AWH, Meditationswoche August 2023
Selbstbefragung ist ein unverzichtbares Werkzeug auf dem Weg der Bewusstwerdung und der Zen-Praxis.
Gestern haben wir uns die Frage gestellt: “Wo bin ich eigentlich?” Wir haben aber festgestellt, dass sich diese Frage gar nicht so einfach beantworten lässt.
Denn, was heisst: Ich bin hier? Was ist “hier”, was ist “ich bin”? Die drei Worte «Ich-bin-hier» stehen für etwas total Flexibles, Veränderliches, Flüssiges, Unstabiles. Nicht wahr?
Ich: Wieviele verschiedene Ichs verkörpert man im Laufe eines Tages? Angefangen bei der Person, welche sich morgens früh im Spiegel sieht, die Kinder in die Kita bringt; dann die Person, die an einer Arbeitsstelle Befehle erteilt oder Befehle entgegen nimmt oder sich alleine in einer Ecke mit einem Projekt beschäftigt und schliesslich die Person, die sich am Abend mit der Familie trifft, mit Freunden ausgeht oder sich müde vor dem Fernseher niederlässt?
Wer bin «ich» und wo war «ich» den ganzen Tag?
Wir haben bereits festgestellt, dass man gleichzeitig körperlich an einem Ort anwesend sein kann und geistig an einem ganz anderen.
Pendeln wir nicht alle dauernd hin und her zwischen Körperrealität und Denkrealität? Wirken Körper und Mind je wirklich zusammen? Wie oft hört man den Spruch: Ich (mein Kopf) weiss … aber ich (mein Körper) kann nicht. Oder: Ich möchte, aber mein Kopf macht nicht mit. Selbst in der Bibel gibt es den Satz: Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach!
Zwiespalt
Wir Menschen drücken damit aus, dass wir unser eigenes Denken und Handeln im Grunde genommen nicht verstehen, geschweige denn meistern. Wir entschuldigen unsere Widersprüchlichkeit, indem wir entweder dem Körper oder dem Geist die Schuld geben. – Dieses Hin und Her ist äusserst unbefriedigend und ermüdend. Man ist nie eins mit sich selbst, man ist nie in Frieden.
Angesichts dieser Tatsache, diesem Leiden des Gespaltenseins, hat der Buddha einen Weg aufgezeigt, der uns zu unserer ursprünglichen Körper-Geist-Einheit zurückführt. Er sagte, dank einer bewussten Lebensführung sei es möglich, mitten in dieser dualistischen Welt eins und glücklich zu sein.
War der Buddha ein heilloser Utopist? Hat er etwas geschwafelt von einem ewigen Reich des ewigen Glücks und ewigen Friedens? Hat er uns den Himmel auf Erden versprochen?
Nein, natürlich nicht! Der Buddha war durch und durch Realist. Spekulationen waren ihm fremd. Er hat sich kein System ausgedacht, weder ein spirituelles noch politisches noch philosophisches noch ein soziales System. Er hat kein Heil verkündet wie: Wenn alle Menschen friedvoll wären und zum Beispiel kein Fleisch mehr essen würden, dann wäre das Leiden in der Welt ausgelöscht.
Im Gegenteil! Er hat nur über Dinge und geistige Prozesse gesprochen, von denen er überzeugt war, dass sie von allen Menschen nachvollzogen werden können. – Vorausgesetzt, sie fühlen in sich den notwendigen Leidensdruck.
Denn der grundsätzliche Zwiespalt, die Unvereinbarkeit der Gegensätze von Reich und Arm, Angenehm und Unangenehm, Freud und Leid, Geburt und Tod usw., die der Buddha am eigenen Leib erlebt hatte, war nichts anderes, als das, was auch wir erleben – innen und aussen. Weil er selber am Zwiespalt gelitten hatte, so dass er keine Ruhe fand, suchte und fand er einen Weg, der ihn über seinen Zwiespalt hinaus führte.
Selbstverantwortung
Der Buddha suchte zuerst Rat bei den spirituellen Lehrern seiner Umgebung. Sie gaben ihm Anweisungen aller Art: Atemübungen, Yoga, Geistesübungen bis hin zum absoluten Aushungern von Körper und Geist. Er übte sie alle so ernsthaft und konsequent aus, bis er, auf die Knochen abgemagert, merkte: Hey, so geht das nicht. Wenn ich so weitermache, bin ich tot, bevor ich mein Leben gelebt und verstanden habe.
Das war der Wendepunkt. Er sagte zu sich selbst: Ich muss auf meinen eigenen Körper und eigenen Geist hören. Also begann er, durch Meditation sein eigenes Wesen zu befragen und zu entdecken, was ihm schliesslich tatsächlichen Frieden brachte.
