Dudjom Yeshe Dorje Rinpoche spricht über Meditation

Dudjom Yeshe Dorje Rinpoche spricht über Meditation – Einerseits ist das, was wir Dharma (die Lehre des Buddha) nennen, sehr schwierig, andererseits ist es sehr einfach, denn es hängt alles nur von unserem eigenen Geist ab.

Wir sollten also nach unserem eigenen Geist suchen und uns um ihn kümmern.

  • Lass dich nicht von aufsteigenden Gedanken mitreissen. 
  • Schneide deine Überlegungen und Ideen über das, was Geist ist, ab und erlaube deinem Geist, sich in seinem natürlichen Zustand zu entspannen.
  • Lass deinen Geist einfach ganz gelöst in deinem Körper ruhen.  

Wie fühlt sich der Zustand der Entspannung an?  

Es ist wie wenn man gerade eine anstrengende Arbeit beendet hat, nicht wahr? Nachdem man lange und hart gearbeitet hat, um seine Aufgabe zu erfüllen, erfährt man eine wohlige Zufriedenheit und geniesst es, sich einfach auszuruhen. So kommt der Geist ganz natürlich in einen Zustand der Ruhe. Man ist entspannt und bleibt es eine Zeit lang, ohne sich im üblichen Muster wilder, unsinniger Gedanken zu verfangen.

Diesem Beispiel folgend, sollten wir unseren Geist auch inmitten der vielfältigen turbulenten Gedanken bewahren und schützen.

  • Lass deinen Geist in seinem natürlichen Zustand und entspanne dich.
  • Halte den Körper und den Mund still.
  • Denke nicht darüber nach, ob du dieses oder jenes tun solltest.
  • Bring deinen Geist einfach in einen Zustand der Entspannung und Stille, in dem es kein Jagen nach Objekten und keine wilden und verrückten Gedanken gibt.

Es sollte sich ein Zustand einstellen, der vital, offen und leer ist, strahlend klar und locker. Dieser Zustand der Leichtigkeit ist ein Zeichen dafür, dass der Geist seine ureigene Klarheit erreicht hat und in dieser Verfassung der Klarheit weilt.

Aber es bleibt nicht lange so, es geschieht etwas: Ein Gedanke steigt auf. Wenn dies geschieht, überlasse es dem Gewahrsein, es zu erkennen. 

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Wenn etwas auftaucht, denke nicht, dass etwas schief gelaufen sei, sondern nimm es zur Kenntnis, sobald es auftaucht, und lass es dabei bewenden. Begnüge dich mit dem Erkennen.

Wenn der Geist einfach in seinem natürlichen Zustand belassen wird, ist er in Frieden, und alle aufsteigenden Gedanken und Gemütsregungen klingen auf natürliche Weise ab. 

Indem man die Gedanken in Ruhe lässt, befreien sie sich selbst. Sie sind wie Wellen im Ozean: Lässt man sie frei, lösen sie sich wieder im Ozean auf. Und das ist wirklich der einzige Ort, wohin sie gehen können.

Genauso verhält es sich mit unserem Geist. Wenn aus der Stille heraus eine Bewegung entsteht und man diese einfach ihrem eigenen natürlichen Lauf überlässt, kommt sie von allein zur Ruhe. Auf diese Weise findet der Geist ganz natürlich Frieden und wird automatisch klar. – So sollst du praktizieren.

Aber stattdessen denkt man: «Oh, jetzt ist dieser Gedanke entstanden! Das ist falsch!» und versucht, den Gedanken zu stoppen. Das ist aber schon ein zusätzlicher Gedanke. Damit fördert man bloss die eigene Verwirrung, weil der Geist in Objekte gefangen wird. – Übe also nicht so.

Im Erkennen zu ruhen, ohne den Gedanken zu folgen, ist als «friedvolles Verweilen» bekannt, weil es die Macht der Gedanken zerstreut oder besänftigt und einen befähigt, in der glückseligen Natur des eigenen Geistes zu verweilen. Das nennen wir in Sanskrit die «Praxis von Shamata».

Wenn man mit dieser Praxis einigermassen vertraut ist, kann man einen Zustand körperlicher und geistiger Glückseligkeit oder Freude erleben. Und wenn man nachts meditiert, kann man eine Helligkeit erfahren, als ob das Tageslicht angebrochen wäre.

