Meditation – Es sind nun bald dreissig Jahre, in denen wir uns am Zentrum für Zen-Buddhismus der Praxis und dem Studium der Meditation widmen. Im Laufe dieser Zeit hat sich eine erhebliche Korrespondenz ergeben mit Berichten und Fragen von Menschen aus unterschiedlichen Ecken der Welt. Die Fragestellungen sind dabei mehr oder weniger die gleichen und betreffen hauptsächlich Erfahrungen bei der Sitzmeditation. In der Vermutung, dass es in der Leserschaft von Dhyāna viele gibt, die mit ähnlichen Fragen beschäftigt sind, fassen wir in im Beitrag Allgemeine Frageneinige Bemerkungen aus der Korrespondenz zusammen.
Als Einleitung und Basis dient der Beitrag Meditation. Es handelt sich dabei um einen ins Deutsche übersetzten Auszug aus einer Meditationsanleitung von Dudjom Yeshe Dorje Rinpoche. Wir haben diesen Text aus der grossen Auswahl von online zugänglichen Vorträgen ausgewählt, weil er alles Wesentliche sagt, was es zur wahren Meditation zu sagen gibt und durch seine Einfachheit und Klarheit besticht. Wann immer im Folgenden von «Meditation» die Rede ist, bezieht es sich auf das, was Dudjom Rinpoche so treffend erklärt als «Friedvolles Verweilen des Geistes in seinem ursprünglichen Zustand der Ruhe.»
Es wird empfohlen, sich diese Worte laut und langsam selbst vorzulesen, so als ob man sie in der aktuellen geführten Meditation hören würde.
Meditation
Dudjom Yeshe Dorje Rinpoche
Einerseits ist das, was wir Dharma (die Lehre des Buddha) nennen, sehr schwierig, andererseits ist es sehr einfach, denn es hängt alles nur von unserem eigenen Geist ab.
Wir sollten also nach unserem eigenen Geist suchen und uns um ihn kümmern.
- Lass dich nicht von aufsteigenden Gedanken mitreissen.
- Schneide deine Überlegungen und Ideen über das, was Geist ist, ab und erlaube deinem Geist, sich in seinem natürlichen Zustand zu entspannen.
- Lass deinen Geist einfach ganz gelöst in deinem Körper ruhen.
Wie fühlt sich der Zustand der Entspannung an?
Es ist wie wenn man gerade eine anstrengende Arbeit beendet hat, nicht wahr? Nachdem man lange und hart gearbeitet hat, um seine Aufgabe zu erfüllen, erfährt man eine wohlige Zufriedenheit und geniesst es, sich einfach auszuruhen. So kommt der Geist ganz natürlich in einen Zustand der Ruhe. Man ist entspannt und bleibt es eine Zeit lang, ohne sich im üblichen Muster wilder, unsinniger Gedanken zu verfangen.
Diesem Beispiel folgend, sollten wir unseren Geist auch inmitten der vielfältigen turbulenten Gedanken bewahren und schützen.
- Lass deinen Geist in seinem natürlichen Zustand und entspanne dich.
- Halte den Körper und den Mund still.
- Denke nicht darüber nach, ob du dieses oder jenes tun solltest.
- Bring deinen Geist einfach in einen Zustand der Entspannung und Stille, in dem es kein Jagen nach Objekten und keine wilden und verrückten Gedanken gibt.
Es sollte sich ein Zustand einstellen, der vital, offen und leer ist, strahlend klar und locker. Dieser Zustand der Leichtigkeit ist ein Zeichen dafür, dass der Geist seine ureigene Klarheit erreicht hat und in dieser Verfassung der Klarheit weilt.
Aber es bleibt nicht lange so, es geschieht etwas: Ein Gedanke steigt auf. Wenn dies geschieht, überlasse es dem Gewahrsein, es zu erkennen.
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Wenn etwas auftaucht, denke nicht, dass etwas schief gelaufen sei, sondern nimm es zur Kenntnis, sobald es auftaucht, und lass es dabei bewenden. Begnüge dich mit dem Erkennen.
