Wer bin ich?

werBinIch

Einleitung

Wer bin ich? – die ewige Frage. Die wesentliche Frage. Man könnte argumentieren, dass es die einzige Frage ist, die beantwortet werden muss. Wenn diese Frage einmal beantwortet ist, erlöschen alle anderen Fragen in Zusammenhang zum Überleben des Selbst, zum „Sein“ und zum „Werden“. Wenn man den Ursprung der Fragen, welche die Stunden unseres täglichen Lebens füllen, einmal verstanden hat, dann erkennt man, dass sie sich alle auf das Ich beziehen, inklusive der Frage „Wer bin ich“ .

Kaleidoskop

Ich nehme ein Kaleidoskop in die Hand, richte es gegen das Licht und drehe es. Die farbigen, leuchtenden Glassplitter spiegeln sich in vielen Spiegeln und ergeben ein Muster, das mir gefällt. Wenn mir dieses gespiegelte Muster verleidet, drehe ich das Kaleidoskop ein wenig, und die gleichen Splitter bilden eine neue Form, die mein Auge erfreut.

Ich drehe die Röhre des Kaleidoskops, das zwischen meinen Ohren sitzt. Die Splitter aus Meinungen, Glauben, Vorlieben und Abneigungen – begrenzt in ihrer Zahl – formen sich zu vorübergehend selbstgefälligen Mustern. Je mehr ich die Röhre drehe, desto mehr bin ich überzeugt, dass ich wahrhaftig auf dem WEG bin. Wieder und wieder ordnen sich dieselben Splitter zu neuen Mustern, wieder und wieder spiegeln Gedanken Gedanken; Erinnerungen spiegeln Erinnerungen, die Vergangenheit spiegelt die Vergangenheit. Es ist immer dasselbe, nur verschieden.

Wenn dies verstanden ist, wahrhaftig wirklich verstanden, dann bilden sich diese vorübergehenden Konstellationen nicht mehr. Sie sind kein Teil mehr der eigenen Antwort auf die Frage „Wer bin ich?“. Das heisst nicht, dass man diese Muster einfach aus dem Geist vertrieben hat, was bloss eine weitere Dualität schaffen würde. Das heisst nicht, dass man ein neues Muster über das alte legt. Das heisst nicht, dass man „seinen Standpunkt ändert“, indem man eine Garnitur von Meinungen gegen eine „neue“ Garnitur von Meinungen austauscht. Verstehen, wirklich wahrhaftiges Verstehen verträgt keinen Zweifel. Verstehen ist ein Zustand von Nicht-Zweiheit. Man könnte sagen, es ist ein Karma-neutraler Zustand: nichts wird geschaffen, nichts wird vernichtet.

Pawlow

Wir erschaffen uns immer wieder neu in unserem eigenen Bilde. Auf echte Pawlow‘sche Art und Weise schlürfen wir das unaufhörliche Dröhnen von „Was-ist-in“ und „Was-ist-nicht-in“, das von anderen verwirrten Menschen dargeboten wird. Wir mischen diesen Unsinn in unsere ohnehin schon trübe Ich-Suppe und halten dies für eine Art Fortschritt auf dem Weg zur Selbstverwirklichung. Wir halten nie inne, um darüber nachzudenken, dass das Geschwätz der Schwätzer nicht mehr und nicht weniger ist als unsere inneres Geschwätz, wiederholt und verstärkt durch die Geräte der modernen Technologie.

Wir verkrümeln uns vor Angst, wenn irgend etwas von Gedankenkontrolle der Massen angedeutet wird. Wir schrecken zurück vor der Idee, dass irgendjemand die Macht haben sollte, unsere Gedanken zu manipulieren, während wir gleichzeitig dem Mist, der unsere Sinne 24 x 7 Stunden bestürmt, unsere volle Aufmerksamkeit und Autorität gewähren. Indem wir dem Geschwätz Autorität verleihen, unbewusst und ohne Frage, töten wir uns psychisch von Moment zu Moment selbst. Wir verhalten uns wie Lemminge und erhalten uns die Herdenmentalität, indem wir uns sagen, wir seien Individuen, wir seien unabhängig, wir seien frei, wir seien auf dem Weg. Wir tanzen alle zur gleichen Melodie. Wir rezitieren dasselbe Mantra, verzweifelt darauf bedacht, mit dem „Neuen“ mitzuhalten. Wir sehen die Täuschung nicht, mit der wir tanzen.

