Dasselbe und immer neu

Dasselbe und immer neu : Wenn jemand das Gefühl hat, dass das, was am heutigen Tagesretreat gesagt wird, schon oft gesagt worden ist, dann ist das richtig. Dharmavorträge drehen sich immer mehr oder weniger um dasselbe. Unsere Retreats, egal ob 1- oder mehrtägig, haben immer dieselbe Ausrichtung: Erstes das Besinnen, worum es eigentlich bei der Meditation geht, und zweitens das Einüben und Vertiefen einer möglichst nachhaltigen Praxis und ihre Verwirklichung im täglichen Leben. Denn wenn wir die Zeit auf dem Sitzkissen nicht einfach verplempern wollen, dann braucht es rechtes Verstehen und rechtes Tun.

Rechtes Verstehen geht einher mit rechter Sicht. Wenn man kein rechtes Verstehen bzw. keine rechte Sicht hat von der Realität des menschlichen Daseins, dann verkommt die Sitzmeditation schnell zu einem Religionsersatz, einer spirituellen Modeerscheinung, wie z.B das zur Zeit in gewissen Kreisen propagierte Schokoladen-Yoga und Ziegen-Yoga – das ist kein Witz, solche Sachen gibt es! – oder zu einem Instrument für die sogenannten Selbstoptimierung.

Wurzeln der Meditation?

Wir berufen uns auf die tiefgreifenden Erfahrungen und Erklärungen von Buddha und den alten Meditationsmeistern, die in eigener Regie ihren eigenen Geist durch konsequente Introspektion studiert und untersucht haben. Sie sahen sich gezwungen, sämtliche Begriffe und alles angelernte Wissen aufzugeben, um das, was ihnen die Stille der Meditation offenbarte, zu erfassen.

Dieses wortfreie, alle Gedanken transzendierende, durchdringende Schauen des eigenen Geist ist das, was man als Achtsamkeits-Meditation definiert.

Es gibt einen berühmten legendären Mann, der als erster Initiant der Zen-Praxis in die Geschichte eingegangen ist. Sein Name ist Bodhidharma. Er hat die Sitzmeditation als das fundamentale Prinzip der buddhistischen Lebensführung in China eingeführt. Er war ein buddhistischer Mönche aus Indien, der nach China ausgewandert war. Es gab damals bereits Universitäten und Zentren, in denen man Buddhismus studieren konnte.

Doch Bodhidharma gehörte zu einer aufkommenden Strömung in der die Meditationspraxis und die Verwirklichung von Buddhas Erkenntnis im Alltag mehr galt als das reine Studium seiner Worte oder das streng reglementierte Klosterleben. Diese Strömung verfolgte das Ziel, das fundamentale Buddha-Wesen durch eigenes Bemühen in sich selbst zu entdecken und im aktuelle Leben zu verwirklichen. Bodhidharma tat dies, in dem er der Aussenwelt den Rücken zukehrte, sich vor eine kahle Felswand setzte und seinen Geist völlig entleerte.

Von Bodhidharma wird gesagt, dass seiner Meditation darin bestand, eine Felsenwand oder sonst einen «Gegenstand» mit offenen Augen anzustarren, ohne auf irgendeinen auftauchenden Gedanken, ein Gefühl, oder auf ein inneres Bilder zu reagieren. Er tat dies solange, bis alle auftauchenden Phänomene völlig unbedeutend waren und sie zusammen mit der Wand schließlich ganz verschwanden. Zurück blieb ein Zustand, der als «reines Gewahrsein» beschrieben wird, sich in Wirklichkeit aber nicht in Worten ausdrücken oder übermitteln lässt. Er kann nur in der eigenen Erfahrung erkannt werden.

Meditation ≠ Selbstoptimierung

Was Bodhidharma und alle ihm folgenden Zen-Meister seither praktizieren, ist die sogenannte Übertragung der Buddhaweisheit von Herz zu Herz jenseits von Sprache und Schriften. Die «Übertragung der Buddha-Weisheit von Herz zu Herz jenseits von Sprache und Schriften.» wurde zum «Markenzeichen» oder der Definition der Chan-Schule des Buddhismus. Der Begriff Chan (jap. Zen) kommt vom Sanskritwort Dhyāna und steht für den Geisteszustand der Meditation. Um es wieder einmal zu sagen zur allgemeinen Kenntnisnahme: Beim Zen-Weg handelt es sich um eine in Indien und China von vielen Praktizierenden über viele Generationen erforschten und bewährten angewandte Geisteswissenschaft im wahrsten Sinne des Wortes.