Wenn der Geist einfach in seinem natürlichen Zustand belassen wird, ist er in Frieden, und alle aufsteigenden Gedanken und Gemütsregungen klingen auf natürliche Weise ab.
Indem man die Gedanken in Ruhe lässt, befreien sie sich selbst. Sie sind wie Wellen im Ozean: Lässt man sie frei, lösen sie sich wieder im Ozean auf. Und das ist wirklich der einzige Ort, wohin sie gehen können.
Genauso verhält es sich mit unserem Geist. Wenn aus der Stille heraus eine Bewegung entsteht und man diese einfach ihrem eigenen natürlichen Lauf überlässt, kommt sie von allein zur Ruhe. Auf diese Weise findet der Geist ganz natürlich Frieden und wird automatisch klar. – So sollst du praktizieren.
Aber stattdessen denkt man: «Oh, jetzt ist dieser Gedanke entstanden! Das ist falsch!» und versucht, den Gedanken zu stoppen. Das ist aber schon ein zusätzlicher Gedanke. Damit fördert man bloss die eigene Verwirrung, weil der Geist in Objekte gefangen wird. – Übe also nicht so.
Im Erkennen zu ruhen, ohne den Gedanken zu folgen, ist als «friedvolles Verweilen» bekannt, weil es die Macht der Gedanken zerstreut oder besänftigt und einen befähigt, in der glückseligen Natur des eigenen Geistes zu verweilen. Das nennen wir in Sanskrit die «Praxis von Shamata».
Wenn man mit dieser Praxis einigermassen vertraut ist, kann man einen Zustand körperlicher und geistiger Glückseligkeit oder Freude erleben. Und wenn man nachts meditiert, kann man eine Helligkeit erfahren, als ob das Tageslicht angebrochen wäre.
Verschiedene ähnliche Erfahrungen können sich einstellen. Sie sind Anzeichen dafür, dass man den Frieden und die Ruhe von Shamata stärkt.
…
Es ist kein Fehler, diese Erfahrungen für positiv zu halten, aber es wäre ein Fehler, sie festhalten zu wollen.
Wenn man diese Erscheinungen einfach zulässt, ohne im geringsten an ihnen zu haften, können sie die Praxis nur unterstützen und keinen Schaden anrichten.
Welche Erfahrungen von Glückseligkeit oder Klarheit auch immer auftreten, es gibt keinen Grund, sie festhalten zu wollen und auch keinen Grund, sie zu unterdrücken. Man erlaube ihnen einfach, sich auf natürliche Weise aufzulösen.
Es ist auch möglich, dass man die Erfahrung der so genannten Abwesenheit von Gedanken macht. Dies ist ein dunkler, dumpfer und schläfriger Zustand, in dem es keinerlei Gewahrsein gibt. Man schläft nicht ganz, aber man befindet sich in einer leeren Dumpfheit.
Diese dumpfe Abwesenheit von Gedanken ist ein Fehler in der Meditation. Sie beinhaltet zwar ein ruhiges Verweilen, aber es gibt keine geistige Regung, keine dem Geist innewohnende Klarheit. Dies liegt daran, dass das Bewusstsein in das Alaya, das Grundbewusstsein, abgedriftet ist. Dann muss man sich selbst alarmieren und daraus erwachen.
Um diese Dumpfheit zu überwinden, richte deinen Körper auf, atme die verdorbene Luft aus und lenke das Bewusstsein auf den Raum vor dir. Wenn du in solcher Dumpfheit verbleibst, ist die Meditation wirkungslos und entwickelt sich überhaupt nicht weiter. Dann ist es wichtig, das Gewahrsein zu schärfen. Das ist der Weg zu ruhigem Verweilen.
Wenn der Geist ganz natürlich und entspannt in seinem eigenen ursprünglichen Zustand ruht, spricht man von der «Stille der Meditation». Wenn aus diesem Zustand der Stille heraus ein Gedanke auftaucht, spricht man von «Bewegung». Und das, was weiss, wann sich der Geist in einem Zustand der Stille befindet und jede Bewegung erkennt, ist das Gewahrsein oder Rigpa.