Die Gesellschaft generiert aus sich selbst heraus das Opium ihrer Täuschungen und bestätigt deren Glaubwürdigkeit auf der Basis von statistisch signifikanten Beispielen von Lemmingen. Die Blinden führen die Blinden – alter Wein in neue Flaschen.

Retreat

Für diejenigen unter Euch, die an ZZB-Retreats teilgenommen haben, ist „Wer bin ich“ keine neue Frage. Es war das offene und das verborgene Thema aller Vorträge und Betrachtungen in diesen Retreats. Wer diesen Darlegungen mit offenen Ohren und einem offenen Geist zugehört hat, hat vielleicht ein Verständnis dafür erlangt, wer er oder sie ist. Nicht, weil die Darlegungen Euch die Antwort gegeben hätten, was sie niemals können, sondern dank Eures eigenen passiven Gewahrseins von Augenblick zu Augenblick. Ein Gewahrsein, das nicht dem Bereich der Meinungen, Urteile und Schlussfolgerungen angehört. Ein Gewahrsein, das sich manifestiert, wenn das Denken im Sehen des eigenen Ursprungs wegfällt. Ein Gewahrsein, das mit dem gegebenen Augenblick mitschwingt.

Diese Zeitschrift mit den zitierten Worten von Buddha, J. Krishnamurti, Ramana Maharshi, H. Platov, Rinzai, Sokei-an, wird Euch die Frage „Wer bin ich?“ nicht beantworten. Und dies sollte eine Entlastung sein, so werdet ihr sie vielleicht lesen, ohne nach einer Antwort zu suchen. Wenn man das kann, nämlich die Worte lesen, ohne irgend eine Meinung zu bilden oder Vergleiche anzustellen oder Schlussfolgerungen zu ziehen, dann kann man vielleicht etwas entdecken. Nun, sucht euch eine stille Ecke, macht es euch gemütlich und fangt an zu forschen. Der Buddha sagte:

„So sollt ihr die bedingte Existenz in dieser flüchtigen Welt betrachten: Wie einen Tautropfen,
wie einen Blitz in einer Sommerwolke,
wie ein flackerndes Licht, ein Phantom, ein Traum.
So meditiere man über sie, so betrachte man sie.“

Diamant-Sutra

Selbst-Befragung

Dialog zwischen Bhagavan Sri Ramana Maharshi (M) und einem Schüler (S)

S: Wie soll man das Selbst erkennen?

M: Wessen Selbst? Ergründe das!

S: Meins – aber wer bin ich?

M: Finde es selbst heraus.

S: Ich weiss nicht wie.

M: Überdenke diese Frage einfach.
Wer ist es, der sagt „Ich weiss nicht“?
Wer ist das „Ich“ in dieser Aussage?
Was wird nicht gewusst?

S: Jemand oder etwas in mir.

M: Wer ist dieser Jemand. In wem?

S: Vielleicht eine Kraft?

M: Finde es heraus.

S: Warum wurde ich geboren?

M: Wer wurde geboren?
Alle deine Fragen haben die gleiche Antwort.

S: Wer bin ich dann?

M (lächelnd): Bist du gekommen, um mich zu prüfen ?
Du must sagen, wer du bist.

S: So sehr ich es auch versuche, ich kann das „Ich“ nicht erfassen.
Es ist nicht einmal deutlich wahrnehmbar.

M: Wer ist es, der sagt, das „Ich“ sei nicht wahrnehmbar?
Gibt es zwei „Ichs“ in dir, so dass das eine nicht erkennbar ist für das andere?

S: Aber ist es nicht merkwürdig, dass das „Ich“ nach dem „Ich“ suchen sollte?
Ist die Frage „Wer bin ich“ bloss eine leere Formel?
Oder sollte ich sie unaufhörlich an mich selbst richten wie ein Mantra?

