Vimalakirti Sutra 3. 2

Im Vimalakirti Sutra 3.2 erklären Buddhas Schüler Maudgalyayana und Mahakashyapa, warum sie sich scheuen, den kranken Vimalakirti zu besuchen. Sie begründen dies mit einer Begegnung, bei der sie sich von Vimalakirti zurechtgewiesen fühlten. 

Der mentale Spiegel

An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass man das Vimalakirti-Sutra mit einer Prise Humor und einem guten Mass an Menschenkenntnis lesen sollte. Wenn man glaubt, die Schüler Buddhas wären nach ihrer Begegnung mit Vimalakirti allen Ernstes beleidigt oder eingeschnappt gewesen, dann verpasst man die Schönheit und Botschaft dieses Sutras. 

Indem «fortgeschrittene» Anhänger Buddas als Menschen mit Unzulänglichkeiten und Schwächen dargestellt sind, erweist uns das Sutra einen grossen Dienst. In einer Art Theater oder Inszenierung lässt es uns teilhaben an einer tiefgründigen geistigen Auseinandersetzung mit den Stolpersteinen und Konsequenzen der buddhistischen Praxis. Jeder auftretende Schüler trägt mit seiner Rolle dazu bei, deutlich zu machen, dass die Verwirklichung wahrer Liebe und Weisheit im täglichen Leben niemals endgültig ist. Ob alt oder jung, erfahren oder unerfahren, gebildet oder ungebildet, arm oder reich – jeder Mensch kann sein geistiges Potential der Menschlichkeit wie einen Diamanten schleifen und polieren, so dass sein Licht immer heller und weiträumiger leuchtet.  

Indem wir uns in den Protagonisten selbst erkennen, beginnen wir vielleicht sogar, Vimalakirti dankbar zu sein, dass er den Schülern Buddhas damals einen Spiegel vorgehalten hat, in den auch wir schauen können. Und – vielleicht – können wir dann sogar mit Staunen sehen, dass uns im Spiegel nichts anderes entgegen schaut, als die universale, unpersönliche, unergründliche Weisheit der Liebe und des Mitgefühls, die nicht urteilt, nicht tadelt, nicht erinnert, nicht plant. Sie leuchtet in jede Ecke unseres Daseins und zeigt, was ist – ohne Beschönigung, ohne Entschuldigung. Was man «damit macht», ist in der Verantwortung jedes Einzelnen.

Mit diesem Verstehen lasst uns weiterfahren und hören, wie die Geschichte weitergeht.  

Maudgalyayana predigt das Dharma

Der zweite führende Schüler Buddhas hiess Maudgalyayana. Er war der enge Freund von Shariputra. Beiden traten gemeinsam in Buddhas Sangha ein und beide starben einige Monate vor dem Buddha. 

Maudgalyayana war vor allem berühmt dafür, dass er zahlreiche übernatürliche Kräfte besass und Buddhas Lehre auch Laien gut erklären konnte. 

Einmal predigte er einigen an Buddhas Lehre interessierten Dorfbewohnern das Dharma, das Gesetz der universalen Wahrheit. Vimalakirti kam zufällig vorbei und hörte eine Weile zu. Maudgalyayana sprach offenbar so routiniert und begeistert, dass es den Eindruck machte, er wolle die Zuhörer überzeugen und bekehren.

Nachdem er seine Predigt beendet hatte, kam Vimalakirti und ermahnte ihm, sich beim Reden keinen falschen Vorstellungen hinzugeben. ansosten würde er auch bei den Zuhörern falsche Vorstellungen verbreiten.   

Wahrheit kann nicht gegeben werden

«Ehrwürdiger Maudgalyayana, wenn du diesen Laien das Dharma darlegen willst, solltest du nicht so predigen, als ob es etwas Fassbares sei, das einen persönlichen Nutzen bringt. Das was du lehrst, sollte mit dem absoluten Wesen der Lehre übereinstimmen, welche über den Konzepten des menschlichen Denkens steht.

Das Dharma ist unabhängig von den Illusionen von einem Selbst, einem Ego. Und deshalb ist es ohne Geburt und Tod. Da es ohne Selbst ist, kennt es keine Absicht und hat weder Ziel noch Zweck.