Diese drei Zustände – Stille, Bewegung und Gewahrsein – bilden zusammen den Zustand des «friedvollen Verweilens» (Tib. Ngajukrigsum).
…
Es wird dir nicht möglich sein, von Anbeginn im Frieden zu bleiben, ohne dass du dich längere Zeit in rechter Meditation übst. Aber wenn du erst einmal vertraut bist damit, kannst du auch in den alltäglichen Bewegungen ungestört bleiben. Und beim Sitzen kannst du sitzen bleiben, ohne vom Gewahrsein abgelenkt zu werden.
Diese Praxis sollte auf alles angewendet werden, was man tut, und dann wird sie sich allmählich entwickeln und vertiefen.
In diesem Sinn bedeutet Dharma, dass wir unseren Geist zähmen und alle unsere störenden Emotionen zur Ruhe bringen.
Und nun lasst uns ein wenig gemeinsam meditieren. (Hrsg.: Wer sehen will, wie einfach und natürlich ein wahrer Meister in den Meditationszustand eintritt, kann diese Stelle im Originalvortrag von Dudjom Rinpoche auf Minute 15.10)
Eine deutsche Abschrift des ganzen Textes (Hrsg.: Der gesamte Text war zu lang, um in die gedruckte Version des Dhyāna aufgenommen zu werden.)
allgemeine Fragen
Agetsu Wydler Haduch
Vorwegnehmend möchte ich sicher stellen, dass es allen Leserinnen und Lesern klar ist, dass Fragen, Zweifel und Unsicherheiten in Bezug auf Meditation kein Zeichen von Schwäche oder Dummheit ist. Im Gegenteil: Wer ein echtes Verstehen und eine tragende Praxis entwickeln will, kommt gar nicht darum herum, alles, was er oder sie hört und liest, selbst zu überprüfen, zu hinterfragen und auszuprobieren.
Selbst der Buddha sprach nur über das Dharma, wenn er gefragt wurde. Deshalb beginnen die Sutras in der Regel mit einer Frage aus dem Mund eines erfahrenen Praktizierenden und waren so formuliert, dass auch unerfahrene Zuhörer davon profitieren konnten.
Damit ist gesagt, dass jemand, der aufrichtig und ehrlich fragt, damit auch anderen einen Dienst tut. In diesem Sinne haben die folgenden Beispiele von Fragen und ihre Untersuchung kein Ablaufdatum und können allen als Nahrung dienen. Allerdings nur dann, wenn man die Antworten nicht einfach nur schluckt, sondern im Geist kaut und so lange wiederkäut, bis sie verdaut sind und ihre Energie im Handeln entfalten können.
Störende Gedanken
Die häufigsten Aussagen und Fragen betreffen – nicht nur bei Neuanfänger, sondern ganz allgemein – die Gedanken. Sie lauten etwa:
- «Es ist mir unmöglich, meine Gedanken zu kontrollieren. Was mache ich falsch?»
- «Leider kann ich nicht meditieren, es gibt zu viele Gedanken bei mir.»
- «Wenn ich sitze, kann ich nicht beim Atem bleiben, weil mich meine Gedanken wegtragen, das ist sehr lästig.»
Auffallend ist hier der Grundton der Enttäuschung und das Gefühl des Versagens, weil offenbar die Meinung herrscht, dass «man in der Meditation nichts denken und fühlen darf.» Dies ist ein weitverbreitetes und fatales Missverständnis. Es beruht auf der Unkenntnis über das Wesen der Gedanken und auf blindem Glauben an gelesene oder gehörte Texte, in denen von «Meditation ohne Gedanken» gesprochen wird. Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Denken ist in der Tat einer der wertvollsten Bestandteiledes Meditationsweges. Daran kommt niemand vorbei.