M: Selbst-Befragung ist gewiss keine leere Formel; es ist mehr als die Wiederholung irgend eines Mantras.
Wenn die Frage „Wer bin ich“ bloss eine mentale Frage wäre, hätte sie nicht viel Wert.
Die eigentliche Intention dieser Frage ist es, den ganzen Geist vollkommen auf seine Quelle zu fokussieren.
Deshalb ist es nicht eine Sache von einem „Ich“, das ein anderes „Ich“ sucht.
Noch viel weniger ist Selbst-Befragung eine leere Formel.

Denn es bedarf einer intensiven Aktivität des ganzen Geistes, um unaufhörlich und ruhig im Selbst-Gewahrsein zu verbleiben.
Selbst-Befragung ist das einzige unfehlbare Mittel, der einzige direkte Weg, um das unbedingte, absolute Sein, das du wirklich bist, zu verwirklichen.

Who is it?

Enthroned somewhere between my ears, a creature of my creation.
Its form secured in the past;
with the present it has no relation.

Its authority is beyond doubt,
when interpreting the world about.
But the world about is always in doubt,
When viewed from a personal redoubt .
Why is this authority, as true accepted, rather than just excepted?
Robert

Wer ist es?

Auf dem Thron irgendwo zwischen meinen Ohren, ein Geschöpf aus mir geboren.
Seine Form aus der Vergangenheit stammt,
mit der Gegenwart hat das nichts gemein.

Seine Autorität ist unbezweifelbar,
Wenn es die Welt rundum interpretiert.
Aber die Welt rundum ist immer mit Zweifel behaftet,
Wenn aus der persönlichen Warte aus betrachtet.
Warum wird diese Autorität als Wahrheit anerkannt, statt einfach verbannt?

Blumen im leeren Himmel

Auszug aus dem Buch von Rinzai mit Kommentar von Sokei-an

„Brüder auf dem Weg, der wahre Buddha hat keine Gestalt und das wahre Dharma hat keine Form. Ihr formt Muster und schafft Modelle auf der Basis von flüchtigen Erscheinungen. Aber selbst wenn ihr dadurch etwas erreichen würdet, wäre es nichts anderes als der Geist eines wilden Fuchses. Echte Schüler des Weges suchen keine Buddhas, und glauben nicht an Bodhisattvas und Heilige. Sie trachten nicht danach, in den drei Welten irgend etwas Aussergewöhnliches zu finden. Sie haben all dies überwunden. Selbstgenügsam und frei, haften sie nicht an den Dingen. Mögen Himmel und Erde Kopf stehen, das kann mich nicht erschüttern.

Mögen Buddhas aus allen Himmelsrichtungen vor meinem Auge erscheinen, das beeindruckt mich nicht. Selbst wenn sich die drei Höllen auftun sollten, würde ich mich keineswegs fürchten. Warum? So wie ich es sehe, besteht die ganze Existenz aus lauter leeren Formen. Wo Wandlung stattfindet, da treten sie in Erscheinung, wo keine Wandlung stattfindet existiert nichts. Die drei Welten sind nur geistige Gebilde, und alle Dinge sind Bewusstsein. Deshalb heisst es in einem Vers:

Träume, Hirngespinste, Blumen im leeren Himmel, wozu sich bemühen, sie zu fassen?
Nur du, der Mensch auf dem Weg, der gerade jetzt in meiner Gegenwart meinen Worten zuhört, kann ins Feuer eintreten, ohne verbrannt zu werden, kann ins Wasser tauchen, ohne zu versinken, kann durch drei Höllen gehen, als wäre es ein schöner Gartenspaziergang, kann unter Dämonen und hungrigen Biestern weilen, ohne in Mitleidenschaft gezogen zu werden. Warum? Weil es gar nichts abzulehnen gibt.

Wer das Heilige liebt und das Weltliche hasst, wird im Meer von Leben und Tod versinken. Alle Täuschungen sind vom Denken abhängig.

