Bekleidungen des Geistes

Bekleidungen des Geistes – „Ehrenwerte Brüder, mein Buddha-Dharma wurde ununterbrochen weitergegeben. Die Meister Ma-yu (jap. Mayoku), Tan-hsia (jap. Tanka), Matsu Tao-i, (jap. Baso Doitsu) Lu-shan (jap. Rosan), Shih-kung (jap. Sekkyo) trugen in einer direkten Übertragungslinie zu seiner Verbreitung in der Welt bei. Doch kaum jemand glaubt daran und viele schmähen es.

Meister Ma-tsu Tao-i verwirklichte das Zen rein und unverändert. Aber keiner seiner drei- oder fünfhundert Jünger verstand ihn. Meister Lu-shans Zen war spontan und authentisch. Egal ob seine Handlung den Schülern entgegenkam oder widersprach, sie konnten seine unerschöpfliche Ausdruckskraft nicht erfassen und blieben verdutzt zurück.

Meister Tan-hsia spielte mit der Perle der Weisheit; mal zeigte er sie, mal verbarg er sie. Aber alle, die vor ihn traten, wurden gerügt. Meister Ma-yus Wirken war bitter wie bittere Medizin. Niemand konnte ihm nahe kommen. Meister Shih-kung suchte nach einem echten Menschen, indem er einen Pfeil auf ihn richtete; alle fürchteten sich vor ihm.

Was mein eigenes Wirken heutzutage anbetrifft, so ist es schöpferisch und zerstörerisch zugleich, ein Spiel mit den geistigen Wandlungen. Ich kann in alle möglichen Umstände eintreten, bleibe aber immer mit mir im Frieden und unbekümmert. So können mir die Umstände nichts anhaben.“

Bekleidungen des Geistes

Mit der Nennung von einigen prominenten Zen-Meistern, die ihm vorangingen, bekräftigt Lin-chi die direkte Übertragungslinie seiner Zen-Schule. Die heute existierenden Zen-Schulen sehen ihren Ursprung alle im Sechsten Patriarchen Hui-neng (638-713), dem ersten Vertreter der sogenannten Südlichen Schule.

(Dieses Geschichte wird im Buch Das andere Ufers ist hier beschreiben.) Lin-chis Lehrer was Huang-po. Nach siebenundzwanzig Generationen in China kam die Lehre nach Japan und wurde von einem Flammenträger zum anderen weitergegeben. Eine dieser Flammen kam bis nach Amerika. Die erwähnte Zen-Übertragungslinie ist dargestellt im Buch Das andere Ufer ist hier, Anm. d. Hrsg.)

„Meister Ma-tsu Tao-i verwirklichte das Zen rein und unverändert. Aber keiner seiner drei- oder fünf- hundert Jünger verstand ihn.“ Ma-tsu (jap. Baso Doitsu, 709-788) gilt als einer der grössten Meister in der ganzen Zen-Geschichte. Unter ihm sollen dreihundertdreissig Anhänger vollkommene Klarsicht erlangt haben. Aber er wurde erst mit 80 Jahren als Meister aktiv. Huai-hei (jap. Hyakujō) kam schon als kleines Kind in seine Obhut.

Einmal war er mit Ma-tsu unterwegs als sich einige Gänse aus einem Feld aufgescheucht in die Luft erhoben. Ma-tsu fragte Huai-hei: „Was ist das?“ – Aufgepasst, das ist eine gefährliche Frage. – „Wilde Gänse“ antwortete Huai-hei. Darauf sagte Ma-tsu: „Wo sind sie jetzt?“ Huai-hei überlegte … „Sie sind weggeflogen.“ Da packte Ma-tsu Huai-hei an der Nase und drückte zu. Huai-hei schrie auf vor Schmerz. (Sokei-an macht ein Geräusch wie eine schnatternde Gans). Darauf sagte Ma-tsu: „Wie kannst du behaupten, sie seien weggeflogen!“ In diesem Augenblick – Ah – ging Huai-hei ein Licht auf!

Bekleidungen des Geistes

Wenn Zen nicht im alltäglichen Leben realisiert wird, dann macht es keinen Sinn, sich damit zu befassen. Die Verwirklichung ist äusserst wichtig, sie ist das tägliche Leben. Ein echter Zen-Schüler ist immer darauf aus, die aktuelle Saite des Leben zum Klingen zu bringen, egal unter welchen Umständen.