Als Erstes sei daran erinnert, was Dudjom Dorje Rinpoche sagt, nämlich:
«Wenn der Geist ganz natürlich und entspannt in seinem eigenen ursprünglichen Zustand ruht, spricht man von der Stille der Meditation. Wenn aus diesem Zustand der Stille heraus ein Gedanke auftaucht, spricht man von Bewegung. Und das, was weiss, wann sich der Geist in einem Zustand der Stille befindet und jede Bewegung erkennt, ist das Gewahrsein.»
Als Zweites sei darauf hingewiesen, dass der Wunsch oder die Erwartung, keine Gedanken zu haben, etwas Unmögliches ist. Denn solange das menschliche Gehirn funktioniert, produziert es Gedanken, genauso wie alle anderen gesunden Körperorgane das tun, was sie zu tun haben, um das Leben zu erhalten.
Gedanken gehören zu unserem Geist. Sie entstehen, dauernd und vergehen in deinem Bewusstsein nach den gleichen Gesetzen, wie Wellen im Wasser und Wolken am Himmel.
Mehr dazu in den nachfolgenden Artikeln.
Das böse Ego
Ebenso oft wie die Klagen über die störenden Gedanken, höre ich Klagen über das Ego und das Ich. Dieses Themen tritt in der Korrespondenz und in den direkten Gespräche in vielen Variationen auf, wie zum Beispiel:
- «Ich versuche immer wieder, gewahr zu sein/zu meditieren/beim Atem zu bleiben usw., aber dann setzt plötzlich mein Ego ein und macht alles kaputt. Dann werde ich ängstlich/ wütend/ verzweifelt.»
- «Mein Kopf weiss, was zu tun ist, aber mein Ego wehrt sich gegen alles und macht, was es will.»
- «Ich weiss, dass sich mein Ich an Dinge/Personen/Situationen klammert, aber ich weiss nicht, wie ich das ändern kann.»
- «Ich gebe mir grosse Mühe, mein Ego zu überwinden, damit ich richtig meditieren kann.»
Da ist also etwas namens Ich, das sich von etwas namens Ego gehindert fühlt, richtig zu meditieren oder richtig zu handeln. Davon ist man überzeugt. Aber ist das wahr? Gibt es so etwas?
Im Folgenden lade ich dazu ein, sich einigen Fragen und Überlegungen zu stellen, um diese Angelegenheit für sich selbst zu klären (wenn möglich ein für alle Mal):
– Was oder wer ist mein Ich? Was oder wer ist mein Ego?
– Was oder wer ist dieser Feind, der mich daran hindert zu tun oder zu sein, was ich tun oder sein will?
– Wer oder was ist das Ich, von dem ich sage, dass es «meins» ist? Wer besitzt wen?
– Wer oder was bin ich, wenn ich mein Ego betrachte, kenne, liebe, hasse, tadle oder lobe? Wer ist Subjekt, wer Objekt?
Und ich frage: «Wurdest du mit einem Ich geboren? Gibt es wirklich ein Wesen namens Ego, eine Instanz, die dich dein ganzes Leben lang und darüber hinaus begleitet? Etwas, das oft gegen deinen Willen handelt, denkt, nörgelt, urteilt und Schuld an deinem Unglück trägt?»
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Vermutlich hast du vergessen, dass es eine Zeit in deinem Leben gab, in der du nichts von einem Ich gewusst hast. Damals hast du den Namen benutzt, den dir deine Eltern gegeben haben, um mitzuteilen, was du haben oder nicht haben wolltest. Wann also und wozu kam das Wort «Ich» ins Spiel und bleibt es bis heute?
Am Anfang war «Ich» ein Wort, das du im Laufe deiner kindlichen Entwicklung – der sprachlichen Denkfähigkeit – gelernt hast. Stimmt’s? Das Wort wurde zu einem praktischen Begriff für die Kommunikation deiner momentanen Befindlichkeit, ein Begriff, den jeder bewusste Mensch benutzt, wenn er etwas über eine Wahrnehmung, Empfindung, Erinnerung oder sonst etwas in seinem Gemüt kommunizieren will.