Wer frei vom Denken ist, kann von den Täuschungen nicht irregeführt werden. Wenn man sich nicht um Unterscheidungen kümmert oder an Formen haftet, findet man den Weg ganz natürlich und sofort.“

Sokei-ans Kommentar:

Rinzai war ein Buddhist und zerstört den Buddhismus! Sollte wieder ein Buddha kommen, würde er auch dessen Buddhismus zerstören. Die Haltung des Meisters ist wahr. Er betrat das Feld des Buddhismus und vernichtete es vollkommen Ich denke, der Buddha wäre einverstanden mit ihm.

Wenn ein Zen-Schüler anfängt, nach der Wahrheit zu suchen, lehren wir ihn keinen Buddhismus, im Gegenteil, wir nehmen ihm jede Theorie, alles, was er über Buddhismus weiss, weg, bis er schliesslich mit Buddha selbst übereinstimmt. Shakyamuni Buddha erleuchtete sich selbst, indem er alle vorgefassten Meinungen, alle religiösen Vorstellungen aufgab und die Wahrheit in sich selbst fand. Anders geht es nicht. Niemand sollte einfach die Medizin schlucken, die ihm irgend ein alter Arzt verschreibt. Wir müssen unsere eigenen Illusionen finden und unsere eigene Medizin einnehmen und uns auf diese Weise selbst heilen.

„Brüder auf dem Weg, der wahre Buddha hat keine Gestalt und das wahre Dharma hat keine Form.“ Der wahre Buddha ist nicht im Körper von Prinz Shakyamuni zu finden und in keiner Skulptur aus Bronze, Stein oder Holz. Und das wahre Dharma ist in keiner Schrift und keiner Formulierung zu finden. Um diese Wahrheit zweifelsfrei zu erfassen, muss man den eigenen wahren Körper und den eigenen wahren Geist ein für allemal realisieren.

Der Buddhismus hingegen, den wir studieren, der hat eine Form. Er ist strukturiert in die Lehren von den „Drei Schätzen Buddha, Dharma und Sangha“, die „Sechs Pāramitās“, den „Achtfachen Pfad“ etc. Aber wenn ihr versteht, dass der wahre Buddhismus keine Form hat, dann seid ihr selbst wahr. Und ihr erkennt, dass alles in eurem eigenen Geist und eurem eigenen Körper geschrieben steht. Ihr braucht keine Formeln mehr. Deshalb sollt ihr euren wahren Körper und euren wahren Geist unbedingt einmal erlangen und sehen.

„Ihr formt Muster und schafft Modelle auf der Basis von flüchtigen Erscheinungen.“

Man kann sich leicht einreden, „jemand“ zu sein wie z.B. ein Mönch, der in den Tempel geht, Sutras liest, eine Kutte trägt und seine Gebetskette bewegt, so als ob er etwas wüsste. Das ist bloss eine Einbildung.

Sobald man die eigenen Vorstellungen vernichtet, sieht man, wer man ist und hat nichts zu fürchten. Nichts, was man unterschieden kann, ist wirklich. Doch wenn man an den Vorstellungen festhält, wird man niemals frei.

„Träume, Hirngespinste, Blumen im leeren Himmel, wozu sich bemühen, sie zu fassen?“: Rinzai benutzt hier ein Zitat aus dem Shinjinmei (Vertrauen in den Geist) vom Dritten Patriarchen, Seng-ts‘an. Damals sagte man von Leuten, die den Grauen Star hat- ten, sie sähen Blumen im Himmel.

