannte «innere Auge» oder die innere Sicht öffnet, zeigt sich die Wirklichkeit unverstellt so, wie sie ist.
Wenn Körper und Geist auf diese Weise geübt werden, im Einklang zu sein, dann hat dies eine direkte Auswirkung auf unser Denken und Handeln im Alltag.
Unser Denken und Handeln wird flexibel und anpassungsfähig. Man wird nicht so schnell aus dem seelischen Gleichgewicht geworfen und ist in der Lage, den Umständen entsprechend zu agieren statt bloss blindlings zu reagieren. Dies hilft vor allem in Stresssituationen, wie zum Beispiel in einem Ehekrach oder bei Spannungen am Arbeitsplatz, im Strassenverkehr und generell in allen Zuständen von Verwirrung, Zorn, Unsicherheit oder anderen heftigen Emotionen.
Wenn man jedoch keine Ahnung hat von der Macht des passiven Gewahrseins und der achtsamen Zuwendung zum Atem – oder sie einfach ignoriert, dann ist man den emotionalen und mentalen Stürmen ohnmächtig ausgeliefert.
Atem ist mehr als Luftzufuhr
Die Qualität des Atems ist grundsätzlich eng verbunden mit dem Wohlbefinden und der Gesundheit von Körper und Geist.
Vordergründig hat der Atem die Funktion, dem Körper Sauerstoff zuzuführen und so den Stoffwechsel aufrechtzuerhalten. Er sorgt dafür, dass die Energie aus dem universalen Raum aufgenommen und an alle Zellen und Organe verteilt wird. Er hat die Fähigkeit, seinen Rhythmus jeder körperlichen und mentalen Gegebenheit anzupassen. (Mal wird er schneller, mal langsamer.) Ausserdem sorgt er dafür, dass die verbrauchte Luft wieder abgeführt wird.
Wir Menschen könnten die Entsorgungs-Funktion des Atems dazu benutzen, auch allen mentalen Müll – Gedanken, Spannungen und Stress – an die Luft abzugeben. Wir könnten unsere Sorgen buchstäblich ausatmen – wenn wir denn bereit wären, sie tatsächlich herzugeben …
Ist der Atem chronisch oberflächlich und eingeschränkt, kann er seine Funktion nicht erfüllen. Dann erhalten die Körperorgane nicht genügend Sauerstoff, was zu allerlei körperlichen und psychischen Beschwerden führt.
Alle weisen Menschen wissen das: Ohne Atem kein Stoffwechsel, ohne Stoffwechsel kein Leben.
Ein gesunder Geist und ein gesunder Körper fördern ein langes, gesundes Leben.
So gesehen verbindet der Atem unser vergängliches Leben mit der unvergänglichen Energie des Universums. Der Atem harmonisiert das Zusammenwirken aller Kräfte, die unser Leben von aussen und von innen formen.
Dieser Aspekt – Prana genannt – wurde von den Weisen Indiens und Chinas schon vor vielen Tausend Jahren genau studiert. Alle Heilmethoden körperlicher oder geistiger Natur machten sich dieses Wissen zu Nutze.
Vollenden, was man angefangen hat
Die Beobachtung der Zwischenräume beim Ein- und Ausatem zeigt uns noch ein weiteres wichtiges Prinzip unserer Natur: Es muss etwas fertig werden, bevor das nächste kommen kann.
Auch das geschieht in der Natur ganz von selbst. Man muss natürlich nicht immer denken: Oh jetzt ist der eine Atemzug fertig und der nächste kann kommen. In Wirklichkeit sind Ein- und Ausatem eins. Sie bedingen sich gegenseitig. Und es lässt sich keine genaue Grenze festlegen, wo etwas endet und wo etwas beginnt.
Trotzdem, eine Bewegung muss vollendet sein, bevor die andere einsetzen kann. Und eine Handlung muss fertig sein, bevor eine andere folgen kann.
Unser Körper zeigt uns dies bei vielen Gelegenheiten. Hier einige wenige Beispiele:
- Hände: Etwas das ergriffen wurde, muss losgelassen werden, bevor die Hand etwas anderes tun kann.
- Füsse: Beim Gehen muss ein Fuss zuerst auf dem Boden aufgesetzt sein, bevor der andere sich vom Boden lösen kann.
- Ohren: Musik entsteht besteht aus unterschiedlichen Längen von Tönen und Pausen. Sprache ist die Folge von einzelnen Worten. Werden diese nicht deutlich von einander abgetrennt, ergibt das ein unverständliches Nuscheln.
Was heutzutage unter dem Begriff «Multitasking» als erstrebenswerte Errungenschaft gilt, nämlich das Erledigen von mehreren Denkfunktionen gleichzeitig, erweist sich früher oder später als Bumerang. Denn wenn man Dinge gleichzeitig machen will, führt das zu enormenem chronischem Stress im Gehirn. Man erledigt zwar vieles oberflächlich, führt aber nichts wirklich zu Ende. Die weitverbreitete Erscheinung des sogenannten «Burn outs» – ein Erschöpfungszustand von Körper und Geist – wird dadurch direkt vorprogrammiert.
