Der Frosch – AWH, Tagesretreat Dezember 2019
Der Frosch – Das Jahr 2019 kommt zu seinem Ende und das letzte Kalenderbild des ZZB-Kalenders zeigt einen Frosch in einem Seerosen-Teich.
Das Bild wurde schon im Jahr 2018 aufgenommen und zwar an unserem gegenwärtigen Retreat-Ort im Allgäu. Danach ging es durch den Geist und die Hände von Robert und wurde zu einem Kalenderbild. Und so hängt dieses Bild nun an diversen Wänden, auch bei uns. Wenn ich es betrachte, ruft es allerlei innere Bewegungen hervor. Da sind einmal die Erinnerungen an den wunderschönen Garten, in dem der Frosch lebt, und dann ist da der Begleittext, der eine ganz andere Saite zum Klingen bringt. Er lautet:
«In jedem Frosch steckt ein Prinz;
in jedem Prinz steckt Frosch.
Es ist alles eine Sache der Perspektive.»
Die Verbindung von Frosch und Prinz ist eine Anspielung auf das Märchen vom Froschkönig. Ich weiss nicht, wie weit euch dieses Märchen präsent ist. Ich will es kurz zusammenfassen:
Der Handel
Eine Prinzessin hatte ihr liebstes Gut, eine goldene Kugel, beim Spielen in einen Brunnen fallen lassen. Sie weinte und jammerte bitterlich über ihren Verlust. Plötzlich hörte sie eine Stimme, die sagte: «Warum weinst du? Warum bist du so traurig?» Sie schaute sich um und sah einen Frosch aus dem Brunnen glotzen. Die Prinzessin klagte ihm ihr Leid. Sie trauerte um ihre schöne, goldene Kugel, die sie nun für immer und alle Zeiten vermissen werde. Der Frosch sagte: «Lass mich dir helfen. Ich kann dir die Kugel zurückbringen, aber was gibst du mir dafür?»
Sie antwortete: «Du kannst alle meine Reichtümer, alle meine Spielsachen, alle meine Perlen haben, wenn du mir nur diese Kugel wieder zurückbringst». Er sagte: «Deine Reichtümer, deine Spielzeuge, deine Perlen will ich nicht. Ich möchte mit dir leben. Ich möchte mit dir sein, in deinem Schloss, in deinem Zimmer, an deinem Tisch, in deinem Bett.»
Da es ihr so wichtig war, ihre Kugel wiederzubekommen, gab sie sich einverstanden: «Du kannst alles haben, wenn du mir nur meine Kugel aus dem Brunnen holst.» Bei sich dachte sie: «Der kann mir mal – so einen hässlichen Frosch lasse ich sicher nicht in mein Haus.» Dementsprechend handelte sie auch. Denn kaum hatte der Frosch die Kugel aus der Tiefe des Brunnens gefischt und ihr überreicht, rannte sie weg. Der Frosch hopste hinterher und rief: «Renn nicht so schnell, ich kann dir nicht folgen!» Sie dachte: «Genau das ist die Absicht!» und eilte nach Hause.
Die Verleugnung
Beim Mittagessen im Schloss, ein paar Stunden später, klopfte es an der Tür und eine Stimme rief: «Ich will herein! Du hast mir das versprochen.» Die Familie wollte wissen, wer vor der Türe sei und der König forderte seine Tochter auf: «Geh und schau nach!» Es war ein feuchter Frosch, der verkündete, er sei hier, um seinen Lohn einzufordern. Der Vater wollte natürlich wissen, was passiert sei und die Tochter musste alles erzählen. Der Vater sagte: «Was man versprochen hat, das muss man auch einhalten. Wenn du ihm versprochen hast, er könne an deinem Tisch sitzen, dann lasse ihn herein, hole einen Teller, hole einen Stuhl!»
Und so ging das weiter – der Frosch verlangte immer mehr: Ich möchte in deinem Zimmer wohnen. Die Tochter zappelte innerlich und wehrte sich: Nein, nein, nein, nur das nicht! Doch der Vater bestand darauf: «Wenn man dir geholfen hat, dann hilfst du auch! Was du versprochen hast, das hältst du!»