Das Ende des Denkens

Was wichtig ist, ist die Gedanken nicht zu kontrollieren, sondern sie zu verstehen, ihren Ursprung, ihren Ausgangspunkt zu verstehen, welcher in euch selbst liegt. Nämlich im Erinnerungsspeicher des Gehirns. Die Tatsache, dass das Gehirn Erinnerungen speichert, kann man selbst beobachten, es ist nicht nötig, es aus Büchern zu lernen. Wenn das Gehirn keine Erinnerungen gespeichert hätte, könnte es überhaupt nicht denken. Die Erinnerungen sind das Ergebnis von Erfahrungen, von Erkenntnissen – von euch selbst, von der Gemeinschaft, der Familie, der Volkszugehörigkeit und so weiter. Die Gedanken stammen aus diesem Erinnerungsspeicher. Gedanken sind deshalb niemals frei, sie sind immer alt, es gibt nichts dergleichen wie Gedankenfreiheit. Das Denken selbst kann nicht frei sein, es kann über Freiheit reden, aber es selbst ist das Resultat von eingefrorenen Erinnerungen an verflossene Erfahrungen und Erkenntnisse, deshalb ist es alt.

Doch man muss diese Ansammlung von Wissen haben, andernfalls könnte man nicht funktionieren, könnte nicht mit anderen kommunizieren, könnte den Weg nach Hause nicht finden uns so weiter. Wissen ist essenziell….

Wenn Meditation eine Fortsetzung des Gewussten ist, die Weiterführung von all dem, was die Menschheit angesammelt hat; dann gibt es keine Freiheit. Freiheit gibt es nur dann, wenn ein Verständnis da ist für die Funktion des Wissens und damit Freiheit vom Gewussten.

Meditation ist des Entleeren des Bewusstseins von seinem Inhalt, vom allem Bekannten, vom „Ich“.

J. Krishnamurti

Wer bist du?**

Wenn jemand zum ersten Mal vor einen Zen-Meister tritt, in der Absicht, als Schüler/in angenommen zu werden, kommt es häufig vor, dass der Meister als Erstes fragt: „Wer bist Du?“. Eine ganz einfache, natürliche Frage. Gewöhnlich antworten die Gefragten darauf mit dem Eigennamen und dem Familiennamen. Doch der Meister schickt den Neuankömmling ohne Erklärung weg. Es kann nun sein, dass dieser aufgibt oder sich einen anderen Meister sucht oder nachzudenken beginnt: „Warum hat man mich weggeschickt? Ich habe doch ganz einfach geantwortet, wie jeder antworten würde auf die Frage ‚Wer bist Du?‘ Habe ich irgendeinen Fehler gemacht, irgend etwas nicht begriffen? Oder ist mit der Frage etwas Tieferes gemeint?“ Er tritt wieder vor den Meister und wird wieder gefragt: „Wer bist Du?“ Diesmal versucht er es mit einer anderen Antwort.

Es handelt sich ist ganz offensichtlich und ganz einfach um eine Frage der Identität. Und es ist eine grundlegende, durchaus wesentliche Frage „Wer bin ich überhaupt?“.

In den Überlieferungen der christlichen Gnosis oder der Sufis oder der Kabbala, der jüdischen Esoterik, oder des Hinduismus, aus dem später der Buddhismus entsprang, findet man überall die Frage nach dem wirklichen, wahren Wesen, nach der wahrhaftigen Identität des Menschen. Also nicht die Identität, die man angenommen hat durch die Geburt in einer bestimmten Familie, ein Land und in eine Kultur oder in ein Geschlecht, ist wesentlich, sondern das, was unabhängig davon für alle dasselbe Sein ist. Als z.B. Jesus einmal gefragt wurde: „Wer bist Du? Bist Du dieser oder jener Prophet?“, antwortete er nicht: „Ich bin der Jesus von Nazareth“ sondern er sagte: „Ehe Abraham war, bin ich“. Was meinte er damit?

Kabbala

In der Kabbala unterscheidet man zwischen Nephesch, der persönlichen Seele, und Ruach, der rein geistigen Seele. Gemäss dem alten Testament schuf Gott den Adam aus der Erde und gab ihm einen Ruach, die göttliche Essenz. Im Brahmanismus bzw. Hinduismus findet man ebenfalls die Betonung einer dem Menschen innewohnenden göttlichen Essenz, die nicht identisch ist mit der persönlichen Identität. Im Vedanta-System heisst sie „Atman“, im Sankya-System „Purusha“.