Es braucht nicht viel, um sich dies selber zu beweisen: Wenn man zerstreut ist, fängt man alles Mögliche an und kann nichts wirklich vollenden. Es gibt wohl kaum eine Regel des gesunden Menschenverstandes, die in unserer Gesellschaft so konsequent missachtet wird, wie diese. Mit zum Teil verheerenden Folgen.
Lasst deshalb nicht nur in der Meditation jeden Atemzug zu seinem natürlichen Ende kommen, sondern konzentriert euch auch im Alltag immer nur auf einen Schritt und auf eine Handlung. Und führt sie vollständig zu Ende.
Falsch verstandene Kontrolle
Es gibt immer wieder Leute, die sich beim mir beklagen, dass es ihnen nicht gelinge, den ganzen Tag lang den Atem zu kontrollieren. Dieses Missverständnis, 24 Stunden am Tag an den Atem zu denken, findet man leider häufig bei Adepten der sogenannten Achtsamkeitsmeditation.
Der Begriff «Atemkontrolle», der in vielen Meditationsanleitungen angeführt wird, ist irreführend. Die Atemfunktion bedarf keiner Kontrolle. Der Atem «weiss» ganz genau, was zu tun ist. Er erfüllt seine Aufgaben, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht.
Sich des Atems immer bewusst zu sein geht gar nicht und ist auch nicht nötig. Wenn dem so wäre, könnte man sich ja auf keine andere Handlung konzentrieren. Man könnte nichts denken und niemals entspannt sein. Ganz abgesehen davon, dass man dadurch komplett in der Ichheit gefangen wäre. Lasst euch nicht auf solche Ideen ein.
Das, was der Kontrolle bedarf, ist unser wildes, emotionales Gemüt. Dort hüpft das Denken wie ein Affe von Ast zu Ast und verzettelt seine Lebensenergie in lauter unnötigen Aktivitäten.
Es ist notwendig, unser Denken und Handeln so zu meistern, dass das natürliche Wirken der Lebensfunktionen nicht dauernd von uns selbst sabotiert wird. Wenn Atem, Geist und Körper in Ruhe sind, dann – und nur dann – kann man klar sehen, hören, denken und handeln.
Das ist es, was uns Sitzmeditation lehren kann.
Angst vor der Stille
Es gibt noch einen weiteren Aspekt unseres Denkens und Fühlens, den wir durch das Beobachten eines eventuell stockenden Atemflusses oder der Pausen zwischen Ein- und Ausatem kennenlernen können. Ich denke da an die Frage, was es generell «mit einem macht», wenn es in einem gewohnten Ablauf einen Unterbruch oder eine Pause gibt.
Auf Grund meiner Erfahrungen wage ich zu behaupten, dass dies, besonders beim Atmen, von den meisten Menschen als unangenehm oder gar beängstigend empfunden wird. Fragt euch selbst: Ist es nicht so, dass «Stillstand» in der Regel negativ beurteilt wird? Wir wollen doch in Bewegung sein und immer etwas tun, damit wir uns lebendig und wertvoll fühlen. Oder etwa nicht?
Im Gegensatz dazu bedeuten Pausen in einer Bewegung, in einem Gespräch, in einer Handlung oder eben auch in der Atembewegung, eine Art Bedrohung. Im geschäftigen Alltag sind Pausen im Vergleich zu den Arbeitsstunden zweitrangig. Manchmal scheint mir, dass es für unser unruhiges Gemüt kaum etwas Beängstigenderes gibt als Stille, Leere oder Nichts. All dies wird gleichgesetzt oder ist zumindest sehr eng verbunden mit der Vorstellung von Tod.
Manche von euch mögen jetzt denken, das sei jetzt doch sehr weit gegriffen, von der Atempause auf die Todesangst hinzuweisen.
Doch auch dies kann jeder selber überprüfen. Warum bekommt man es sofort mit der Angst zu tun, wenn der Atem einmal stockt oder mühsam ist? Auch wenn dies während einer Sitzmeditation geschieht. Da kann es sogar vorkommen, dass der Atem überhaupt nicht mehr spürbar ist? Denken wir dann nicht unmittelbar, es sei etwas falsch, oder wir selber machten etwas falsch? Und warum schreckt man automatisch zurück, wenn sich im zur Ruhe gekommenen Gemüt die Stille plötzlich wie ein Abgrund offenbart, in den man zu versinken droht? Diese und ähnliche Erfahrungen sind gang und gäbe, wenn man regelmässige und echte Sitzmeditation praktiziert.
Wir lieben es doch, wenn sich etwas tut bei uns – innen oder aussen – und hassen oder fürchten das Gegenteil – wenn sich nichts tut, wenn die Welt – innen oder aussen – still steht und leer ist.