Wenn wir also nicht mit dem Ich-Bewusstsein geboren worden sind, womit dann? Neugeborene Kinder sind ja nicht unbewusst, im Gegenteil: Sie schauen mit grossen Augen in die Welt, reagieren auf Geräusche und kommunizieren sehr deutlich – wenn auch ohne Sprache – was ihnen angenehm ist und was unangenehm. Wenn sie nicht schlafen, sind sie «voll da». Sie leben und erleben, aber sie sagen nicht «ich».
Dieses «Voll-Dasein», diese geistige Präsenz ist das reine Gewahrsein, ein Bewusstseinszustand der lange vor dem Ich-Bewusstsein und dem Denkvermögen existiert. Es ist eine Art Licht, dank dem alle Lebewesen ihre Lebensumstände unmittelbar – ohne zu denken – wahrnehmen und ihr Verhalten entsprechend anpassen können. Im Kleinkind wirkt dieses Gewahrsein weitgehend ungestört und direkt, während es im Erwachsenen vom später entstandenen persönlichen Ich-Bewusstsein überschattet wird.
Die Tatsache, dass man «sein» Ich/Ego meistens im Kopf verortet zeigt doch, dass es zu den Gebilden gehört, die im Kopf, bzw. im Gehirn geformt werden, nämlich zu den Gedanken, Erinnerungen, Vorstellungen usw. Wenn dem so ist, dann sind Ich und Ego doch auch nichts anderes als Gedanken, vom Denken erzeugt, nicht wahr?
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Und so wie das Denken grundsätzlich immer in sich gespalten, dualistisch, gegensätzlich ist, so ist auch das Ich grundsätzlich in sich gespalten. Warum? Weil es wie alles Denken auf unseren Sinnesempfindungen basiert, und diese sind für uns grundsätzlich angenehm, unangenehm oder weder noch. Und sie sind niemals gleich, niemals stabil, sondern flüchtig und stets neu.
Die Gewohnheit, ja der Zwang, alles, was wir sehen, hören, riechen usw. in Kategorien von gut-schlecht, angenehm-unangenehm, richtig-falsch usw. einzuteilen, ist eine Gewohnheit des Denkens, die wir Menschen uns im Laufe der Gehirnentwicklung aneignen.
Eigentlich ist die Fähigkeit zu denken und zu unterscheiden eine sehr nützliche Funktion unseres Geistes. Dank ihr können wir uns in der Welt orientieren und sie gestalten. Aber ihr Nutzen hat enge Grenzen innerhalb eines spezifischen psychologischen Anwendungsbereichs.
Sobald wir jedoch glauben, die Unterscheidungen und Qualitäten, die wir unseren Sinneswahrnehmungen zuteilen, hätten irgendeinen Wahrheitsgehalt, dann verirren wir uns hoffnungslos im Irrgarten der Einbildungen und Täuschungen. Und genau dies ist der Fall, wenn wir anfangen zu unterscheiden zwischen Ich und Ego und uns vornehmen das eine oder das andere zu überwinden, zu zähmen, zu beobachten, loszuwerden oder zu verbessern, zu optimieren usw.
Die grösste Täuschung und der grösste Irrglaube, ist der, dass Meditation irgend etwas mit dem Ich zu tun hat.
Nicht nur D.Y. Dorje Rinpoche, auch alle anderen Dharma-Meister beschreiben Meditation als einen Zustand, in dem der Geist in seinem Urzustand ist, in seiner natürlichen Ruhe, und so seine natürliche Funktion erfüllen kann, nämlich gewahr zu sein. Dieses Gewahrsein kennt keine Zweiheit, keine Unterscheidung und kein Subjekt. Also kein Ich. Weder ein gutes noch ein schlechtes noch sonst eines.