Erst später, als einige Menschen seine friedvolle Ausstrahlung hautnah spürten oder von seiner inneren Wandlung hörten und ihn darum baten, begann er über seine Erkenntnis zu sprechen.
Er wusste allerdings, dass dies sehr schwierig, wenn nicht unmöglich, war. Trotzdem versucht er es, aus Mitgefühl für alle, die ihn ernsthaft um Rat baten, wie sie den Weg zur Heilung auch finden könnten.
Und so haben wir heutzutage einen riesigen buddhistischen Reise-Katalog. Wir können aus einer Liste diverser Varianten den Weg, bzw. die Methode wählen, die uns am besten gefällt. Aber das erspart uns die eigene Anstrengung, das eigene Bemühen nicht. Jeder einzelne Mensch muss den Weg auf den eigenen Füssen, mit dem eigenen Körper, dem eigenen Geist durchwandern, egal welche Hindernisse und Höhepunkte ihm dabei begegnen.
Hier – Jetzt
Und man muss immer da anfangen, wo man ist, mit dem, was man hat. Jede Etappe, jede Tagestour ist neu. Es macht keinen Sinn, an einem gemütlichen Rastplatz oder einem schönen Aussichtspunkt zu verharren oder dorthin zurückkehren zu wollen. Auch kann man nicht jahrelang in irgendeinem Job krampfen bis man genug Geld zusammen hat, um mit einer Rakete ins Nirvana geschossen zu werden. Wir müssen den Weg zu Fuss gehen, und zwar bis ans Ende!
Man hüte sich prinzipiell davor, die Reise auf später zu verschieben – wenn man dann pensioniert ist, mehr Zeit hat, die Kinder gross sind, usw. Denn wenn all dies erreicht ist, hat man die Kraft vielleicht nicht mehr. Es ist aber auch müssig zu denken, man sei schon zu alt, um sich auf den Weg zu machen.
Es ist nie zu früh und nie zu spät für einen echten Gesinnungswandel. Der Weg führt jedoch immer mitten durch das aktuelle Dasein hindurch. Unsere Konflikte, Streitereien und Nöte finden immer in der Gegenwart statt. Was gibt es da zu verschieben?
Körper-Geist = Ich = mein Leben
Diese drei – Körper, Geist, Ich– sind unser Sprungbrett in die Praxis. Missachtet sie nicht, wertet sie nicht ab als falsch, sündig oder schwach. Macht euch aber auch nicht zu ihren Sklaven.
Sie sind unsere Realität, unser Leben, also unser «Arbeitsmaterial». Und wenn ihre Zusammenarbeit gestört ist, was leider sehr oft der Fall ist, dann liegt es an uns, die Harmonie so weit wie möglich wieder herzustellen. Ich sage «wieder», weil das Einssein mit uns selbst und der Welt am Anfang unseres irdischen Lebens stand.
Mediziner, Psychologen, Pfarrer oder Gurus können dies nicht für uns tun. Wir müssen uns selber verarzten und heilen. Allerdings mit Verstand und Wissen, nicht, indem wir auf irgendeinen hergelaufenen Propheten oder Scharlatan hereinfallen, der uns alles Mögliche verspricht. Der Buddha hat keine Versprechungen gemacht. Und auch ich habe euch nichts versprochen. Ich habe zu niemandem gesagt: Komm zum Retreat, komm in unser Zentrum und du wirst glücklich werden. Das kann man nur freiwillig tun.
Also, was hat es mit diesem Körper-Geist-Ich-Komplex auf sich? Warum macht uns dieser so viel Probleme? Die Antwort ist einfach: Weil wir diesen Komplex nicht verstehen. – Und um ihn verstehen zu lernen, müssen wir genau hinschauen.
Man ist, was man isst
Was wissen wir von unserem Körper? – Wir wissen, dass wir als kleiner Körper geboren wurden. Dann wurde dieser immer grösser und runder. Warum und wie? Wir haben gegessen und getrunken! Die Zellen haben die Nahrung aufgenommen und sich vermehrt. Dieser Körper (A zeigt auf sich selbst) ist angesammeltes Essen (Gelächter), ist Fleisch gewordene Natur!