Das wahrhaftige Wesen ist nicht das, was da auf zwei Beinen in der Weltgeschichte her- umrennt. Gewöhnlich ist der Mensch seiner wahrhaftigen Identität nicht gewahr, sondern identifiziert sich mit dem, was sich in ihm und um ihn abspielt, und sagt dementspre- chend: „mein Körper, meine Gedanken, meine Sinnesorgane, meine Gefühle, meine Erlebnisse“ usw. Die indische Überlieferung besagt, dass sich der Mensch gewissermassen in den Erscheinungen der Materie verfangen hat und sein wahres Wesen aus dieser Ge- fangenschaft befreien muss. Diese Befreiung gipfelt in der Einsicht: „Tat tvam asi“, Du bist das! Du bist das göttliche Wesen selbst. Du bist nicht bloss dieses egoistische Ich- Bewusstsein, sondern das wahrhaftige Wesen deiner Natur.

Zen

Im Zen, das aus der Verbindung des indischen Buddhismus und des chinesischen Taoismus hervorgegangen ist, findet man die gleiche Idee in der Frage: „Ehe dein Vater und deine Mutter dich in diese Welt brachten, ja noch ehe Vater und Mutter überhaupt existierten, was war dein ursprüngliches, dein wahrhaftiges Wesen?“.

Kann man diese Frage überhaupt beantworten? Wie die Überlieferungen zeigen, kann unser Intellekt allerlei theoretische Konzepte formulieren, aber im Zen wird verlangt, dass man eine derartige Frage nicht theoretisch beantwortet. Zen wendet sich von der Theorie ab und weist auf die direkte, aktuelle Wirklichkeit. Das heisst man soll sein eigenes wahres Wesen, die wahrhaftige Wirklichkeit seiner Selbst hier und jetzt erkennen. Das, was einem dabei im Wege steht wie eine unsichtbare Barriere, ist die Identifizierung mit dem persönlichen Ego. Das persönliche Ich, mit dem man durchaus identifiziert ist, das ist die Barriere selbst. Deshalb muss man zuallererst einmal untersuchen und erkennen, wie und womit man sich identifiziert, mit welchen Gedanken, Empfindungen und Gefühlen.

Das geeignete Mittel, um sich aus der Gefangenschaft dieser Identität zu befreien, ist Meditation. Aber richtige Meditation, Meditation ohne Vorstellung, ohne Absicht oder Zweck. Nicht Meditation, in der man von den Bewusstseinsinhalten beherrscht wird und sich in Träume und Vorstellungen verliert und diese für wahr hält. Nicht Meditation mit der Absicht, irgend einen „höheren“ Geisteszustand zu erlangen.

Eins-werden

Dies erfordert sozusagen ein „Eins-werden“ mit der Wirklichkeit, mit dem, was wirklich IST. Nicht bloss an dem haften, was sich an der Oberfläche der Wirklichkeit, in dieser wechselhaften Erscheinungswelt, abspielt. Die Welt, die uns unsere Sinnesorgane und unsere Gedankenwelt vorgeben, ist nicht die wirkliche Welt, sie ist nur das, was unsere Sinnesorgane wahrnehmen. „Aber das bin ich doch! Wie ich aussehe, wie ich mich fühle, wie ich denke, was ich erlebt habe, das ist doch mein Leben, meine Identität!“ Nein! Dein wahres Wesen ist nicht das, was dir im Spiegel entgegenschaut, auch nicht das Selbstbildnis, das sich dir im Spiegel deines Bewusstseins zeigt. Man kann dies leicht selber nachprüfen:

Setze dich hin und denke an nichts Persönliches, an nichts, das in der Vergangenheit geschehen ist oder in Zukunft geschehen könnte. Trete quasi innerlich zurück und betrachte einfach, was sich da zeigt. Nehme wahr, was sich in den Sinnesorganen abspielt, was ev. gehört oder gesehen wird, welche inneren Bilder erscheinen oder Worte, Empfindungen, Erinnerungen usw. Lass alles auftauchen, aber ohne dich mit diesen Vorgängen zu identifizieren.