Das Dharma ist friedvolle Stille, völlig unberührt von der Erscheinungswelt. Da es nicht aus Materie besteht, hat es keine Eigenschaften; man kann es deshalb nicht wie ein Objekt behandeln. Worte oder Buchstaben können es nicht einfangen. Es ist unfassbar, da es jenseits der Gedankenwelt ist und formlos wie der unendliche Raum. Also kann man sich darüber weder Vorstellungen machen, noch irgendwelche Unterscheidungen vornehmen. Das Dharma nichts mit dem relativen Bewusstsein zu tun. Es ist die allen Dingen unterliegende Natur, die allgegenwärtige Leere. Es ist die absolute Wirklichkeit jenseits aller Gegensätze der Erscheinungswelt.

Ehrwürdiger Maudgalyayana, wie könnte man ein solches Dharma lehren? Selbst der Ausdruck ‹das Dharma verkünden› ist anmassend. Und diejenigen, die diese Worte aufnehmen, verfallen zwangsläufig Vorstellungen, die ihrem eigenen Denken entspringen.In Wirklichkeit kann man das Dharma nicht lehren; also gibt es keine Dharma-Lehrer und auch niemanden, der das Dharma hört, und niemanden, der es versteht. 

Aus diesem Grunde solltest du dir beim Sprechen der Unwirklichkeit der Worte immer gewahr sein. Halte dir diese Wahrheit stets vor Augen. Sprich mit grossem Mitgefühl zu den Menschen und denke daran, dass ihre Auffassungsgabe unterschiedlich ist  – es gibt scharfsinnige und schwerfällige. Tue dies aus Dankbarkeit für die Güte Buddhas und mit der einzigen Motivation, die drei Schätze aufrechtzuerhalten.»

Wahrheit kann nicht empfangen werden

Die Welt ist voll von Predigern, Weisen, Propheten und Ratgebern aller Art. Sie alle verkünden die «Wahrheit», so wie sie sich diese vorstellen. Und wenn wir z.B. zusammen ein Sutra lesen, hören wir alle die gleichen Worte. Aber verstehen wir sie gleich? Keinesfalls. Jedermann fügt den auf die Ohren treffenden Lauten die eigenen Farben und Bedeutungen bei.

Weil dem so ist, sollte man sich hüten, jemals zu glauben, man sei im Besitz der Wahrheit – irgendeiner Wahrheit. Das, was wir als Wahrheit empfinden, ist immer bedingt durch die eigene limitierte Sicht, das limitierte Verstehen. Jede Überzeugung ist bruchstückhaft und veränderlich. Dies gilt ganz besonders auch im Hinblick auf Buddhas Lehre. Das Dharma kennt kein Dogma. Jede Predigt, Ansprache oder Verkündung des Dharma ist nur ein Echo der unfassbaren Wirklichkeit. Die Empfänger der Botschaft müssen die Wahrheit in und hinter den Worten selbst erforschen.  

Aus dieser Perspektive kann man Vimalakirtis Ermahnung so zusammenfassen: Vergiss nie, dass Worte nie die Wahrheit sagen können. Selbst wenn es Worte des Buddhas sind. Hüte dich davor, Vorstellungen von Richtig und Falsch zu fördern. Sei immer gewahr, dass niemand das Dharma lehren kann. Wenn du darüber sprichst, tue es allein aus Dankbarkeit für die Güte des Buddhas. Ohne Absicht und ohne Hoffnung auf Erfolg. Jeder Mensch – ob scharfsinnig oder dumpf, kann, wenn die Zeit reif ist, die Wahrheit intuitiv erfahren. Wenn du mit diesem Wissen zu den Menschen redest, wirst du die drei Juwelen, bewahren und das Dharma nicht verfälschen.

Wahrheit kann nicht in eine Form gepresst werden.

Wir sollen uns nicht an Worte und Regeln und an keine Schule binden. Es kommt zum Beispiel nicht darauf an, ob wir eine Stunde oder vier Stunden sitzen, ob wir uns im Meditationsraum auf diese oder jene Art verbeugen, so oder so bewegen. Verhaltensregeln dienen im Buddhismus nur dazu, die Aufmerksamkeit zu schärfen, damit man nicht auf ewig blind im unermesslichen Raum unseres Daseins umherirrt.  

Und wenn die Augen ganz offen sind und hell, dann sehen sie, dass sämtliche Konzepte über die Wirklichkeit unwahr sind. Dies gilt selbst für das erhabene Konzepte von der allerhöchsten Erleuchtung des allerhöchsten, vollkommenen Buddhas. Wenn wir dies erleben, können wir uns voller Achtung und Dankbarkeit vor dem Buddha verbeugen und seine Lehre lebendig erhalten, auch wenn wir kein Wort über ihn oder das Dharma sagen.  

