Erde, Himmel, Mensch

Erde, Himmel, Mensch – H. Platov 29. Sept. 1977

Erde, Himmel, Mensch ist eines der zahlreichen Themen, welche H.Platovs tiefe Verbundeheit mit der taoistischen Lehre zum Ausdruck bringen. Es weist es auf die primären, natürlichen Grundlagen des menschlichen Daseins hin. Das sind einerseits die materiellen Gegebenheiten aller irdischen Existenz – Erde und Himmel – andererseits das Bewusstsein, das den Menschen befähigt, sich seines Daseins in dieser Welt gewahr zu sein und die diversen Wirkungkräfte in sich zu vereinigen.

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Erde, Himmel, Mensch

Die Weisen des alten China sagten: «Es existieren drei Mächte. Die Macht des Himmels, die Macht der Erde und die Macht des Menschen. Der Mensch existiert zwischen Himmel und Erde. In ihm verbinden sich die Mächte; die Macht des Himmels und die Macht der Erde werden in ihm eins. Das ist seine Macht.»

Der Ursprung der zwei Mächte von Himmel und Erde ist das Eine; Himmel und Erde sind aus diesem Einen hervorgegangen. Der Mensch existiert zwischen diesen zwei Mächten; er hat das Eine in sich und kann sich dessen gewahr werden.

Durch die Verbindung der zwei Mächte Himmel und Erde wird der Mensch innerlich berührt, er wird sich dieses Einen gewahr.

Es ist, wie wenn sich zwei Finger berühren, ein Finger wird sich des anderen gewahr. Durch dieses Gewahr-Werden, durch diese Berührung, durch diesen Kontakt wird man sich etwas Einem gewahr. Man richtet die Aufmerksamkeit auf den Kontakt dieser zwei Finger; ein Finger fühlt den anderen.

Das ist ein ganz einfaches, aktuelles Beispiel. Was ist es, das sich dessen gewahr wird?

Die zwei Mächte Himmel und Erde – oben der Himmel und unten die Erde – verbinden sich im Menschen. Im Raum dazwischen, zwischen Himmel und Erde, liegt die menschliche Existenz. Wir atmen die Luft in diesem Raum; ohne diese Räumlichkeit könnten wir uns nicht bewegen; ohne diese Luft würde wir auch nicht leben. Ohne den Raum zwischen Himmel und Erde gäbe es weder Leben noch Bewegung. Von der Sonne kommt die Wärme, das Licht. Ohne dieses Licht und diese Wärme gäbe es kein Leben, alles wäre erstarrt.

Glänzende Dunkelheit

Aber da ist noch etwas ganz anderes: Ein Erdbewusstsein, ein sehr tief gehendes Erdbewusstsein. Die Erde ist etwas Dunkles, aber da ist eine schöpferische Energie in ihr, ein Licht, allerdings kein optisches Licht, es ist eine „lichtige“ Kraft. Die Mystiker sprechen von einer «lichten Dunkelheit» oder «glänzenden Dunkelheit». Auch diese wirkt im Menschen. Der Mensch sollte sich dieses Erdbewusstseins gewahr werden.

Sämtliche Wesen, sämtliche Dinge, auch die sogenannt toten Dinge, die Steine, die Felsen, alles ist Ausdruck dieser irdischen Kraft, auch der Mensch. Es ist die Kraft, die aus der Tiefe nach oben strebt. Wie bei einem Baum: Die Wurzel strebt in die Tiefe und der Baum strebt in die Höhe; je tiefer die Wurzel, desto höher der Baum. Je mehr sich die die Wurzeln ausbreiten, desto verzweigter sind die Äste, sie gehören zusammen; ohne Wurzel kein Baum.

Die andere Kraft, die des Himmels – und damit ist mehr gemeint als die lebenspendende Sonne im Himmel oder die Wolken, die uns und allen Lebewesen Regen geben, sodass wir das nötige Wasser haben – die Kraft des Himmels ist eine geistige Kraft, ein geistiges Licht.

Die Verbindung von Himmel und Erde

Die zwei Kräfte, das Licht der Erde und das Licht des Himmels, verbinden sich, vereinigen sich, werden eins in allen Lebewesen. Dessen soll man sich gewahr werden.

Wir Menschen sind in uns selbst eingeschlossen – obschon wir auch Öffnungen haben wie Augen, Ohren und alle anderen Sinne, durch die wir sozusagen aus uns heraus oder in uns hinein treten können. Wir sollten erkennen, dass wir diese Verbindung mit dem Universellen, mit Himmel und Erde in uns tragen. Die zwei Kräfte, das „dunkle Licht“ und das „helle Licht“ werden eins. Sie stehen sich nicht gegensätzlich, entgegengesetzt, gegenüber; sie sind nicht feindlich gesinnt, nein, sie versöhnen sich im Menschen, sie werden eins.