„Meister Lu-shans Zen war spontan und authentisch. Egal ob seine Handlung den Schülern entgegenkam oder widersprach, sie konnten seine unerschöpfliche Ausdruckskraft nicht erfassen und blieben verdutzt zurück.“ Auch Meister Lu-shan ((jap. Rosan) war ein berühmter Schüler von Ma-tsu. Über deren erste Begegnung gibt es folgende Geschichte:

Lu-shan befand sich eines Tages auf der Jagd und verfolgte einen Hirsch, dabei kam er am Mönch Ma-tsu vorbei, der unter einem Baum meditierte. Der Jäger fragte den Mönch, ob er einen Hirsch in dieser Richtung habe rennen sehen. „Wer bist du?“, fragte Ma-tsu. Nachdem er die Antwort gehört hatte, sagte er: „Ah, du bist ein Jäger. Dann lass mich fragen: Wie viele Hirsche kannst du mit einem Pfeil erlegen?“ Lu-shan dachte wohl: „Welch dumme Frage.“ und antwortete: „Mit jedem Pfeil kann ich einen Hirsch erlegen.“ „Und du nennst dich ein Jäger?“ lautete die unerwartete Bemerkung von Ma-tsu. Darauf fragte Lu-shan: „Und du – wie viele kannst du mit einem Pfeil erlegen?“ „Eine ganze Menge“, antwortete Ma-tsu.

Lu-shan war nicht dumm. Er gab die Jagd auf und wurde ein Schüler von Ma-tsu. Aber er hielt Pfeil und Bogen für seine eigenen Schüler bereit, indem er auf jeden, der um Unterweisung bat, zielte. Alle Schüler bekamen Angst und rannten weg. Nur Shih-kung (Sekkyo) kam zurück mit einem eigenen Bogen und Pfeil. Als er die Sehne spannte und auf Lu-shan zielte, entblösste dieser seine Brust und sagte: „Ist das ein Pfeil der tötet, oder ein Pfeil der Leben schenkt?“ Shih-kung zerbrach seinen Bogen und warf ihn weg mit den Worten: „Heute habe ich die eine Hälfte eines dummen Heiligen erlegt.“ Das war die Dharma-Übertragung von Lu-shan auf Shih-kung.

Bekleidungen des Geistes

So ein Geist kann mit keinem Mass gemessen werden. Über etwas nachzudenken, braucht viel Zeit, und jede Frage muss viele mentale Kategorien durchlaufen. Erst wenn man damit aufhört und „dumm“ wird, ist man ein guter Zen-Schüler.

„Meister Tan-hsia spielte mit der Perle der Weisheit; mal zeigte er sie, mal verbarg er sie. Aber alle, die vor ihn traten, wurden gerügt.“ Niemand hielt es lange aus bei ihm. Wurde ihm eine Frage gestellt, lachte er und sagte sinngemäss: „Das ist eine törichte Frage. Warum fragst du mich? Zen ist Geist und du hast Geist – also lass mich in Ruhe!“

Die „Perle der Weisheit‟ ist Prajñā, ein Wort, das nur schlecht in eine westliche Sprache übersetzt werden kann. Es ist dieses gegenwärtige Bewusstsein; es ist nicht das Sinnesbewusstsein, sondern das uns allen innewohnende uiversale Bewusstsein. In seinem universalen Licht sieht man die Erscheinung und die Wirklichkeit gleichzeitig – das Sein, das nicht mit den fünf Sinnen verbunden ist.

„Meister Ma-yus Wirken war bitter wie bittere Medizin. Niemand konnte ihm nahe kommen.“ Kam jemand zu Ma-yu, pflegte er zu fragen: „Woher kommst du?“ Eine schreckliche Frage! Die Meisten getrauten sich nicht zu antworten. Dann schalt sie der Meister: „Blinder Kerl! Sobald ich dich etwas frage, meinst du, es handle sich um Buddhismus. Geh weg! Du bist wie ein junger Bambus, der sich mit einer uralten Tanne messen will.“ (Damit meinte er nicht sich selbst, sondern die ganze Existenz.)