Als Maudgalyayana dies hörte, wusste er nichts zu erwidern. Gut so! Denn wenn man sämtliche Konzepte aus dem Geist herausgerissen bekommt, was kann man dann noch sagen?

Mahakashyapa praktiziert Mitgefühl

Nachdem Maudgalyayana, wie Shariputra zuvor, es abgelehnt hatte, den kranken Vimalakirti zu besuchen, wandte sich der Buddha mit derselben Bitte an Mahakashyapa. Doch dieser lehnte ebenfalls ab mit der Begründung, es stehe ihm nicht zu, den erhabenen Laien Vimalakirti zu befragen. 

In der Öffentlichkeit war Mahakashyapa weitum bekannt für seinen asketischen Lebenswandel in Übereinstimmung mit den strikten Regeln der mönchischen Enthaltsamkeit. Innerhalb der Sangha (Mönchsgemeinschaft) besass er grosses Ansehen, weil sein Verstehen des Dharma dem Buddha nahezu ebenbürtig war. Der Buddha teilte einmal sogar seinen Sitz mit ihm und erklärte ihn zu seinem Nachfolger.

Mahakashyapas Belehrung durch Vimalakirti betraf die Praxis der Mönche, um Nahrung zu betteln. Bevor wir dazu kommen, lasst mich etwas darüber sagen.

Die Beziehung zwischen Geben und Nehmen

In der Ordensgemeinschaft des Buddhas galt das Grundgebot der Besitzlosigkeit. Als «Hauslose» verzichteten die Mönche und Nonnen konsequent auf einen Wohnort, Familie oder Landbesitz und gingen keiner Lohnarbeit nach. Dies unterschied sie explizit von den Laienanhängernwie Vimalakirti . Sie lebten weitgehend im Freien oder in Höhlen (was in Indien klimatisch gut machbar ist) und erbaten sich die nötige Nahrung von der allgemeinen Bevölkerung. Sie stellten sich an eine Strassenecke oder gingen von Türe zu Türe und hielten den Menschen wortlos ihre Almosenschale entgegen. Wer etwas hineinlegen wollte – eine Handvoll Reis oder Gemüse – tat dies, wer nicht, wurde nicht bedrängt. 

Gläubige Inder halten das Spenden (Dana) von Nahrung an Wandermönche und Saddhus (Heilige) nicht als lästige Pflicht. Sie sehen es als eine Gunst des Schicksals. Sie sind der Überzeugung, dass man durch gute Taten eine Art Kredit ansammeln kann, der einem im nächsten Leben zu einer besseren Geburt verhilft. Gerade auch sehr arme Menschen erachten dies als eine Chance, ihr Schicksal positiv zu verändern und geben fraglos etwas von ihren kargen Speisen ab. 

Ganz im Gegensatz zur Auffassung westlicher Gesellschaften gilt Betteln also nicht als Schande und Zeichen des Versagen. Und das Annehmen von Gaben – selbst von ganz armen Mitmenschen – gilt nicht als Ausnutzung oder Ausbeutung. Denn, in dieser Auffassung entwickelt sich zwischen dem Nehmenden und dem Gebenden eine sogenannte karmische Verbindung. Beide handeln zum Wohl des anderen. Die um Almosen Bittenden ermöglichen es den Spendern, eine gute Tat zu vollziehen, während die Spender ihnen helfen, ihr Gelübde, allen Lebewesen durch Weisheit und Mitgefühl zu erfüllen .

Gute Taten in der Welt des Leidens schaffen gutes Karma, gutes Karma öffnet den Weg, der aus dem Leiden herausführt. –Dieser Glaube ist die Grundlage der buddhistischen Praxis und des täglichen Bettelganges.