Wenn wir nicht alle einen Schluck Muttermilch bekommen und Gefallen gefunden hätten an der Nahrungsaufnahme, dann wären wir nicht hier. Auch Kinder, welche die angebotene Nahrung ablehnen – pfui, das ess’ ich nicht – müssen essen, um zu wachsen. Auch wenn sie nur das akzeptieren, was ihnen schmeckt: Spaghetti oder Pommes Frites. Aber das ist nicht nur bei Kindern so: Wir essen das, was uns schmeckt und werden grösser und grösser und vielleicht auch runder und runder. So sind wir geworden, was wir jetzt sind. Ob es uns gefällt oder nicht.
Mit der Mind verhält es sich ebenso. Unser Ich-Bewusstsein ist auch nichts anderes als angehäufte Nahrung. Es ist genährt von dem, was man gehört, gesehen und im Gemüt gespeichert hat. Man kann auch geistig übergewichtig oder zu mager sein.
Zu diesem Konglomerat aus angehäuftem mentalem Material und angehäufter Körper-Materie sagen wir «Ich». Jeder hat sein eigenes, individuelles Ich. Für den täglichen Gebrauch benutzt man dafür einen Namen, der bereits festgelegt wurde, als man noch ein drei oder fünf Kilogramm schweres namenloses Wesen war.
Ist es da verwunderlich, dass man nicht weiss, wer man ohne diesen Namen ist?
Das Problem mit dem Ich
Problem Nr. 1: Es gibt sooo viele andere Ichs um uns herum. Und unsere Welt ist so klein und so eng, dass wir nicht wie die Planeten im Universum aneinander vorbei tanzen können. Wir stossen zusammen, reiben uns, verbinden uns und trennen uns wieder. Aber jeder und jede identifiziert sich nur mit sich selbst: mein Körper, mein Denken, meine Gefühle, mein Mann, mein Kind, mein Spielzeug, mein Besitz und mein Recht. Und wehe, jemand will nicht «mein Kind,» «meine Frau», «mein Besitz» sein … Und wehe, jemand nimmt mir mein Etwas weg, kritisiert oder beschimpft es gar. Leid in Form von Wut, Angst, Trauer und Depression ist vorprogrammiert.
Problem Nr. 2: Alles, was wir sind, ist prinzipiell am Zerfallen. Kaum hat sich etwas aufgebaut, kaum denken wir: Jetzt habe ich etwas, jetzt bin ich etwas, beginnt es schon zu welken. Einer sagt zu dir: «Oh, du bist schön, ich liebe dich, du bist mein Ein-und-alles!» Dann verändert sich die Form, die Haut, die Haarfarbe, die Leibesfülle, die Vorlieben und Abneigungen. Leid in Form von Unsicherheit, Angst vor Liebesverlust, Neid, Sehnsucht nach vergangenen Tagen und Todesangst ist vorprogrammiert.
Es gibt immer jemanden, dem «meine» Nase nicht passt. Und es gibt immer jemanden, dem «meine» Nase passt. Also suchen wir all jene Nasen zusammen, die unsere schöne Nase bestätigen, und wehren die anderen Nasen ab. Leid in Form von Hass, Zank und Krieg in Parteien, Familien, Völkern, inklusive Mord und Todschlag, ist vorprogrammiert.
Problem Nr. 3:
Kollektive Wertvorstellungen, Mode, politische Umstände, die ganze Welt, alles verändert sich ständig. Man kann nichts festhalten, nichts bewahren, auf nichts zählen. Leid in Form von Verlustangst, Unsicherheit und Frustration ist vorprogrammiert.
Was kann man tun?
Ich denke, diese drei Problemkomplexe sind genug, um zu beweisen, dass es nicht möglich ist, in dieser Welt ein für alle Mal Ruhe und Frieden zu finden. Genau das hat der Buddha in seiner Lehre der Vierfachen Wahrheit als die erste unumstössliche Wahrheit dargelegt.
Diese Lehre führt via den Achtfachen Pfad zur möglichen Erfahrung einer anderen, nicht weltlichen Art von Frieden. Es ist der Pfad der Selbstbefreiung durch rechtes Denken und rechtes Handeln, welche beide mit rechtem Bemühen und rechter Meditation verbunden sind.
Was ist der Kern, die Quintessenz, von dieser Botschaft? Es die Erkenntnis von dem, was dieses Körper-Geist-Konglomerat in die Existenz gebracht hat und das Realisieren dessen, was das Konglomerat belebt und überdauert.
Auch wir können erkennen, was uns ins Leben gebracht hat und belebt.
Man schaue immer wieder neu hin: Wovon ernähre ich mich? Wovon lebe ich körperlich und geistig? Was atme ich ein und aus? Was wärmt den Körper und das Gemüt?
Es ist die ganze grosszügige und selbstlose Natur. Die Natur hat nichts dagegen, ein Konglomerat aus Knochen und Fleisch zu werden – im Gegenteil! Sie schafft sich dauernd neue Wesen. Der Mensch – du und ich – sind nur eines davon!