Verschiedene ähnliche Erfahrungen können sich einstellen. Sie sind Anzeichen dafür, dass man den Frieden und die Ruhe von Shamata stärkt. 

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Es ist kein Fehler, diese Erfahrungen für positiv zu halten, aber es wäre ein Fehler, sie festhalten zu wollen.

Wenn man diese Erscheinungen einfach zulässt, ohne im geringsten an ihnen zu haften, können sie die Praxis nur unterstützen und keinen Schaden anrichten.

Welche Erfahrungen von Glückseligkeit oder Klarheit auch immer auftreten, es gibt keinen Grund, sie festhalten zu wollen und auch keinen Grund, sie zu unterdrücken. Man erlaube ihnen einfach, sich auf natürliche Weise aufzulösen.

Es ist auch möglich, dass man die Erfahrung der so genannten Abwesenheit von Gedanken macht. Dies ist ein dunkler, dumpfer und schläfriger Zustand, in dem es keinerlei Gewahrsein gibt. Man schläft nicht ganz, aber man befindet sich in einer leeren Dumpfheit.

Diese dumpfe Abwesenheit von Gedanken ist ein Fehler in der Meditation. Sie beinhaltet zwar ein ruhiges Verweilen, aber es gibt keine geistige Regung, keine dem Geist innewohnende Klarheit. Dies liegt daran, dass das Bewusstsein in das Alaya, das Grundbewusstsein, abgedriftet ist. Dann muss man sich selbst alarmieren und daraus erwachen. 

Um diese Dumpfheit zu überwinden, richte deinen Körper auf, atme die verdorbene Luft aus und lenke das Bewusstsein auf den Raum vor dir. Wenn du in solcher Dumpfheit verbleibst, ist die Meditation wirkungslos und entwickelt sich überhaupt nicht weiter. Dann ist es wichtig, das Gewahrsein zu schärfen. Das ist der Weg zu ruhigem Verweilen.

Wenn der Geist ganz natürlich und entspannt in seinem eigenen ursprünglichen Zustand ruht, spricht man von der «Stille der Meditation». Wenn aus diesem Zustand der Stille heraus ein Gedanke auftaucht, spricht man von «Bewegung». Und das, was weiss, wann sich der Geist in einem Zustand der Stille befindet und jede Bewegung erkennt, ist das Gewahrsein oder Rigpa.

Diese drei Zustände – Stille, Bewegung und Gewahrsein – bilden zusammen den Zustand des «friedvollen Verweilens» (Tib. Ngajukrigsum).

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Es wird dir nicht möglich sein, von Anbeginn im Frieden zu bleiben, ohne dass du dich längere Zeit in rechter Meditation übst. Aber wenn du erst einmal vertraut bist damit, kannst du auch in den alltäglichen Bewegungen ungestört bleiben. Und beim Sitzen kannst du sitzen bleiben, ohne vom Gewahrsein abgelenkt zu werden.

Diese Praxis sollte auf alles angewendet werden, was man tut, und dann wird sie sich allmählich entwickeln und vertiefen.

In diesem Sinn bedeutet Dharma, dass wir unseren Geist zähmen und alle unsere störenden Emotionen zur Ruhe bringen. 

Und nun lasst uns ein wenig gemeinsam meditieren.

(Hrsg.: Wer sehen will, wie einfach und natürlich ein wahrer Meister in den Meditationszustand eintritt, kann diese Stelle im Originalvortrag von Dudjom Rinpoche auf Minute 15.10 finden)

Wenn wir eine Weile im natürlichen Zustand der Stille ruhen, nennt man das meditatives Gleichgewicht. Das ist es, was wir in der formale Meditationssitzung praktizieren.

Wenn wir uns dann aus diesem Zustand erheben und unsere normalen alltäglichen Aktivitäten wieder aufnehmen, wie z.B. gehen, sitzen, Gebete oder Mantras rezitieren oder ähnliches, zählen wir diese Aktivitäten zur Periode der Post-Meditation.

Die Post-Meditation bezieht sich also auf den Zeitraum, nachdem man aus einem formalen meditativen Gleichgewicht ausgestiegen sind.