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Folglich ist da weder ein Ich noch ein Ego, dass deine Meditation «stört» oder dich hindert, etwas zu tun. Nimm einfach zur Kenntnis, dass es in deinem Bewusstsein immer Gedanken und Gefühle und Zustände gibt, die du als angenehm oder unangenehm empfindest. Und statt diese ändern, festhalten oder wegstossen zu wollen, lass sie einfach sein und kümmere dich nicht darum. Wie D.Y. Dorje Rinpoche sagt, entstehen und vergehen Bewegungen des Geistes wie Wellen im Meer. Aber du musst nicht darauf reagieren! Der Ozean reagiert ja auch nicht auf die Wellen, und der Himmel lässt die Wolken gewähren. Ebenso wenig reagiert dein Gewahrsein auf die Geschehnisse, sondern nimmt sie wie ein Spiegel nur wahr.
Was auch immer auftaucht – Gedanken, Emotionen, Empfindungen – atme alles aus! Übergib es der Luft, die deinen Körper durchströmt. Denn mit jedem Einatmen strömt neue Kraft in dich ein und mit jedem Ausatmen wird Verbrauchtes entfernt. Schreib bloss keine Geschichten darüber im Kopf.
Halte den Körper aufrecht und stabil, nicht steif und verkrampft, damit der Atem frei fliessen kann. Begleite den Atem mit freundlicher Aufmerksamkeit und Ruhe, ohne ihn zu dirigieren oder ihm deinen Willen aufzuzwingen, damit der Geist frei fliessen kann. Überlasse dich dem Gewahrsein, hellwach, aber völlig passiv, d.h. ohne dich in das Geschehen einzumischen. Tue dies regelmässig und immer neu, egal was für Wetter in dir oder draussen herrscht, d.h. egal, ob es in deinem Gemüt regnet, stürmt oder heller Sonnenschein herrscht.
Fazit: Indem wir unser Ich-Bewusstsein als eigenständig und vom universalen Bewusstsein abgetrennt betrachten und eine Teilung vollziehen zwischen dem «kleinen» Geist, der «denkt und nach eigenem Willen reagiert» und dem «grossen» Geist, der aus sich selbst heraus existiert und alles Leben bewirkt, trennen wir uns von unserer ureigenen Lebensquelle mit der Folge, dass wir an den selbst erzeugten Widersprüchen leiden.
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Wenn wir uns nicht einmischen – das heisst unsere Meinungen, wie etwas sein sollte oder wie wir sein sollten, aus dem Spiel nehmen – dann «reinigt» sich der Geist selbst und wird still und klar. Warum? Weil das seine Natur ist. Oder anders gesagt, weil ihm die Gedanken nichts anhaben können.
Mein Lehrer H. Platov pflegte zu sagen: «Es ist nichts falsch mit deinem Ego, es gehört bloss an seinen richtigen Platz, und der ist nicht das Zentrum.»
Angst, Wut, Frustration,…
Ein weiterer wiederkehrender Fragenkomplex dreht sich um sogenannte negative Gefühle beim Sitzen, wie zum Beispiel:
- «In letzter Zeit kommt gerade wenn es still wird, wie aus dem Nichts eine Art Angst über mich. Wenn ich versuche, sie zu ignorieren, wird sie zeitweise riesengross und bricht regelrecht in mich hinein, so dass ich kaum mehr etwas anderes denken und fühlen kann und ihr sozusagen total ausgeliefert! bin.»
- «Manchmal ist mir, als ob sich ein grosse Weite öffne. Doch in dem Moment, wo ich eintreten will, kommt eine grosse Angst, die Kontrolle zu verlieren, und es ist wieder eng. Dann finde ich mich total frustriert und traurig auf dem Sitzkissen wieder.»
- «Wenn ich sitze, spüre ich eine so starke Einsamkeit und Ohnmacht, dass mich eine grosse Wut packt und ich es fast nicht mehr aushalte, sitzen zu bleiben. Dann möchte ich nur noch wegrennen.»
- «Am Anfang hat mir Meditation im Alltag geholfen, aber in letzter Zeit, werde ich oft von Emotionen überschwemmt und weiss gar nicht, wie ich damit umgehen kann. Nicht zu meditieren, d.h. weggucken erscheint mir oft als die besser Alternative. Dann habe ich wenigstens ‹Ruhe› obwohl ich dabei unglücklich bin.»