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„Meister Shih-kung suchte nach einem echten Menschen, indem er einen Pfeil auf ihn richtete …“ Es gibt einen Pfeil, der tötet, und einen, der Leben schenkt. Das ganze Universum hat diese zwei Funktionen.

„Was mein eigenes Wirken heutzutage anbetrifft, so ist es schöpferisch und zerstörerisch zugleich, ein Spiel mit den geistigen Wandlungen.“ Lin-chi gibt hier ein bisschen Einblick in seine Haltung gegenüber seinen Schülern; manchmal nimmt er ihnen alle Vorstellungen rigoros weg, manchmal spielt er damit.

Die spirituellen Wandlungen sind seine eigenen – er kann alle möglichen Bewusstseinszustände verkörpern – mal agiert er wie ein Materialist, mal wie ein Idealist. Das ist die Freiheit der Verwirklichung! So können ihm die wechselnden Umstände nichts anhaben.

„Wenn Leute auf der Suche nach dem Dharma hierher kommen, heisse ich sie willkommen, wobei ich sofort ihren Geisteszustand erkenne. Sie aber erkennen mich nicht. Ich trage absichtlich unterschiedliche Kutten. Die Schüler machen ihre eigenen Interpretation und lassen sich von meinen Worten und Aussagen betören.

Bekleidungen des Geistes

Wie peinlich! Blinde Narren! Sie sehen nur das Gewand und achten darauf, ob es gelb, rot oder weiss ist. Wenn ich das Gewand ablege und in den reinen Zustand eintrete, dann schauen sie mich an und sind voller Bewunderung und Verlangen. Gebe ich auch das auf, dann sind sie verwirrt und rennen wild umher mit der Frage, wo meine Kutte sei. Dann frage ich sie, ob sie den kennen, der die Kutten wechselt, worauf sie sich plötzlich drehen und mich erkennen.

Liebe Brüder, bewundert nicht die Gewänder. Ein Gewand kann sich nicht bewegen, es ist der Mensch, der die Gewänder trägt. Es gibt das Gewand der Reinheit, das Gewand des Nicht-Seins, das Gewand der Weisheit (Bodhi), das Nirvana-Gewand, das Patriarchen-Gewand und das Buddha-Gewand. Liebe Brüder, alle Begriffe und Worte sind nichts als unterschiedliche Gewänder. Die Luft aus eurem Unterleib (wörtl. Ozean der Vitalkraft), bewegt eure Zähne und Zunge und erzeugt Worte. Seid euch im Klaren, dass dies bloss phantastische Gebilde sind. Ihr sollt wissen:

Das Werk der Sprache zeigt sich aussen,
Das Werk Geistes manifestiert sich innen
.

Geistige Aktivität äussert sich durch Gedanken, deshalb sind diese nur Bekleidung. Wenn ihr die Kutte, die ihr euch überstülpt, für wahres Verstehen haltet, dann mögt ihr durch viele Zeitalter wandern und könnt trotzdem bloss die Kleider verstehen, und müsst Leben und Tod in den drei Welten erleiden. Besser ist es, in Frieden zu sein und nichts zu tun.

Ich begegne (ihm) dauernd, aber kenne (ihn) nicht. Ich rede (mit ihm), kenne aber den Namen nicht.“

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„Wenn Leute auf der Suche nach dem Dharma hierher kommen, heisse ich sie willkommen, wobei ich sofort ihren Geisteszustand erkenne. Sie aber erkennen mich nicht.“ Der Meister versteht den Zustand des Schülers, aber der Schüler kann den Meister nicht sehen.

„Ich trage absichtlich unterschiedliche Kutten. Die Schüler machen ihre eigenen Interpretation und lassen sich von meinen Worten und Aussagen betören.“ „Kutten“ sind mentale Haltungen. Wenn Lin-chi einem Schüler zum Beispiel sagt, er sollte „Einheit“ verstehen, dann reitet dieser auf diesem Satz herum und formt Gedanken über Gedanken dazu.

„Blinde Narren! Sie sehen nur das Gewand und achten darauf, ob es gelb, rot oder weiss ist. “ Jedes Gewand steht für einen unterschiedlichen Bewusstseinszustand. Buddhistisch gesprochen trägt Lin-chi die Kutten von Dharmakāya, Sambhogakāya, Nirmānakāya, Prajñā und soweiter.