Wenn man in der Lage ist, das Gewahrsein des gegenwärtigen Augenblicks aufrechtzuerhalten, ohne es in den täglichen Aktivitäten zu verlieren, gewinnt man schnell Stabilität in der formalen Meditation. 

Man sollte also versuchen, dieses Gewahrsein zu bewahren und es niemals zu verlieren.

Im meditativen Gleichgewicht erlauben wir dem Geist, still in seiner eigenen Natur zu ruhen, wie der windstille Ozean. Wenn dann ein Gedanke als Ausdruck der geistigen Energie auftaucht und eine Veränderung bewirkt, geschieht dies im Geist selbst.

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Geistige Ablenkung ist nur eine Bewegung oder eine Veränderung, die innerhalb des Geist stattfindet. Welche turbulenten Gedanken auch immer auftauchen, wenn man dem Geist erlaubt, in seiner eigene Natur zu ruhen, beruhigen sich die Gedanken von selbst, genauso wie die Wellen im Ozean sich wieder im Ozean auflösen. Dies übe man in der formalen Meditation.

Nach der formalen Meditation sollte man nicht einfach wie ein aufgescheuchtes Kaninchen aufspringen. Stehen Sie langsam auf, und wenn Sie dann Ihr Haus verlassen und nach draussen gehen müssen, gehen Sie mit entspanntem Körper und ruhigem Geist. Es wird empfohlen, den Blick leicht auf den Boden gesenkt zu halten, ein paar Meter oder etwa einer Pfluglänge vor Ihnen, damit der Geist nicht abgelenkt wird.

Wenn man dagegen einfach ziellos umhergeht und den Kopf in alle Richtungen dreht, dann wird man bloss unruhig. 

Beim Gehen sollte man sich also langsam und stetig bewegen, einen Schritte nach dem anderen machen und auf den Boden einige Meter vor sich schauen. So sollte man gehen. 

Und wenn man sich hinsetzt, falle man nicht auf den Boden wie ein Sack Erde oder ein schwerer Stein. Wenn ein Stein an einem Seil über dem Boden schwebt und das Seil durchgeschnitten wird, fällt er mit einem dumpfen Schlag auf die Erde. Statt so hinzuplumpsen, sollten wir uns langsam und ruhig setzen.

Was die Frage betrifft, wie man sich verhalten soll, wenn man mit anderen anderen Menschen zu tun hat, so gilt: «Wenn ich ein anderes Wesen anschaue, möge mein Blick ehrlich und liebevoll sein.» Wenn Sie jemandem begegnen, schauen Sie ihn geradlinig und offen mit natürlicher Ruhe an. Begegnen Sie ihr mit einem aufrichtigen und liebevollen Blick.

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Wenn Ihr Geist liebevoll ist und Bodhicitta (Mitgefühl) enthält, dann zeigt sich das in Ihrem Blick und vermittelt eine Atmosphäre des Friedens und der Ruhe. So begegne man allen Lebewesen offen und mit Liebe.

Beim Reden plappere man nicht einfach sinnlos drauflos, was immer einem in den Sinn kommt. Man rede wahrheitsgemäss und sanft in einer Art und Weise, die zu den Zuhörern passt und für sie angenehm ist.

Beim Essen mache man nicht alle möglichen Geräusche, wie eine Kuh, die wiederkäut, oder ein Hund, der sein Fressen verschlingt. Essen und trinken Sie geräuschlos und achtsam in natürlichen Entspanntheit.

Wenn man zu Bett geht, lege man sich sanft und entspannt hin. Beten Sie zu Ihrem Meister und den drei Juwelen Buddha, Dharma und Sangha. So schlafen Sie mit entspanntem Geist und in einem Zustand des Gebets ein.

Und wenn Sie dann aufwacht, bringen Sie sich die drei Juwelen und Ihren Meister klar in ins Bewusstsein und stehen Sie in diesem Zustand der Hingabe auf. Auf diese Weise, wird gesagt, steht die Hingabe im Geist gleichzeitig mit dem Körper auf.

Der Körper sollte in den täglichen Aktivitäten wie Gehen, Ruhen, Essen oder Schlafen entspannt sein. Bewegen Sie sich ruhig und langsam. Sprechen Sie mit so wenigen Worten wie möglich und dennoch beherrscht. Die Worte sollte angenehm sein für das Ohr und wohltuend für den Geist.