Ganz abgesehen davon: Da der Atem für uns gleichbedeutend ist mit Leben, ist Nicht-Atem gleichbedeutend mit Tod. Das ist ganz natürlich – jedenfalls für uns unwissende Menschen.
In der Angst gefangen
Solange wir Angst haben vor dem, was in unseren Augen nichts ist, bleiben wir gefangen. Dann passiert das, was viele Meditierende bei sich selbst beobachtet haben: Man bemüht sich krampfhaft, ja nichts falsch zu machen – eben ganz «konzentriert» zu bleiben! Dieses ichbezogene Bemühen schwächt die natürliche Geisteskraft. Statt das Geschehen in Ruhe zu lassen und selber in Ruhe zu bleiben, provoziert man das Gegenteil. Aus lauter Unverständnis öffnet man den angstvollen Gedanken Tür und Tor.
Besonders die Übergänge zwischen den Atemzügen – wenn die Aufmerksamkeit meist am schwächsten ist – sind ideale Einfallstore für die ichbezogenen, abwehrenden, ängstlichen und zweifelnden Gedanken, die die Stille der Meditation verhindern oder verderben. Wenn wir Momente der Stille nicht in Stille «aushalten» können, bleiben die Gedanken aktiv und dringen durch die Risse unserer Aufmerksamkeit weiterhin ins Bewusstsein ein.
Deshalb: Wenn wir Sitzmeditation betreiben, sollten wir auf der Hut sein und auch dann wach bleiben, wenn sich in Momenten der Leere für unser Gefühl nichts tut. Dieses auf-der-Hut-sein soll aber nicht auf der Angst basieren, etwas falsch zu machen. Denn Wachheit ist unsere eigene Geistesnatur, die nie aufhört. Wir sollten deshalb nur auf der Hut sein, dass unsere Gedanken die Natur nicht dauernd stören und an ihrem Wirken hindern.
Ausserdem müssen wir aufhören, zu befürchten, der Atem oder irgend etwas könnte in den Zwischenräumen, sprich in der Leere, verloren gehen. Das einzige, das in dieser Leere verschwindet, ist die Illusion von einem Ich.
Atem jenseits von «Leben und Tod»
Der Meditationsweg, der von Buddha und seinen Vorgängern in Indien angelegt wurde, nimmt für sich in Anspruch, ein Weg zur Befreiung von Täuschungen und Ängsten zu sein. Und da der Atem die Basis dieses Weges bildet, ist er offensichtlich Teil dieser Befreiung. Wie können wir dies nutzen? Der direkte Weg ist, den erfahrbaren Atem als Ganzes zu betrachten und zu verstehen.
Wenn man erkennt, dass die scheinbaren Pausen oder Unregelmässigkeiten Teile des Atemvorgangs sind, braucht man sie nicht zu fürchten. Wenn es keine Angst gibt, kann man genau hinschauen, was in der Leere wirklich geschieht.
Ohne Angst, kann man entdecken, dass Atempausen weder negativ noch positiv sind, sondern die unumgängliche Voraussetzung für die Aufrechterhaltung des Atemflusses. Alles, was ist, kommt aus dem Zustand des Nicht-Seins, der Leere.
Und so, wie die Wolken den leeren Himmel nicht eliminieren, eliminieren die Daseinsformen die ursprüngliche Leere nicht. Ohne den leeren Himmel sehen wir keine Wolken und die Wolken existieren nur in Beziehung zum leeren Himmel. So wie der leere Himmel die Basis sämtlicher potentiellen Wolken bildet, so enthält der leere Geist in sich die Potenz für das Entstehen aller «Dinge» in unserer Wahrnehmung.
Die Leerheit ist also nicht tot, sondern die schöpferische Grundlage von allen Lebensformen. So wie es das Herz-Sutra sagt: Form ist Leere, Leere ist Form.
Wer hätte gedacht, dass selbst so etwas wie die Beschäftigung mit so etwas Gewöhnlichem, wie unserem Atem, uns zur höchsten Erkenntnis dieser Wahrheit führen kann.
Zum Schluss noch dies: In der indischen Yoga- und Meditationstradition gibt es eine grosse Anzahl von Praktiken, die dazu dienen, die Atempausen bewusst zu verlängern, ohne dabei das Gewahrsein zu verlieren.
Diese Yogis verstehen diesen Scheintod als Verbindung mit dem eigentlichen, wahren und ewigen Leben, im Gegensatz zu ihrem Leben in der Scheinwirklichkeit unserer vergänglichen Erscheinungswelt. Der nicht-atmende Körper eines in dieser Praxis vollendeten Meisters scheint tot zu sein. Aber dem ist nicht so.
Denn es gibt eine subtile geistige Atmung, die weit über unsere Auffassung von Leben und Tod hinausführt. Sie ist eine Brücke vom vergänglichen, geformten Leben zum immerwährenden, ungeformten Leben.