Es geht also nicht um Selbstverbesserung, Selbstoptimierung oder sonst einen Wunschtraum unserer Person. Das, worauf es ankommt, ist die Entwicklung der uns allen angeborenen Erkenntnisfähigkeit, die uns unterscheiden lässt zwischen dem, was im Leben echt und wirklich ist und dem, was wir uns nur einbilden und fälschlicherweise für echt und wirklich halten.

Das «Entleeren des Geistes» fängt damit an, dass man aufhört, körperlich oder mental in der Weltgeschichte herumzurennen und stattdessen den Blick nach innen, ins eigene Gemüt lenkt. Dies ist gar nicht so einfach, wie man leicht feststellt, wenn man es ernsthaft probiert.

Denn unser Gemüt ist immer in einem mehr oder weniger chaotischen Zustand, nicht wahr? Gedanken fliegen wild durcheinander. Gefühle und Emotionen wechseln sich ab; es herrscht nie Ruhe. Immer ist etwas los. Das Dumme oder das Lästige daran ist, dass man deswegen nie wirklich bei der Sache sein kann, mit der man gerade beschäftigt ist oder wenn doch, dann nur beschränkt und mit limitierter Aufmerksamkeit. Allerdings merkt man das gar nicht, wenn man nicht irgendeinmal anfängt, in das eigene Gemüt hinein- zuschauen.

Meditation ≠ Entspannungstherapie

Was man merkt ist höchstens Stress oder Stimmungsschwankungen oder eine unerklärliche Traurigkeit oder Unzufriedenheit mit dem Leben. Man strengt sich dauernd an, glücklich zu sein oder umgekehrt, das Unglücklich-sein zu vermeiden, zu übertönen oder zu leugnen. Deshalb erhoffen sich viele Leute von der Zen-Meditation eine Art Heilmittel gegen den allgegenwärtigen Stress in ihrem geschäftigen, unermüdlich nach etwas strebenden Dasein. Sie meinen, Meditation sei wie ein Knopf, der alle Gedanken abschaltet

Doch echte Meditation hat nichts mit Abschalten zu tun. Wenn man abschalten will, geht man vielleicht besser auf eine Bergtour oder Jogging oder setzt sich in die Badewanne oder trinkt ein paar Gläser Wein oder sonst etwas, das den Geist etwas benebelt. Mit Meditation hat dies aber nichts zu tun. Echte Meditation ist eine geistige Aktivität, abgeschaltet wird dabei nur die Aktivität des Ichs oder, besser gesagt, die Aktivität des ichbezogenen Denkens.

Ehrlich sein mit sich selbst

Fast alle Anfänger – und nicht nur sie – meinen, man könne «Zen machen», wenn man das tut, was in Büchern steht, wie zum Beipiel Atem- und andere Übungen, so und so viele Minuten oder Stunden sitzen und möglichst viele Zen-Texte lesen. Das ist alles schön und gut, aber die Frustration ist vorprogrammiert. Denn man verwechselt die Rübe am Stecken mit der Wirklichkeit. Man schnappt immer nach einem Köder, kann ihn aber nie schnappen und wird niemals satt.

Anfänger – und nicht nur sie – meinen auch, Zen-Meditation heisse, nichts zu fühlen, nichts zu sehen, nichts zu hören und vor allem nichts zu denken. Sie erwarten von diesem hypnotischen Zustand von nichts-sehen, nichts-fühlen, nichts-denken das Glück, von dem der Buddha gesprochen hat.