Und so ging es den ganzen Tag. Der Frosch kam immer näher; schlussendlich lag er bei ihr im Bett und sie ekelte sich bis aufs Blut. Doch der Frosch beklagte sich: «Du hast es mir versprochen. Ich bin traurig, ich möchte nicht nur in deinem Bett liegen, ich möchte, dass du mich liebst, dass du mich anerkennst und küsst.»
Der Schein trügt
Für die Fortsetzung gibt es zwei Versionen des Märchens: In der einen überwand sich die Prinzessin, den feuchten Bauch des Frosches zu küssen, in der anderen warf sie ihn aus dem Bett gegen eine Wand. In beiden Versionen verwandelte sich der Frosch — schwuppdiwupp — in einen wunderschönen Prinzen! Dieser erklärte mit sanfter Stimme: «Ich war schon immer ein Prinz, aber ich wurde einmal verwandelt in einen Frosch.»
Die Geschichte geht noch weiter, mit viel schöner Symbolik – am Ende reisen Prinz und Prinzessin in der königlichen Kutsche ins Reich des Prinzen und «wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute!»
Ich denke, dieses Märchen kommt aus dem tiefen menschlichen Wissen um die allgegenwärtige Wandelbarkeit des Lebens, in dem die Dinge/Wesen, mit denen wir leben, nicht das sind, was sie zu sein scheinen. Aber wir wollen dies nicht wahr haben, sondern versuchen immer wieder, die Mitmenschen und die Umstände so zurechtzubiegen, dass sie unseren Wünschen entsprechen.
Eine Sache der Perspektive
Es ist alles eine Sache der Perspektive … Mal sehen wir in einem Frosch einen Prinzen, dann in einem Prinzen einen Frosch. Es ist ein ständiges das Hin-und-Her von Vorlieben und Abneigungen: Schön … lieb … toll … pfui … hässlich … böse. Und all dies sehr oft in Bezug auf ein und dieselbe Person oder Sache. Es endet ja nie wie im Märchen, in dem Prinz und Prinzessin sich glücklich vereinen. Bei uns gehen die Geschichten immer weiter und wiederholen sich ohne Ende.
Vorgestern habe ich ein Mail erhalten mit dem Betreff «Mir geht’s miserabel.» Es folgte eine Aufzählung von dem, was alles «schlecht» sei im Leben des Absenders, dann eine Aufzählung von dem, was trotzdem «gut» sei. Ich schrieb mit einem virtuellen Lächeln zurück: «Hast du das Kalenderblatt von diesem Monat angeschaut?» Die Antwort lautete, ebenfalls mit einem virtuellen Lächeln: «Ach ja, ich weiss, es ist alles eine Sache der Perspektive …»
Ja! Wir wissen dies und trotzdem …
Entweder sehen wir das Glas als halbvoll oder als halbleer! Entweder sehen wir uns selbst als Optimisten oder als Pessimisten und reden uns ein: «So ist es halt! Da kann man nichts machen.»
Nein! Es muss nicht so sein. Wir brauchen nicht so hin und her zu schwanken. Wir haben es in der Hand, welche Perspektive wir einnehmen.
Aber wissen wir überhaupt, aus welcher Perspektive wir eine gegebene Angelegenheit betrachten? Wissen wir, dass man die Perspektive jederzeit ändern kann? Wissen wir, wie man eine Perspektive ändert? Oder sind wir einfach immer nur das ohnmächtige Opfer der Umstände? Meinen wir, die Brille, durch die wir die Welt betrachten und beurteilen, sei uns angewachsen?
In unserer normalen Unwissenheit sehen wir immer nur eine Seite. Einmal ist der Prinz ein Frosch, einmal ist der Frosch ein Prinz. Wenn wir himmelhoch jauchzend sind, sind wir himmelhoch jauchzend und lassen dies die ganze Welt wissen; wenn wir zu Tode betrübt sind, sind wir zu Tode betrübt und lassen dies die ganze Welt spüren. So stolpern wir durchs Leben und überstülpen unsere Launen allem, was uns begegnet. Das ist unsere normale, dualistische Lebenshaltung, nicht wahr? Das kennen wir, das ist eigentlich banal!
Aber gerade weil es so banal und trivial ist, sind wir blind für die katastrophalen Folgen dieses egozentrischen Verhaltens und die unendlich vielen Gelegenheiten, in denen wir wahrhaftiges Glück übersehen.