Die zwei Kräfte Himmel und Erde berühren sich also, sie fliessen ineinander. Durch diese Verbindung entsteht eine Wahrnehmung, und diese Wahrnehmung weckt die Erkenntnis des Einen.

Wenn man Meditation übt, soll man sich dessen gewahr sein. In der Meditationsform des Taoismus wird das Einswerden sehr betont. Im Zen wird nicht viel darüber gesprochen. Aber die Einheit wird zur Erfahrung, zum Erlebnis, zur Entdeckung.

Einheits-Meditation

Die Meditationsanweisungen der alten Weisen zielen darauf, sich der Kraft der Erde von unten nach oben und der Kraft des Himmels von oben nach unten gewahr zu werden. Wo sich das dunkle Licht und das helle Licht treffen, eins werden, entsteht ein Kern von Bewusstsein. Im Taoismus bezeichnet man das als «die Zirkulation des Lichtes». Es ist eine Vitalkraft, eine Lichtkraft, «lichtig», vital. Man soll sich dieser Verbindung, dieser Vereinigung der beiden Ströme gewahr werden.

Auch der grosse indische Lehrer Sri Aurobindo sagte: «Man soll nicht bloss die Kraft von oben nach unten sehen, die höhere Kraft, man soll auch die niedere – das ist nicht im schlechten Sinn gemeint –, die niedere Kraft von unten nach oben sehen und wo sie sich verbinden.» Bei Aurobindo lokalisierte man die Mitte, wie üblich in der indischen Meditation, in der Herzgegend, bei den Taoisten in der Nabelgegend. In anderen Meditationsformen liegt der Fokus etwas unterhalb des Nabels, im Hara wie. z.B. in der Zen-Meditation. Das sind aber alles nur formelle Unterschiede.

Leben – Licht – Leben

Unser Bewusstsein ist gewöhnlich ganz anders beschäftigt, nämlich mit uns selbst, mit unserer täglichen Existenz, mit dem, was da draussen vor sich geht in Verbindung mit uns selbst und was sich in uns abspielt. Wir beschäftigen uns mit allem Möglichen, mit unserem Körper und unserem Bewusstsein, mit unseren Gedanken und unseren Empfindungen, aber nie mit den Grundlagen des Lebens überhaupt.

Und so werden wir auch verbraucht oder verbrauchen uns selbst. Aber wenn schon der Verbrauch einer elementaren Substanz, notwendig ist, dann soll doch wenigstens Licht aus dieser Substanz entstehen. Wie bei einer Kerze: Das Wachs wird verbraucht, aber es wandelt sich in Licht um. Leben soll zu Licht werden und dann wird Licht zu Leben.

Und so werden wir auch verbraucht oder verbrauchen uns selbst. Aber wenn schon der Verbrauch einer elementaren Substanz, notwendig ist, dann soll doch wenigstens Licht aus dieser Substanz entstehen. Wie bei einer Kerze: Das Wachs wird verbraucht, aber es wandelt sich in Licht um. Leben soll zu Licht werden und dann wird Licht zu Leben

Das «Lebenslicht» ist eine Aktualität, man muss sie bloss sehen. Man soll sich danach richten. Das ist die Essenz, der Kern der Sache. Ohne diese Essenz wäre das, was sich dauernd so mit sich selbst beschäftigt, gar nicht da. Dieses bewusste Ich, das andauernd und immerwährend «Ich» sagt wäre gar nicht da ohne diese Essenz. Das Ich soll die Wurzel, den Ursprung seiner Existenz erkennen und sich nicht dauernd in diesem und jenem verlieren – deswegen meditieren wir. In der rechten Meditation – nicht der selbstzentrierten Beschäftigung mit sich selbst – verliert sich das Ich in «etwas anderem» um sich durch dieses Verlieren zu finden.

Im Alltag verliert sich das Ich die ganze Zeit in dieser und jener Beschäftigung, aber in dieser Art von Meditation verliert sich das Ich, um sich im Licht wieder zu finden. Dann sagt man immer noch «ich», aber es ist dann nicht mehr bloss dieses persönliche, kleine Ego, das sich immer beschäftigt mit: «Habe ich recht, habe ich unrecht? Ist es richtig, ist es falsch? Ist es wahr, ist es unwahr?» und so weiter. Das ist dann etwas ganz anderes.

Zusammenfassung

Wir sollen uns der zwei Universalkräfte, die sich im Menschen vereinigen, eins werden, ineinander fliessen – dieser Zirkulation des Lichtes – gewahr werden. Das war die Meditation, die von den frühen Zen-Meistern und Mönchen in direkter Verbindung mit dem Ur-Taoismus praktiziert wurde.

Die körperliche Lebenssubstanz wird verbraucht, man wird geboren, wird älter und älter und dann stirbt man. Noch einmal: Wenn sie schon verbraucht wird, was unvermeidbar ist, dann soll man sie wenigstens so brauchen, dass sie zu Licht wird.

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