Es gibt wohl kaum jemanden, der nicht ab und zu solche Erfahrungen macht, wenn er oder sie versucht, zu meditieren. Die Wurzel dieses Problems liegt in dem, was soeben gesagt wurde, nämlich im «Versuch zu meditieren.» Lasst mich im Folgenden erklären, wie das gemeint ist.
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Für die meisten von uns ist – wenn wir ehrlich sind – Meditation nicht nur zu Beginn, sondern immer, ein Mittel zum Zweck. Wir unterwerfen uns einer Disziplin, mit der Absicht, etwas zu zu tun für oder gegen etwas, das wir sein oder haben wollen, nicht sein oder nicht haben wollen. Kurz, man fängt dann «mit Meditation an», wenn und weil man Probleme hat im Leben: Man ist unglücklich, hat Liebeskummer, ist krank, eine geliebte Person stirbt oder es gibt sonst einen beharrlichen Seelenschmerz.
Auf der Suche nach Erlösung ist man auf Bücher oder Personen gestossen, die verkünden, Meditation helfe, gelassen und ruhig zu werden und Frieden zu finden. Also macht man sich voller Hoffnungen daran, die gehörten oder gelesenen Anleitungen möglichst «gut» zu befolgen, in der Erwartung, dass es «mir» schnell «besser» gehen wird.
Und dann geschieht das Gegenteil. Man wird mit dem Leiden konfrontiert, das man doch loswerden will. Warum ist das so?
Um dies zu verstehen, untersuche doch einmal das Wesen und die Entstehung deiner Leiden, die du loswerden willst. Und schaue genau hin, was du tust in der Erwartung und Hoffnung, dein Ziel zu erreichen. Bringst du vielleicht deinen Körper in eine Postion, die ihm gar nicht entspricht? Wenn ja, wirst du dann ungeduldig, schimpfst innerlich mit dem Körper oder mit dir selbst oder gibst sofort wieder auf? Bringst du deinen Geist in eine ungewohnte und unbequeme Lage, indem du ihm Befehle erteilst, was er tun und nicht tun darf? Bringst du etwa deinen Atem aus seinem natürlichen Rhythmus, indem du ihm mit bestimmten Übungen deinen eigenen Takt dirigierst?
Wäre es nicht sinnvoller, statt Körper und Geist deinen illusorischen Wünschen gemäss unter Kontrolle bringen zu wollen, einmal an die Wurzel deiner Probleme zu gehen?
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Aus meiner Erfahrung wage ich zu behaupten, dass diese Art von Leiden – Frustration, Unsicherheit, Ungeduld, Wut, Angst – immer in einem Geschehen aus der Vergangenheit wurzelt. Sei es eine Kränkung oder Enttäuschung, ein schmerzlicher Schicksalsschlag oder sonst etwas Unangenehmes, irgendeinmal oder öfters hast du – haben wir alle – etwas erlebt, das sich als unerträglich, schlimm oder sehr schmerzlich anfühlte. Solche direkten Gefühlserlebnis wurden und werden ohne dein Dazutun zu einem emotionalen Gedankengefüge, einer gefühlsgeladenen Erinnerung. Alle Erinnerungen wurden und werden gespeichert und mit dem Prädikat negativ, schlecht oder böse versehen.
Fortan sind sie Bestandteil des individuellen Bewusstseins-Gepäcks, das du, immer mit neuen Erinnerungen füllend, überall mit dir herumträgst. Alle weiteren Erlebnisse – innere oder äussere – werden, noch bevor sie abgeklungen sind, sofort mit dem schon bekannten Gepäckinhalt verglichen und dem entsprechenden Fach zugewiesen: gut oder schlecht, richtig oder falsch. So schaut man nie einfach nur, was ist, ist nie offen für das wirkliche Geschehen. Das unbewusste zwanghafte Vergleichen wird zu einem eingefleischten Mechanismus und ist der eigentliche Nähboden für weitere Leiden.