Auch dieser gewaltige Irrtum kann nur durch eigene Erfahrung überwunden werden. Vorausgesetzt man ist bereit, vollkommen ehrlich zu sein mit sich selbst, diese Vorurteile aufzugeben und sich der eigenen Realität zu stellen. Sich der eigenen Realität zu stellen, es heisst zu akzeptieren, wenn etwas völlig anders ist, als man es gedacht hat. Und dann nicht gleich aufzugeben, sondern dabei zu bleiben.

Dies gesagt, sind wir nun bei uns selbst angelangt, beim heutigen Retreat. Denn, wenn eines sicher ist, dann ist es dies: Die Dinge sind nie das oder so, wie wir denken. Die Wirklichkeit ist immer anders, als wir denken. Unser Denken gibt uns nie die Wahrheit. Und trotzdem oder gerade deshalb ist es äusserst wichtig, dass wir unser Denken kennen.

Der Buddha sagte: Alles geschieht unter der Führung unseres Denkens. Wer mit unlauterem Geist redet oder handelt, den verfolgt das Unglück wie der Wagen dem Schwanz des Zugpferdes. Wer mit lauterem Geist redet oder handelt, dem folgt das Glück, wie ein Schatten, der einem niemals von der Seite weicht.»
– Dhammapada

«Gewöhnliches» Denken

Gemäss dieser Aussage Buddhas gibt es zwei Arten von Denken, ein unlauteres und ein lauteres. «Lauter» ist ein altes deutsches Wort mit Synonymen wie: klar, echt, gradlinig, pur.

Was der Buddha als unlauter bezeichnete, ist das gewohnheitsmässige, gewöhnliche Denken. Es ist die mentale Aktivität, die alle Sinneswahrnehmungen objektiviert, benennt, kategorisiert und bewertet. Dieses Denken basiert auf dem Ich als Subjekt. Das Subjekt betrachtet sich als von den Dingen der Welt getrennt und macht alle Dinge zu Objekten.

Es stellt sich vielleicht jemand die Frage: «Warum soll mein gewöhnliches Denken unlauter sein? Es ist ja nicht so, dass ich bewusst lüge oder betrüge oder schlechte Absichten habe.» Es mag ja sein, dass man nicht bewusst lügt, betrügt oder trübe Absichten hat, aber das heisst noch lange nicht, dass man deshalb die Wahrheit sagt oder denkt.

Das «Unlautere» an unserem Denken liegt viel tiefer. Seine Wurzel ist das persönliche Ich. Im Ich-Standpunkt werden die Lebenserscheinungen zu Gegenständen; sie stehen «mir gegenüber» und werden von meinem persönlichen, bedingten Standpunkt aus beurteilt und behandelt. Das Ich-bedingte Denken wird zur Basis, zur Brille, die alle Wahrnehmungen trübt, verzerrt und quasi verunreinigt: «Ich denke, ich fühle, meine Gedanken, meine Gefühle, mein Leben … ich …. ich… ich… mein …mein…mein.» Da jeder Mensch seinen eigenen Standpunkt hat, führt dieses Denken unweigerlich zu Konflikten, Missverständnissen, Leiden und Schmerz. Das ist so sicher, wie der «Wagen dem Zugpferd folgt, an den er gebunden ist».

Gemäss Buddhas logisch aufgebauter Lehre kann man schließen: Wenn das unlautere Denken das vom Ich bedingte Denken ist, dann müsste das lautere Denken also ein Denken ohne Ich sein.

Aber gibt es so etwas überhaupt?…. Kann ich denken ohne ich? … Merkt ihr, wie sich unser gewöhnliches Denken in den Schwanz beisst? Natürlich kann ich nicht denken ohne ich, wenn ich es bin, der denkt!

Das Ende ist der Anfang

Nun stecken wir fest …. Oder etwa nicht? … Hier kommen wir nicht weiter. Von etwas, das nicht Ich ist, wissen wir nämlich rein gar nichts. Das ist das Ende unseres Lateins!

Bei diesem Ende des logischen Denkens fängt der Zen-Weg an. Nun betreten wir Neuland. Da ist eine Grenze, an der wir unser Denken, unser Ich, abgeben müssten, um völlig nackt das Land der Unwissenheit zu betreten. Das ist das unsichtbare Tor, von dem die Zen-Meister sagen, man könne es nur in der Meditation durchschreiten. Aber da es keine fassbare Wirklichkeit ist – oder sieht jemand ein wahrhaftiges Tor? – nennen sie es das «torlose Tor» (mumon; mu=kein;mon=Tor).