Die Macht Erinnerung …
Wenn ich das Foto vom Frosch inmitten von Seerosenblätter, unabhängig von den Begleitworten betrachte, also einen Augenblick lang dabei verweile und nicht bloss einen flüchtigen Blick darauf werfe, dann taucht sofort eine lebhafte Erinnerung auf an den Ort seiner Aufnahme. «Lebhaft» heisst, ich habe nicht nur ein Bild im Kopf, ich fühle mich unmittelbar an den in einer Mulde eingebetteten Teich im farbenfrohen Garten versetzt; in die wunderbaren Stille jener Tage.
Ich kann den Wechsel zwischen gelegentlichen Regenfällen und Sonnenschein, an denen sich die Frösche versteckten oder im Teich quakten und hüpften, wieder erleben. Ich kann mich innerlich hinsetzen und dem Leben mit derselben Präsenz zuschauen und es fühlen, wie damals am Teich, als es nichts anderes zu tun gab, als den gegenwärtigen Augenblick mit allen Lebe- wesen im grossen Garten zu teilen.
Nun gibt es keinen Unterschied zwischen damals und jetzt, zwischen dort und hier. Es geschieht gerade jetzt: Einige Vögel singen, ein Vogel schimpft. Libellenflügel glitzern im Sonnenlicht, Bienen lassen sich auf einer Blüte nieder und stecken ihren Kopf tief in sie hinein. Wolken treten vor die Sonne, die Haut wird kühl; Wolken lösen sich auf, die Haut wird warm. Denk bloss nicht darüber nach! Halte weder am Bild noch an der Empfindung fest!
Können wir uns diesem stillen Ort, diesem Gewahrsein in uns, in dem die Welt immerzu neu entsteht und vergeht, gerade jetzt öffnen? Vorbehaltlos? Mit Haut und Haar und Knochen? Hier, in diesem Zendo, wo wir jetzt gerade sitzen? Oder muss man warten, bis man wieder Ferien hat und Zeit für einen Retreat irgendwo abseits der Welt?
JETZT, HIER
Dieses Gewahrsein ist immer da! Aber es zeigt sich natürlich nur, wenn man nicht dauernd quasselt — weder mit sich selbst noch mit anderen. Wenn man sich nicht durch den unnützem Gedankenmüll vom gegenwärtigen Augenblick ablenken lässt.
Welch wunderbares Wesen so ein Frosch doch ist! Mal bewegt er sich im Wasser, mal in der Luft. Mal hört man ihn und sieht ihn nicht; mal sieht man ihn und hört ihn nicht. Er folgt seinen Sinnen und deren Impulsen — aus meiner Sicht — ganz ohne Zögern und voller Vertrauen.
Er schnappt nach Fliegen, wenn sich eine in seinem Gesichtsfeld zeigt; ruft «Quak! Quak!», wenn ihm ein anderer Frosch zu nahe kommt; streckt prüfend die Nase aus dem Wasser, bevor er ganz ans Ufer kriecht. Auf einem Blatt sitzend, der wärmenden Sonne zugewandt, hopst er in Sekundenschnelle ins dunkle Wasser, wenn ihn ein Geräusch oder eine Bewegung am Ufer des Teichs warnt. Es scheint völlig im Einklang zu sein mit sich selbst in den Welten von Wasser, Erde und Luft.
Aus Feind wird Freund
Der Frosch auf dem Kalenderblatt erinnert mich an eine Lektion, die mir einer seiner Artgenossen im Allgäu hat zukommen lassen. Dieser sass auf einem Blatt und ich sass auf einem Stuhl, offenbar in Gedanken versunken, weit weg! Das Geräusch eines ins Wasser gesprungen Frosches weckte mich auf.
Ich sagte: «Na Frosch, was ist passiert? Wieso bist du plötzlich weg?» «Du hast mich erschreckt», höre ich in meinem Inneren. Mir wird bewusst, dass ich in meiner Abwesenheit eine unbedachte Bewegung gemacht hatte, die sich in ein kratzendes Geräusch des Stuhls, auf dem ich sass, übersetzt hat. Mir wurde klar, dass brüske Bewegungen am Ufer für die Frösche eine potentielle Gefahr bedeutet. «Oh, das tut mir leid,» sagten meine Gedanken entschuldigend, «ich habe dich gar nicht gesehen!» «Eben! Das ist das Problem!», antwortete der Frosch. Unachtsamkeit birgt immer und für jeden eine potentielle Gefahr.