Betteln im Armenviertel

Mahakashyapa hatte es sich zu Gewohnheit gemacht, seinen Bettelgang vor allem bei den Armen zu tätigen, in der Überlegung, dass diese Menschen besonders leiden und der Erlösung bedürfen. Doch dann kam es dank Vimalakirti zu einem Sinneswandel. Denn, als er einmal wie üblich in einem Armenviertel um Almosen bat, kam Vimalakirti zu ihm und sagte:

«Ehrwürdiger Mahakashyapa, die Häuser der Reichen zu meiden und die Häuser der Armen zu bevorzugen ist Parteilichkeit in der Praxis des Mitgefühls. Indem du nur bei den Armen bettelst und dich von den Reichen freihältst, versäumst du es, deinen gütigen und mitfühlenden Geist allumfassend zu machen. Wenn du aus Güte um Almosen bittest, solltest du alle Lebewesen gleichermassen berücksichtigen, unabhängig davon, ob sie arm oder reich sind…

… Auch solltest du um Nahrung bitten, ohne an das Essen zu denken und das gegebene Essen annehmen, ohne die Vorstellung, etwas zu erhalten…

Wie du weisst, sind alle Dinge illusorisch, sie haben keine eigene Natur und existieren nicht aus sich selbst heraus. Deshalb: Wenn du ein Dorf betrittst, betrachte es wie den leeren Raum. Bleibe allen Formen, Stimmen und Gerüchen gegenüber gleichgültig. Und wenn du isst, unterlasse es, auf den Geschmack zu achten. Bitte um Nahrung zum Wohle aller und iss sie zum Wohle deines Körpers.»

Was Vimalakirti Mahakashyapa zu sagen hatte, lässt sich im Wesentlichen so zusammenfassen: Ein  Mensch, der sich in Freigebigkeit und Mitgefühl übt, sollte dies im Geist vollkommener Gleichgültigkeit tun.  Und zwar im wahren Sinne Wortes «gleichgültig». Denn in der Wirklichkeit sind alle Lebewesen gleich und gleichwertig. Wer sein Mitgefühl ohne Unterscheidung und ohne Absicht unterscheidungslos allen Lebewesen zukommen lässt, handelt in Übereinstimmung mit dem Gesetz des wahren Herzens (Karunā), welches bedingungslose Liebe ist.

Mahakasyhapas Einsicht:

«Weltverehrter, als Vimalakirti diese Worte sprach, die ich noch nie zuvor gehört hatte, empfand ich tiefe Verehrung für alle Bodhisattvas und dachte: Die Weisheit und Redegewalt dieses Laienanhängers befähigt in der Tat alle, einen Geist zu entwickeln, der auf höchste Erleuchtung ausgerichtet ist. Seitdem habe ich es unterlassen, die Menschen zu drängen und falsch verstandene Wohltätigkeit zu praktizieren. Daher bin ich nicht qualifiziert, ihn aufzusuchen, um mich nach seiner Gesundheit zu erkundigen.»

Mahakashyapas Gewohnheit, vor allem bei den Armen um Almosen zu bitten, war zwar durchaus vom Gebot des Mitgefühls für alle leidenden Wesen motiviert, aber er hatte übersehen, dass das Leiden nicht auf die Menschen in materieller Armut beschränkt ist. Auch diejenigen, die in Wohlstand oder Überfluss leben, sind nicht davon befreit. Denn die Art und Weise, wie sie zu ihrem Reichtum gelangen, ist meist mit Illusionen, Stress, Enttäuschung und allen möglichen leidvollen Zwängen verbunden. Gerade sie sind heillos im Elend von Gier, Neid und Eifersucht gefangen. Und dazu gesellt sich das Leiden am Hass gegenüber denjenigen, die reicher sind als sie oder dem Hass seitens derjenigen, die von ihrem Reichtum abhängig sind. Sollte er, als Bodhisattva die allumfassende Weisheit und Güte nicht gerade auch diesen Menschen zukommen lassen? Er sah ein, dass er noch immer in der Einseitigkeit von Arm und Reich und einer persönlichen Meinung befangen war. 

Er erkannte, dass das Prinzip der Selbstlosigkeit sowohl im Geben als auch auch im Nehmen gültig ist. Denn wie Vimalakirti bemerkte, ist der ichlose Geist auch beim Empfangen von Nahrung frei von Angenehm und Unangenehm, Gut und Schlecht. Und beim Almosengang geht es letztlich nicht einmal darum, etwas für sich geschenkt zu bekommen, sondern allein um die Aufrechterhaltung des Körpers, damit dieser zum Wohle aller – des fremden und des eigenen – funktionieren kann. 