Die Weisheit der Körper- und Geistesnatur
Mit unserer Nahrung aus der Natur nehmen wir auch die Weisheit der Natur in uns auf. Was ist die Weisheit der Natur?
Planeten, Menschen, alle Wesen in der Luft im Wasser, in der Erde oder im Himmel, sie alle tanzen den Tanz des Lebens zur Musik der Natur. Sie nähren sich gegenseitig, durchdringen sich in ihrem Werden und Sterben ohne Hindernis.
Schaut euch dieses grosse Leben an! Es ist reine Intelligenz! Eine Intelligenz, die unsere Gehirn-Intelligenz weit übersteigt.
Wie weiss zum Beispiel eine bestimmte Fliege, dass sie aussehen soll wie eine Wespe, um Fressfeinde abzuwehren? Wie weiss ein Chamäleon, dass es die Hautfarben wechseln kann, um unsichtbar zu werden? Habt ihr euch das schon einmal überlegt? Die Fliege und das Chamäleon sehen sich ja selbst nicht. Sie haben keinen Spiegel. Oder vielleicht doch?
Wie weiss ein im Frühjahr geschlüpfter Vogel, wie er den Weg ins Winterquartier finden kann? Wer hat seine Landkarte in den Himmel gezeichnet?
Wo wir hinschauen gibt es verborgenes Wissen! Dieses Wissen ist uns, wie allen anderen Wesen, angeboren. Nur indem wir unser Leben aktiv leben, können Körper und Geist ihr Wissen zur Entfaltung bringen. Theorien und philosophische Lehren können dies nicht tun.
Um uns selbst immer neu an diese Tatsache zu erinnern, sprechen wir unter anderem bei jeder Mahlzeit Worte wie diese:
Lasst uns innehalten und bedenken:
Jede Mahlzeit ist eine Gabe von Himmel und Erde.
Viele Kräfte wirken zusammen, bis Nahrung gewachsen und zubereitet ist.
Wir wollen sie mit Ruhe und Achtsamkeit zu uns nehmen, im Wissen, dass sie unserer Körper- und Geisteskraft dient.
Lasst uns so leben, dass wir diese Gabe nicht entwürdigen …
Wie oft aber verwirklichen wir dieses Gebet im Alltag?
Wahre Selbstachtung
Ist es nicht eher so, dass wir denken, der Körper sei unser Eigentum? Man könne damit tun und lassen, was einem beliebt, egal ob es ihm gut tut oder nicht? Und wenn einem etwas daran nicht passt, dann geht man in eine Klinik und lässt sich etwas herausschneiden oder zurechtbiegen. Ist das Weisheit? Ist das Liebe?
Der Buddha war Realist und wir sollten es auch sein. Wenn man so lebt, als wäre man Herrscher über sich selbst und andere, wenn man nicht sehen kann, was man ist, dann muss man halt die Folgen tragen. Solches Leiden ist selbstgemacht.
Deshalb ist das Einzige, was zählt, die wahre Selbstkenntnis. Erkenne, was du wirklich bist! Wende dich an den ursprünglichen, intelligenten Geist.
Das sind natürlich alles bloss Worte, wir haben sie x-Mal gehört und gelesen. Kaum jemand, oder nur ganz wenige, setzen sie konsequent in die Tat um. Es fehlt meist an Geduld, Ernsthaftigkeit und nicht zuletzt an der Notwendigkeit. So lange es einem gut genug geht beim selbstzentrierten Schalten und Walten, solange der Körper nicht allzu sehr rebelliert, solange gibt es keinen Grund, sich zu hinterfragen.
Unser Wesen ist ganz und gar von der Patina des Überflusses bedeckt – von überflüssiger Körpermaterie und überflüssiger Mindmaterie. Vieles davon haben wir uns unter Mühe und Schweiss «erarbeitet». Das will man nicht so leicht weggeben.
Fasten
Weil dem so ist, üben wir uns im Meditationsretreat zuerst einmal im Fasten. In der Hoffnung, etwas vom überflüssigen Gewicht loszuwerden! Wir fasten hier allerdings nicht unbedingt beim Essen. Im Gegenteil, wir bekommen reichhaltige Mahlzeiten serviert. Das Masshalten ist jedem selber überlassen, das Zuviel ebenfalls.
Das Fasten, von dem ich spreche, betrifft den Geist. Es gibt zum Beispiel das Fasten beim Reden: Lass mal ab von der Gewohnheit des ununterbrochenen Quasselns. Enthalte dich des ewigen Dialoges in deinem Kopf. Verzichte darauf, jede Wahrnehmung und jede Empfindung gleich in Worte zu fassen. Sei mal still und schweig.
