Überwältigende Emotionen

Überwältigende Emotionen – In den Bardo-Zuständen des Todes und nach dem Tod sind wir sehr anfällig für intensive emotionale Zustände, für überwältigende Momente der Panik und Angst. Zu lernen, wie wir jetzt effektiv mit unseren Emotionen umgehen können, gilt daher als wichtiges Training für diese späteren Bardo-Erfahrungen. (pdf)

Wenn wir die Lehren über die Emotionen studiert und kontempliert und die Methoden der Meditation erlernt und geübt haben, sind wir darauf vorbereitet, mit den Emotionen umzugehen, wenn sie in unserem täglichen Leben auftauchen. Wir werden achtsamer und geschickter und dadurch werden sie leichter zu verarbeiten. Sie verschwinden nicht sofort, aber wenn sie auftauchen, erkennen wir sie. Wir sagen: «Oh, jetzt werde ich wütend» oder «Jetzt bin ich richtig neidisch». Wir sehen die Emotion kommen und können sie kontrollieren und allmählich überwinden.

Wenn wir jedoch nicht mit unseren Emotionen vertraut sind, bemerken wir sie nicht einmal, wenn sie einsetzen. Wir merken nicht nur nicht, dass es sie gibt, sondern auch nicht, dass sie entstehen und vergehen. Unter solchen Umständen ist es sehr schwer, überhaupt mit den Emotionen zu arbeiten, weil wir es uns angewöhnt haben, einfach auf ihre Energie zu reagieren.

Wenn der Arzt zum Beispiel mit einem kleinen Hammer an einer bestimmten Stelle auf dein Knie schlägt, schlägt dein Bein automatisch aus. In ähnlicher Weise neigen wir dazu, automatisch zu reagieren, wenn eine Emotion auftaucht. Je nach Gewöhnung können wir auf zwei Arten reagieren: auf eine negative und auf eine positive.

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Wenn wir uns an negative Gemütszustände gewöhnt haben und ohne Bewusstsein und Achtsamkeit auf Situationen reagieren, dann ist es sehr schwierig, positive Energie in unseren Gemütszustand zu bringen, um unsere Depression, Wut, Angst usw. zu lindern, egal wie sehr wir das wollen. Wenn Wut aufkommt, werden wir weiterhin unüberlegt reagieren. Unsere Wut kann ausbrechen und wir können anfangen, jemanden anzuschreien, gegen Türen zu schlagen oder Gegenstände zu zerschlagen.

Egal um welche Emotion es sich handelt, wir wissen, was passiert, wenn man auf diese Weise reagiert: Eine Emotion führt zur nächsten und wir erfahren immer mehr Leid. Vielleicht schlafen wir schlecht, Groll und unsere Eifersucht werden zu Zorn, und aus Zorn wird Hass. Und so wird es immer natürlicher für uns, negativ zu reagieren. Es mag sich gut anfühlen, jemanden anzuschreien oder zu verprügeln, aber das beendet unser Leiden nicht. Das Problem ist, dass diese Art von Reaktion noch mehr Leid hervorruft.

Wenn wir uns dagegen positive Gedanken, Handlungen und Geisteszustände angewöhnen, indem wir Achtsamkeit, Gewahrsein, liebevolle Güte und Mitgefühl kultivieren, ist es viel einfacher, inmitten einer Krise einen positiven Geist zu entwickeln. Wenn dann eine starke Emotion wie Wut auftaucht, kommt das Gewahrsein ganz natürlich ebenfalls auf. Wir können uns Zeit nehmen, um nachzudenken: «Jetzt bin ich wütend geworden. Was muss ich jetzt tun?»

Wenn wir auf diese Weise reagieren, können wir unseren Geist beruhigen und über die positiven Eigenschaften der Person nachdenken, auf die wir wütend sind. Wir streben mit allen Mitteln, die uns auf unserem Weg zur Verfügung stehen, danach, mehr Mitgefühl für andere und für uns selbst zu entwickeln.

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Im Lichte der Lehren über die sechs Bardos betrachtet, sind alle unsere Praktiken in diesem Leben eine Form der Gewöhnung unseres Geistes an positive Zustände und eine Vorbereitung auf die extremen Emotionen und herausfordernden Situationen, die wir im Tod und in den Zuständen nach dem Tod erleben werden.

Um unser Leben und unser Sterben wahrhaftig erfahren zu können, müssen wir die Erfahrung des Nichtwissens meistern. Dies beginnt damit, dass wir einfach so sind, wie wir sind, und da, wo wir uns in diesem Moment befinden. Was auch immer wir gerade durchmachen, das ist das, was wir in diesem Moment sind.

Dieses Jetzt-Sein ist nichts Äußerliches, wir sollten nicht im Außen danach suchen, sondern direkt auf den Raum unserer unmittelbaren Erfahrung schauen. Diese ist immer direkt vor unseren Augen. Es ist der Raum, der weder deiner noch meiner, weder ihrer noch unserer ist.

Wenn wir uns diese Unterweisungen zu Herzen nehmen und sie praktizieren, wird es sehr leicht sein, auf die lebhaften Projektionen unseres Geistes, die in den Bardos auftauchen, positiv zu reagieren.

Die Lehren besagen, dass, selbst wenn wir die Natur des Geistes und die Realität aller Phänomene in diesem Leben nicht erkennen, es möglich sein wird, dies zum Zeitpunkt des Todes zu tun, weil sich der Geist beim Tod auf so intensive und mächtige Weise manifestiert.

Weiter ist gesagt: Selbst wenn es uns nicht gelingt, die Natur des Geistes im Moment des Todes zu erkennen, haben wir in den beiden Bardos, die nach dem Tod erscheinen, weitere Möglichkeiten dazu. Und selbst wenn wir in dieser Zeit keinen Erfolg haben, werden wir zumindest in der Lage sein, einen ruhigen und friedlichen Geisteszustand aufrechtzuerhalten und eine günstige Wiedergeburt zu erreichen, weil wir uns an die Achtsamkeits- und Bewusstseinspraktiken gewöhnt haben.

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Die Einübung dieser Lehren kann auch für andere von Nutzen sein. Wenn jemand, den wir kennen, im Sterben liegt oder einen emotionalen Zusammenbruch hat, können wir bis zu einem gewissen Grad eine beruhigende Stütze für diese Person sein, vorausgesetzt, unser eigener Geist ist verhältnismäßig ruhig. Wenn wir es schaffen, auf dem Boden zu bleiben und nicht unüberlegt zu handeln oder zu sprechen, wenn jemand wütend ist und uns anschreit oder an unsere Tür hämmert, dann können wir einen positiven Einfluss auf diese Person ausüben. Das ist an sich schon ein grosser Vorteil, den wir aus unserer Praxis ziehen.

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