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Jeder Mönch und jeder religiöse Mensch legt ein Gewand über seinen Köper der Wirklichkeit. Man sieht das an seiner Haltung – er manifestiert irgendeine Einstellung: Barmherzigkeit, Erhabenheit oder irgend etwas anderes. Doch diese Posen sind nicht die Essenz der Religion. Blinden Narren haben nichts zu geben. Sie sehen nur das, was jeder andere Mensch auch sieht. Ihr Blick stösst nicht zur Wirklichkeit durch, sondern bleibt an der Oberfläche der Erscheinungen hängen.

Ihr sollt den wahren Körper, der die Kutten trägt, finden. Wenn man den Körper in den Kutten wirklich erfasst, dann gibt es keinen Buddhismus mehr. Und keine Notwendigkeit, Zen zu studieren! Aber wenn ein Schüler irgend etwas in der Hand zu halten glaubt – „Ah, Das ist ES“ – dann ist das eine Bekleidung, nicht der wahre Körper. Im Zen wird jedes falsches Gehabe gerügt. Es gilt ununterbrochen achtsam und sorgfältig zu sein., damit man nicht an den Äusserlichkeiten hängen bleibt.

„Gebe ich auch das auf, dann sind sie verwirrt und rennen wild umher mit der Frage, wo meine Kutte sei. “ Lin-chi legt sämtliche Bekleidungen weg und tritt in den reinen Zustand der Leere (Dharmakāya) ein. Dann sagen alle: „Ah, Lin-chi ist ein Heiliger. Er ist im transzendentalen Körper!“ Dann legt Lin-chi diesen absoluten Bewusstseinszustand ab und alle sagen: „Ah, Lin-chi ist nackt“.

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Es ist leicht, das Gewand der Leere anzuziehen, doch wenn man es auszieht und den wahren Körper zeigt, wie kann man diesen sehen?

Es ist möglich, sich in den Reinheitszustand zu versetzen durch Konzentration auf das eigene Selbst, ohne das Ego aufzugeben. Aber das ist nicht wirklich das, worauf Rinzai und der Buddhismus hinweist. Man muss das Ego beim Eintritt in den Zustand der Leere abwerfen und es nicht wieder aufgreifen, wenn man herauskommt. Nur das ist wahres Sein. Im Egolosen Zustand sieht man alle wechselhaften Lebenserscheinungen und passt sich ihnen spontan an. Wenn man vorgefasste Meinungen mit sich trägt, kann man sich den Umständen nicht anpassen. Lin-chi lebt in dieser nackten Haltung und trägt kein permanentes Gewand.

„Dann frage ich sie, ob sie den kennen, der die Kutten wechselt, worauf sie sich plötzlich drehen und mich erkennen.“ Der Eine, der die Kleider anzieht, ist nicht Mann oder Frau und nicht Lin-chi. Du musst ihn mit deinem nackten Auge sehen, und musst ihn mit deiner wirklichen Hand berühren!

„Liebe Brüder, bewundert nicht die Gewänder.“ Lin-chi fordert seine Zuhörer auf, die Gewänder nicht mit dem wahren Menschen zu verwechseln. Der wahre Mensch vereinigt alle Aspekte des Seins in sich und ist frei, diese den Umständen gemäss zu manifestieren. In der Meditation – im sogenannten Samadhi – manifestiert sich das Selbst als das, was es ist: ein Mikrokosmos des Universums. Das Selbst ist der wahre Mensch, der vollkommen im Universum absorbiert ist. Da gibt es keinen Platz für Vorstellungen und kein persönliches Ich. Aber die westlichen Zen-Schüler kennen diesen Zustand kaum.

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Eher weiss ein Athlet darum, denn seine Konzentration ist so, dass er sich von der universalen Kraft treiben lässt. Die Konzentration der westlichen Meditierenden reicht gewöhnlich nicht so weit. Sie treten vor ihren Lehrer voller Ideen und persönlichen Absichten, statt in der Sammlung im Zentrum. Die echte Manifestation der Wahrheit geschieht mit dem Herzen, dem Körper und dem ganzen Universum, alle drei müssen im Ausdruck zusammenwirken. Erst danach, am Ende, mag sich noch ein Wort als letzter Schliff einstellen. Das gesprochenes Wort sollte, wenn überhaupt, das Letzte sein, ein Schlusspunkt.