Doch was geschieht, wenn ich nicht reden «darf»? Wenn ich nicht jeden Gedanken äussern kann? – Kommt vielleicht Unmut auf oder Angst: Was passiert jetzt mit mir? Wer bin ich nun? Ich bin so daran gewöhnt, mich dauernd mit anderen auszutauschen, nun fühle ich mich abgestellt und allein…
Dann halt dies mal ein paar Tage lang aus! Und schau, was in dir vorsichgeht.
Auch das Sitzen auf dem Sitzkissen ist eine Art Fasten. Lass mal davon ab von der Gewohnheit, mit Körper und Geist zu zappeln und wie ein Hund von einer interessanten Duftmarke zur anderen zu rennen. Halte den Körper still und verzichte darauf, auf jeden Reiz zu reagieren.
Was geschieht, wenn ich mich nicht nach Lust und Laune bewegen «darf»? Meldet sich Unmut oder Widerstand?
Dann halt dies mal ein paar Stunden aus! Schau, was in dir vorsichgeht.
Schmerzen
Es ist gut möglich, dass das ungewohnte Stillsitzen nach einer Weile Schmerzen in den Beinen oder sonst wo im Körper mit sich bringt. Da wir wohl alle irgendwann im Leben mit Schmerzen konfrontiert werden oder jemand vielleicht sogar dauernd mit Schmerzen leben muss, bietet sich hier eine gute Gelegenheit, sich mit dem Phänomen «Schmerz» vertraut zu machen und einen anderen Umgang damit zu finden, statt einfach Tabletten mit Nebenwirkungen zu schlucken oder zu fliehen.
Meditation
Innehalten, still sein, schweigen, horchen, – das sind die unabdingbaren Fähigkeiten, die uns dazu verhelfen, die eigene Stimme der Weisheit und Erkenntnis, Prajnaparamita, zu entdecken und zu hören. So wie es im Herz-Sutra heisst:
Im Geiste der Bodhisattvas, die auf Prajnaparamita bauen, gibt es keine Hindernisse, und da sie frei von Hindernissen sind, haben sie keine Angst … und gelangen dadurch zur höchsten vollkommenen Erkenntniss.
Ob in der Sitzmeditation oder im täglichen Leben, ob in der Stille der Meditation oder in der Stille der Nacht: Wenn irgendeine Angst aufkommt, dann ist es letztendlich die Angst vor dem Ich-Verlust. Man ist nicht mehr Herr und Meister seiner selbst. Und das ist wie sterben.
Aber macht euch keine Sorgen: Es ist noch keiner an ein paar Stunden Sitzmeditation oder Schweigen gestorben. Schon gar nicht, wenn an jedem Tag auch Stunden der Erholung und Bewegung folgen, wie hier. (Lachen)
Es ist aber sehr wohl möglich, dass etwas in uns stirbt, wenn wir uns mit ganzer Hingabe, Ernsthaftigkeit und Geduld der Meditation überlassen. – Vielleicht stirbt dann die Angst oder die Ungeduld oder die Wut oder vielleicht sogar das festgefahrene Selbstbildnis?
Fazit
Es ist nicht nötig, ein speziell religiöser oder gläubiger Mensch zu sein oder sich rigorosen körperlichen und geistigen Ritualen zu unterziehen. Wir brauchen keine übernatürlichen Kräfte zu entwickeln. Es ist uns von Natur aus alles gegeben, um die Quelle der Weisheit «anzuzapfen». Man muss bloss lernen zu unterscheiden, was dafür förderlich ist und was nicht förderlich ist.
Förderlich ist Stille und Besonnenheit, nicht förderlich ist ununterbrochene, unruhige mentale Aktivität. Förderlich ist ein gewisses Mass an Gewahrsein des eigenen Denkens und Handelns. Nicht förderlich ist ein von Gewohnheiten getriebenes Gemüt, das dauernd nach Selbstbestätigung Ausschau hält.
Förderlich ist Geduld, Ausdauer, Beharrlichkeit im unerschütterlichen Vertrauen in die verborgene Geisteskraft, die uns mit Weisheit und Freude durch das Leben begleitet. Von der Wiege bis zum Tod und darüber hinaus.
Meditationswoche – alle
- 1.Worum es geht
- 2. Selbstbefragung
- 3. Die grosse Stille
- 4. Blick in einen Vulkan neu
- 5.Intuition
- 6. Variationen der gleichen Musik