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Die Idee, den Almosengang unabhängig zu machen vom Eigenbedarf an körperlicher Nahrung führte dazu, dass manche Mönche und Nonnen des später entstandenen Mahayana-Buddhismus damit begannen, ihre Nahrung selber anzupflanzen oder durch Arbeit zu verdienen. Sie pflegen die Tradition des Betteln zwar weiter, nehmen aber vermehrt auch Gaben oder Geld an als allgemeine Unterstützung ihres Tempels oder das Klosters. Viele Gelehrte sehen im Vimalakirti-Sutra, eine Wurzel dieser Veränderung.   

Barmherzigkeit

In einem Zusammentreffen von Menschen, die durch alle Maschen des sozialen Netzes gefallen sind (in der Schweiz) wurde einst über das Thema «Wohltätigkeit» diskutiert. 

Einer der Anwesenden sagte: «Nur die Reichen können wohltätig sein. Sie sind es, die uns etwas geben sollen. Ich habe nichts zu geben. Wenn sie das tun, nenne ich es Barmherzigkeit.» 

Ein anderer erwiderte: «Denkst du wirklich, blosse Wohltätigkeit sei Barmherzigkeit? Wenn ich betteln muss, und mir von Vorübergehenden ein paar Münzen hingeworfen werden, dann fühle ich doch, wie wertlos ich in ihren Augen bin. Mir ist, als sagten sie ohne Worte: ‹Hier, nimm und lass mich in Ruhe.› Nein ich glaube, Barmherzigkeit hat nichts mit Wohltätigkeit zu tun. Mit Wohltätigkeit kann man das Leiden von sich fernhalten und sich erst noch einbilden, etwas Gutes zu tun. Ein barmherziger Mensch hingegen sieht das Leiden und gibt ohne Hintergedanken das, was er geben kann. Da spielt es keine Rolle, ob es viel oder wenig ist und wer der leidende Mensch ist.» Und er fügte hinzu: «Lieblose Geschenke schmecken nicht.» – (Sieber Ziitig, Nr. /2021)

Liebe

Ist es Liebe, wenn ich meine Zuwendung und mein Mitgefühl beschränke auf mein Kind, meine Familie, mein Land, meine Nationalität, meine Rasse, meinen Religion, meine Partei usw., während ich diejenigen, die nicht zu diesen Gruppen gehören, ignoriere, ausschliesse, verachte, herabwürdige oder meide? 

Ist es Liebe, wenn ich jährlich einen grossen Betrag an Spenden mache, um die Steuern zu optimieren, vor anderen und mir selbst «gut dazustehen» oder um meinen Namen in Sponsorenlisten zu verewigen?

Es mag ein schwieriges Unterfangen sein, sich selbst ganz ehrlich zu befragen, wie es mit der eigenen Grossherzigkeit und dem Mitgefühl für sämtliche Lebewesen auf dieser Welt steht. 

Und es mag dem Eigendünkel schwerfallen, sich von einem Vimalakirti unaufgefordert auf Schwächen und Mängel seiner vermeintlichen Rechtschaffenheit hinweisen zu lassen. 

Aber wer es wirklich ernst meint mit der Verwirklichung von Weisheit und Mitgefühl oder der bedingungslosen Liebe, – welche die einzige Liebe ist, – sollte sich dieser Prüfung stellen. Denn er und sie wird feststellen, dass bedingungslose Liebe nicht auf die anderen beschränkt ist. Wir alle sind Empfänger von ichloser Weisheit und Liebe und zwar schon immer. Das heisst: Wenn man bedenkenlos gibt – sei es ein materielles Gut wie Nahrung, Kleidung, Geld, oder ein nicht materielles, wie Liebe, Fürsorge, Freude – dann handelt man im Grunde genommen nur so, wie es der wahren, ichlosen Natur entspricht.

So haben schon viele Bodhisattvas, erwachte und weise Menschen auf der ganzen Welt, ihr Herz geöffnet und – auch zum Wohl von dir und mir – in der einen oder anderen Wortwahl den folgenden Entschluss gefasst:  

Die Lebewesen sind zahllos,ich gelobe, allen zur Befreiung zu verhelfen.

Die Täuschungen sind unerschöpflich, ich gelobe, sie alle zu überwinden.

Die Lehren der Wahrheit sind unermesslich,ich gelobe, sie alle zu meistern

Buddhas Erkenntnisweg ist unendlich,ich gelobe, ihn zu vollenden

Mögen alle Wesen glücklich sein!

Vimalakirti Sutra 3. 2

Vimalakirti Sutra 3. 2

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