Ein paar Tage später: Frosch sitzt auf dem Blatt, Betrachter sitzt auf dem Stuhl, des Frosches gewahr. Betrachter steht auf — sehr vorsichtig und leise. Frosch bleibt sitzen. Wir sehen uns an. Jetzt gibt es keinen Grund für den Frosch, sich vor mir zu fürchten. Welche Freude!
Der alte Teich
Der alte Teich.
Der Frosch hüpft ins Wasser.
Plupp!
Dieses Haiku (japanische Gedichtform mit drei Zeilen) stammt von Matsuo Bashō. Er war ein grosser Poet und ein Verehrer des Zen-Buddhismus der von Tempel zu Tempel pilgerte. Er besuchte aber nicht nur Tempel und Klöster, sondern auch Kneipen und Märkte. Kurz: Er lebte nicht abseits von Welt und Menschen, sondern mitten drin, mitten im Leben. Gleichzeitig lebte er in völliger Freiheit in der Abgeschiedenheit seines eigenen Geistes, vollkommen allein im wahren Sinne des Wortes. Dies geht aus seinen überlieferten Haikus klar hervor.
Eine Zeit lang war er unterwegs mit einem Freund; einige sagen, dieser sei auch sein Schüler gewesen. Auf diesen Wanderungen sassen sie abends zusammen und jeder verfasste ein Haiku.
Haikus und Verse haben im ursprünglichen Zen eine bestimmte Bedeutung. Sie sind nicht nur künstlerischer Ausdruck eines Poeten, sie sind Ausdruck und Übermittler einer direkten, authentischen Erfahrung ihrer Verfasser. Die alten Zen-Meister z.B. fassten die Essenz eines Dharmavortrags am Ende in einen Vers. Und im Austausch zwischen zwei Meistern oder zwischen Lehrer und Schüler galt ein spontaner Vers — neben dem beredten Schweigen — als der reinste Ausdruck einer direkten Erfahrung bzw. eines geistigen Zustandes. Erfahrung und Ausdruck erfolgen fast synchron, d.h. es ist kein Gedanke dazwischen.
Matsuo Bashō zeigte sich seinem Freund an diesem Abend also mit:
Der alte Teich.
Der Frosch hüpft ins Wasser.
Plupp!
Könnte ihr dies spüren? In diesem Moment?
Das Wasser
Natürlich braucht ein Haiku keine Erklärung. Doch im Zusammenhang mit dem heutigen Thema möchte ich es als Beispiel nutzen für die Perspektive eines Menschen, der frei von jeglicher Ichhaftigkeit unmittelbar «sieht» und «hört» und das, was er sieht und hört, unmittelbar, ohne etwas dazwischen, erfasst und lebt.
Es mag für uns kopflastige, schwerfällige «Denker» nützlich sein, wenn wir ein gewisses Verstehen für die chinesische Symbolik haben, die in diesen Worten mitschwingt. Im chinesischen Taoismus und im Zen ist Wasser ein Symbol, ein Sinnbild für den Geist, der in allem Leben wirksam ist.
Wasser hat keine Form, kann aber alle Formen annehmen. Es hat keine bleibende Konsistenz, es kann flüssig sein, fest, dampfförmig oder ätherisch. Manchmal ist es sichtbar, manchmal nicht. Es hat keine Farbe, kann aber alle Farben annehmen. Es hat keinen Standort, es ist immer in Bewegung. Es hat kein Ich. Es ist nicht gefangen im Entweder-Oder einer dualistischen Weltsicht. Doch es folgt in allen Phasen seiner Gestaltung dem fundamentalem, natürlichen Gesetz von Ursache und Wirkung, Entstehen und Vergehen, und passt sich so in unendlicher Wandlung stets den gegebenen Umständen an.