Wenn man sich so verhält, ist das tägliche Tun im Einklang mit den Lehren und, was am allerwichtigste ist, der Geist ist im Einklang mit dem Dharma.  

In diesem Sinn bedeutet Dharma, dass wir unseren Geist zähmen und alle unsere störenden Emotionen zur Ruhe bringen.

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  • Anmerkung zu  «Beten» und «Gebet» aus der Sicht des tibetischen Buddhismus, von einem langjährigen Schüler und Praktizierenden des tibetischen Buddhismus und Freund der Hrsg.

“Das Wort, das Dudjom Rinpoche höchstwahrscheinlich verwendet, hat seinen Ursprung darin, wie ein niedriges Wesen ein höheres Wesen anspricht, so wie ein Bauer einen König ansprechen würde. Es kommt also vom Begriff ‘ehrenvoll anreden’. Oft wird es mit ‘huldigen’ oder mit ‘beten’ übersetzt. Ich könnte mir auch eine Übersetzung mit ‘anrufen’ vorstellen, also ‹’n Erinnerung rufen’, ‘erinnern’ oder ‘aufschliessen’ (aber das ist natürlich sehr freestyle).

Im Grunde richten wir diese Gebete/Worte an unsere eigene Essenz, das Potential unseres eigenen Geistes. Da wir uns dessen aber nicht bewusst sind, nehmen wir in der Zwischenzeit einen Buddha oder einen Bodhisattva als Mittelpunkt unserer Gebete/Worte, wohl wissend im Hinterkopf, dass es in Wirklichkeit nicht den geringsten Unterschied zwischen uns und ihnen gibt. Sie inspirieren uns vielleicht eher dazu, natürliche Hingabe zu empfinden, als wir es im Moment vermögen, zu unserer angeborenen Vollkommenheit zu beten, die weniger offensichtlich und fassbar ist. Das ist ein geschicktes Mittel, das auch unsere emotionale Veranlagung, uns nach aussen zu richten, vorerst befriedigt, aber auf lange Sicht den Effekt hat, unsere sogenannte Buddha-Natur zu offenbaren.

Ich denke, wenn man dieses Konzept klar versteht und sich seiner bewusst ist, dann kann man so viel beten, wie man will und sein ganzes Herz hineingeben. Wenn einem das jedoch nicht zusagt, dann gibt es unzähligen anderen Hilfsmittel, die man anwenden kann und die zu den eigenen Neigungen und eigenen emotionalen und intellektuellen Einstellungen passen.

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In unserer Schule spielen Hingabe und Gebet eine sehr wichtige Rolle. Wenn ein gutes intellektuelles und emotionales Fundament des Verstehens vorhanden ist, dann kann uns das helfen, unsere immerwährende konzeptuelle und dualistische Art und Weise, mit der wir an alles herangehen, mit tief-empfundenen und blindem Glauben zu überwinden. Dies scheint sich immer wieder aufs Neue zu beweisen. Aber natürlich muss zuerst die Basis geschaffen werden, bevor man sich auf einen solchen Weg der Praxis einlässt.

Eine weitere sehr entscheidende und wichtige Art des Betens ist das Wunschgebet. Da der Geist alles erschafft, ist dies eine sehr kraftvolle Art, unsere äussere und innere Welt zu gestalten, und der Nutzen scheint unerschöpflich zu sein. Die Wünsche sind in der Regel nicht an eine äussere Entität gerichtet, sondern drücken eher die Qualitäten aus, die wir entwickeln wollen, und die Umstände, die wir verwirklicht sehen wollen.”

Dudjom Yeshe Dorje (1904-1987) war einer der bedeutendsten Yogis, Gelehrten und Meditationsmeister Tibets.  Er wird als der lebende Repräsentant von Padmasambhava angesehen und war ein grosser Enthüller der von Padmasambhava verborgenen “Schätzen” (Terma). Als produktiver Autor und akribischer Gelehrter verfasste Dudjom Rinpoche mehr als vierzig Bücher, von denen eines der bekanntesten sein monumentales Werk The Nyingma School of Tibetan Buddhism ist.


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