Die Erfahrung der Zen-Praktizierenden lehrt ganz allgemein: Um die Welt mit klarem Blick zu sehen und zu verstehen, muss man bis ans Ende des gewöhnlichen Denkens gehen und dann einen Schritt darüber hinaus. Dann kann sich das klare, «lautere» Denken, das ein von keiner Ich-Trübungen verzerrt ist offenbaren. Für uns Ich-Menschen handelt es sich dabei gewissermassen um ein Nicht-Denken. Es ist ein Denken, das kein gewöhnliches Denken ist und das man nicht mit den Mitteln des Denkens erfassen kann.

Das ist die gute Nachricht: Es ist möglich, die Wirklichkeit jenseits von Worten in unserem Dasein zu erfahren und sogar in ihr zu leben. Denn das, was so mysteriös tönt oder so schwierig zu tun scheint, ist viel näher und aktueller als wir denken. Die ganze Natur, alle Lebewesen, einschliesslich wir selbst, leben andauernd in dieser Wirklichkeit. Es ist das, was wir im Grunde sind. Wir sind ich-lose Wesen! Unser wahres Wesen hat kein Ich. Aber es lebt!

In unserem gegenwärtigen Ich-Zustand erfahren wir dies vermutlich nur punktuell, ab und zu. Aber ist das nicht schon der Beweis, das es diesen Nicht-Ich-Zustand gibt?

Erfahren = Handeln = Erfahren

Die zweite gute Nachricht ist die: Es ist nicht nur theoretisch möglich, es gibt auch einen gehbaren Weg, der uns in den ich-losen oder ich-freien Zustand führen kann. Der Buddha nannte ihn den Edlen Achtfachen Pfad. Einer der acht Aspekte ist rechte Meditation. Rechte Meditation ist verbunden mit rechter Sicht. Rechte Sicht ist verbunden mit rechtem Verstehen. Rechtes Verstehen ist verbunden mit rechter Meditation. Rechte Meditation ist verbunden mit rechtem Bemühen. Alle diese Aspekte sind verbunden mit rechter Motivation und rechtem Lebenswandel. Damit man auf diesem Weg vorankommt braucht es rechte Achtsamkeit. Rechte Achtsamkeit ist die Voraussetzung für rechtes Verstehen und rechtes Tun.

Man kann es sich also nicht leisten, einfach zu warten, zu hoffen und so weiterzumachen, wie gewohnt, wenn man nicht bis in alle Ewigkeit das immer gleiche Unglück mit sich ziehen will, wie das Pferd den Wagen.

In Bezug auf einen Retreat brauchen wir vor allem Rechte Motivation, Rechtes Bemühen und rechte Meditation. Rechte Meditation basiert auf Rechter Achtsamkeit und Rechtem Tun.

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Das heisst das konkret:

Rechtes Tun beinhaltet eine aufrechte, entspannte Körperhaltung und eine freundliche inneren Gesinnung ohne Ja und Nein.

Rechte Motivation und Rechtes Bemühen beinhalten den klaren Vorsatz, sich nicht von den üblichen trivialen Dingen und Gewohnheiten beherrschen zu lassen, wie den momentanen Sorgen, Ängsten, Stimmungen oder was auch immer man sonst für wichtig hält. All diesem wende man den Rücken zu! Nichts, aber auch gar nichts ist wichtig!

Rechte Meditation beinhaltet das Hineinschauen in den eigenen Geist, ohne an irgendeinem Inhalt, irgendeinem Gedanken, Bild, Gefühl usw. hängen-zubleiben. Kein Seufzen, kein Schwanken, kein Wenn und Aber … fest verankert, aufrecht und wach, mit passivem Gewahrsein sitzen, horchen, schauen, was sich auf der virtuellen Wand abspielt, bis es einen nicht mehr interessiert und …. hier machen Worte keinen Sinn mehr!

Dahrmavortrag, vom 19. Oktober 2019


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