Aus der Dunkelheit ins Licht
Frösche leben oft in einem Teich mit Seerosen oder Lotosblumen. Auch die Oberfläche des Teichs im Allgäuer Seminarhaus war mit Lotusblättern bedeckt. Die Lotuspflanze ist im Buddhismus ebenfalls ein wichtiges Sinnbild. Sie symbolisiert das menschliche Bewusstsein, dessen «Wurzeln», wie beim Lotus, tief im Schlamm des Wassers verankert sind, in der Dunkelheit der Unwissenheit, unsichtbar.
Die Lotuspflanze wächst aus dem Schlamm empor dem Sonnenlicht entgegen. Und zwar schnurstracks, direkt, ohne Umwege. Wenn ihre Triebe die Wasseroberfläche durchstossen haben, dann entfalten sich ihre Blätter genau am Übergang von Wasser und Luft. Nun empfängt die Pflanze ihre Nahrung aus der Erde, dem Wasser, der Luft und dem Sonnenlicht. Es ist alles da, was sie braucht, um ihre Blumen zu entfalten. Im dunklen Schlamm geborenen, im Wasser herangewachsen, öffnen sich die blütenweissen oder rosafarbenen Blätter ganz und gar dem Licht. Nichts bleibt an ihnen haften, kein Schlamm, kein Staubkörnchen, kein Wassertropfen. Alles fliesst an ihnen ab.
Im Zen-Buddhismus vergleicht man die vollständige Entfaltung der Lotusblüte mit dem, was Siddharta geschehen ist, als er, in reinem Gewahrsein meditierend, unter dem Bodhibaum sass. Der nach Erkenntnis strebende Geist von Siddharta durchdrang alle Hindernisse, öffnete sich dem Himmel und wandelte sich in den klaren leuchtenden Buddha-Geist. Die innwohnende Weisheit war aus der Unwissenheit ans Licht getreten und offenbarte sich als das fortan unumstössliche Buddha-Wissen.
Der Buddha verstand und erklärte, dass dies bei allen Lebewesen von Natur aus geschehen kann, vorausgesetzt der Geist und die Zeit sind reif dazu. Und er zeigte den Weg, wie man den Reifungsprozess fördern kann. Es ist der Weg der Meditation, der vollkommenen Aufgabe aller falschen Ansichten und Meinungen, der stetigen friedvollen Achtsamkeit. Und zwar in allem, was man tut: sitzen, stehen, liegen, gehen.
Spontane Erkenntnis
Bashō rastete also mit seinem Freund an einem Teich. Man kann sich die Ruhe, die Landschaft und den Himmel leicht vorstellen. Aber Bashō erfasste mehr als nur die Szenerie, die sich seinen Augen darbot. Bashō sah das Wesen, die Essenz davon. Er erlebte den Teich und alles, was ihn umgab, als die Wirklichkeit, die sich uns Menschen materiell und geistig gleichzeitig manifestiert, in Form und in Nicht-Form. Er sass in vollkommenem Gewahrsein — ruhig, offen, still — und war eins damit. Dieses Einsein ist die Voraussetzung, der unumstössliche Boden, auf dem die Buddha-Weisheit wächst und gedeiht und die spontane Einsicht in die lebendige Wirklichkeit des Lebens weckt.
Da — plötzlich — ein Geräusch! Plupp!
Hat er den Frosch gesehen oder nur gehört? Das ist unwichtig. Wichtig ist das, was Bashō in diesem Moment geschah. Warum war das wohl so bedeutsam für ihn, dass er am Abend diese wunderbaren Zeilen schreiben konnte? Was für Erlebnis war es, das in ihm einen so tiefen Eindruck hinterliess, dass er sie in solche Worte fasste:
Der alte Teich.
Der Frosch hüpft ins Wasser.
Plupp!
Es gibt in der Zen-Literatur etliche Beispiele dafür, wie Meditierende durch ein plötzliches Geräusch zur Realität erwachten. Erleuchtung ist nichts anderes als ein staunendes …«Oh!» … gefolgt von einem abgrundtiefen, allumfassenden Frieden.
Man kann kein Haiku machen mit Denken. Man kann kein Haiku machen mit etwas, das man nur weiss oder gelesen hat, solche Worte sind tot. Man spürt, ob ein Haiku lebendig ist. Und ein lebendiges Haiku kann Tote zum Leben erwecken. Ich wünsche, dass uns dies auch geschieht. Dann gilt:
Der alte Teich.
Plupp!
Der Frosch ist weg!