Bevor du weiterliest, halte bitte inne und überprüfe das soeben Gelesene: «Stimmt das? Ist das so? Kann ich das nachvollziehen?»
Wenn wir durch eigene Untersuchung und eigene Erfahrung wissen und anerkennen, dass alle unsere Probleme auf Erinnerungen aufbauen, dann wissen wir auch, wo die Quelle der Konflikte liegt, die uns angeblich am Meditieren und ganz allgemein auf dem Weg zum Glück hindern: nämlich im Denken selbst.
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Wie schon erwähnt, ist unser Denkapparat grundsätzlich so programmiert, dass er alles in positiv und negativ einteilt und unsere emotionale Veranlagung neigt grundsätzlich dazu, Negatives abzuwehren und Positives zu behalten. Doch das ist dasselbe, wie wenn man weisse Wolken am Himmel festhalten und schwarze Wolken auslöschen wollte. Diese Erscheinungen des Leben folgen ihren eigenen Gesetzen und nicht unseren Massstäben von gut und schlecht. In der Natur gibt es Entstehen und Vergehen, Hell und Dunkel, Freud und Leid, Fressen und Gefressen werden und viele andere Zweiheiten. Aber die Natur hat kein Problem damit, nur unser ichbetontes, einseitiges Denken ist immer in Konflikt mit dem, was geschieht. Nur wir Menschen machen ein aus dem Leben ein Drama.
Wenn man nun in diesem grundsätzlich konfliktuellen, zweigeteilten Gemütszustand versucht zu meditieren in der Absicht, den negativen Teil von sich loszuwerden, um in einen «nur positiven» Zustand zu gelangen, dann ist das von vornherein zum Scheitern verurteilt. Enttäuschung und Frustration sind vorprogrammiert. Da die Geschehnisse so stattfinden, wie sie stattfinden, und die Dinge so sind, wie sie sind, ist es müssig, sie manipulieren zu wollen.
Die Kunst der meditativen Wahrnehmung besteht deshalb darin, die auftauchenden Gedanken und Gefühle nicht zu verscheuchen, sie aber auch nicht mit zusätzlichen Gedanken aufzuladen und zu verstärken. Der vollkommene Verzicht, sich von Vergangenem einfangen zu lassen, indem man es immer wieder aufleben lässt – und das Denken basiert prinzipiell auf Vergangenen – ist aber nur möglich, wenn der man geistig auch in Turbulenzen fest und unerschütterlich ist und den Gemütsempfindungen (Wellen) standhält. Nur dann kann das Gewahrsein durch alle Trübungen hindurch bis auf den Grund leuchten und klar sehen, was Sache ist. Diese Festigkeit und Ehrlichkeit muss man sich erarbeiten und bewahren.
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Fazit: Sitzmeditation dient nicht der Veränderung von irgend etwas, sondern der Festigung der Sensibilität, Empfänglichkeit und Schärfung des Gewahrseins, so wie es D.Y Dorje Rinpoche beschreibt. Führen wir uns dessen Worte noch einmal zu Gemüte und nehmen sie uns zu Herzen:
«Im Erkennen zu ruhen, ohne den Gedanken zu folgen, ist als «friedvolles Verweilen» bekannt, weil es die Macht der Gedanken zerstreut oder besänftigt und einen befähigt, in der glückseligen Natur des eigenen Geistes zu verweilen.»
Tue dies immer wieder neu, nicht nur ein Mal oder zehn Mal, ein Jahr lang oder zehn Jahre lang, sondern dein Leben lang. Übe dich darin, jedem Tag mit einem frischen, freien, offenen und klaren Geist zu begegnen. Dann wirst du früher oder später mit Sicherheit erfahren, dass das Sprichwort «Übung/Praxis macht den Meistert» auch hier Gültigkeit hat.
Dies ist das zeitlose Dharma von der Befreiung vom Leiden durch Meditation.
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A Guided Meditation on Calm Abiding (Shamatha) – H.H. Dudjom Rinpoche – Dzogchen (Für eine schöne englische Lesung – YouTube S. Jayasara)