Stellt sich dann nicht ganz von selbst die Frage, was oder wer es ist, der all dies beobachtet? Was ist es, das dieser Inhalte des Bewusstseins, dieser Gedanken, Gefühle etc. gewahr ist?

Yoga

In den Yoga-Aphorismen von Patanjali steht: „Verhindere die Modifikation deines Bewusstseins.“ Damit ist diese objektive innere Haltung gemeint, in der das Bewusstsein nicht in jeden Gedanken, in jede Empfindung, in jedes Gefühl hineingeht und sich dementsprechend modifiziert. Weile im reinen Gewahrsein!

Das gesammelte, nicht modifizierte Bewusstsein ist wie ein Licht – ein Licht, das nicht flackert – in dem man die Dinge klar sieht, so wie sie sich präsentieren. Aber die Dinge sind nicht das Licht, und das Licht wird von den Dingen nicht beeinflusst.

Das Wesentliche ist, dass man sein Urwesen erkennt, das nichts mit dem persönlichen Ich zu tun hat. Dass man sieht, dass das persönliche Ich-Bewusstsein auf diesem Urzustand beruht, darin wurzelt, aber nicht damit identisch ist. So kann man aufhören, sich andauernd mit den Inhalten des Bewusstseins zu identifizieren – meine Gedanken, meine Gefühle, meine Lebensart, mein Beruf, mein Tun und Lassen.

Jeder Bauer weiss das

Man soll den Boden und das, was aus diesem Boden entsteht und lebt, nicht miteinander verwechseln. Jeder Bauer weiss das. Zuerst muss der Boden vorhanden sein, und dann kommt das, was in diesen Boden gepflanzt wird, zum Vorschein. Alles entsteht aus dem Boden, vergeht und kehrt in den Boden zurück. Der Boden und das, was entsteht und vergeht, ist eine Einheit, aber trotzdem unterschiedlich.

Betrachtet man das Bewusstsein sinnbildlich wie einen Boden, dann hat es, wie dieser, eine Oberfläche und eine Tiefe. Auf seiner Oberfläche zeigt sich das, was aus der Tiefe entstanden ist: äussere Objekte mit ihren Formen und Farben, Gedanken, Empfindungen, Vorstellungen usw. In der Tiefe existieren diese Formen nicht. Das formlose Bewusstsein ist still und leer wie der Himmel.

Alles, was sich im Bewusstseinsspiegel zeigt, wenn man meditiert, sei es auf der Ebene des Denkens, der Gefühle, der Empfindungen, scheint im Licht des Gewahrseins auf und verschwindet wieder, vorausgesetzt man greift nicht ein, man lässt ab von dem ewigen Drang, alles zu benennen, zu beurteilen und in das eigene Denksystem einzuordnen.

Who?

„Who am I?“
„Who are you?“ came the reply.
„Yes, who am I? and …and who are you?“
„Who am I?’“ came the reply.

Time passed as each its opinion presented,
In a stream of words never indented.
Quoting quotes unheeded,
from dusty tomes long unneeded.

The conversation finally concluded,
with each finding the other somewhat deluded.

In the momentary silence that resulted,
the question „Who am I?“ was no longer consulted.

Of course, the root of the delusion,
resulted from the illusion,
that the question „Who am I?“
is anything more than an intrusion.

Robert

Wer?

„Wer bin ich?“
„Wer bist du?“ kam es zurück.
„Ja, wer bin ich? und … wer bist du?“
„Wer bin ich?“ kam es zurück.

Die Zeit verging, als jeder seine Meinungen präsentierte,
in einem Wortschwall ohne Unterbruch,
unüberlegt Zitate zitierend
aus längst überflüssigen Bänden.

Die Konversation schliesslich endet,
dass jeder den anderen hält für verblendet.

In der vorübergehenden Stille, die entstand,
die Frage „Wer bin ich?“ nicht länger bestand.

Natürlich, die Wurzel der Verblendung liegt in der Illusion,
dass die Frage „Wer bin ich?“
mehr ist als eine Intrusion.

°°°

**Aus einem Zen-Vortrag von H. Platov vom 7. Juni 1986

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Dhyāna: Winter 2010

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