„Eine Kutte kann den Menschen, der sie trägt, nicht verändern.“ Wir können mit Hilfe unseres Gehirns logische Strukturen (Kutten) schaffen, z.B. Monismus, Dualismus, Pluralismus, aber diese haben nichts zu tun mit der Wirklichkeit. Man kann die Wirklichkeit aus vielen Standpunkten betrachten, aber sie selbst ist immer gleich. Alles andere ist mentale Spielerei, intellektuelles Vergnügen ohne Wert!

„Es gibt das Gewand der Reinheit, das Gewand des Nicht-Seins, das Gewand der Weisheit (Bodhi), das Nirvana-Gewand, das Patriarchen-Gewand und das Buddha-Gewand.“ Das Gewand der Reinheit steht für den absoluten Geisteszustand (Dharmakāya); dieser bringt alle Lebenserscheinungen hervor: Katzen, Hunde, Menschen. In einer Autofabrik produziert ein-und-dieselbe Energie alle Einzelteile und im Universum produziert Dharmakāya alle Lebensformen. Dharmakāya ist die unsichtbare Kraft und Nirmānakāya ist ihre sichtbare Manifestation. Nicht-Sein ist der Zustand, in dem sich nichts manifestiert – alles existiert als Essenz, aber nicht als Erscheinung. Was wir im Zen „Buddha-Gewand“ und „Bodhidharma-Gewand“ nennen, sind menschgewordene Manifestationen des reinen Geistes. Aber der wahre Mensch ist nicht identisch mit diesen Verkörperungen, Begriffen und Kategorien.

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„Die Luft aus eurem Unterleib (wörtl. Ozean der Vitalkraft), bewegt eure Zähne und Zunge und erzeugt Worte.“ Das Karma der Sprache hat Wirkung. Philosophie ist ein Geschöpf der Sprache. Sie stellt nichts anderes dar, als ein Schrank voller Kleider. Aber Philosophie führt nur zum Tor der Wirklichkeit; dort muss man die Philosophie hinter sich lassen und ins Zen eintreten.

„Geistige Aktivität äussert sich durch Gedanken …“ Geistesaktivität manifestiert sich in Verbindung mit der Materie, genau so, wie Feuer zusammen mit Holz oder Kohle existiert. Ohne Materie gibt es kein Feuer. Wir können keine Gedanken erzeugen ohne die Erfahrung unserer Sinnes- und Körperwahrnehmung. Diese Gedanken, die vom Aussen hineingeschleppt werden, nennen wir Geistesinhalte. Sie sind weder rein geistiger noch rein materieller Natur. Wir bezeichnen sie als halb-materiell, weil sie in unserem Bewusstsein in einer Form existieren, die nicht dreidimensional ist.

Trotzdem haben wir es den Gedanken zu verdanken, dass wir die Aktivität unseres Geistes erkennen und indirekt beweisen können. Aber wenn man diesen Geistesinhalten zu viel Bedeutung beimisst und für die Wirklichkeit selber hält, dann sind sie nichts anderes als die Kleider unseres Körpers. Aber das, was die Kleider benutzt, ist nicht das Ego, nicht du selbst. Es manifestiert sich aus sich selbst heraus in dir. Würde sich Geist nicht verkörpern – in einen Vogel, ein Säugetier, einen Menschen – und nur im absoluten, essentiellen Zustand weilen, dann gäbt es keine Existenzformen zu vergleichen und auch kein Wissen um die eigene Existenz.

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„Wenn ihr die Kutte, die ihr euch überstülpt, für wahres Verstehen haltet, dann mögt ihr durch viele Zeitalter wandern und könnt trotzdem bloss die Kleider verstehen, und müsst Leben und Tod in den drei Welten erleiden.“ Wer sich an irgend einen Traum klammert, durchwandert alle Stadien der Existenz, denn Kleider wandern durch viele Zeitalter, wobei sich Farbe und Textur verändern. Wer sich also an seine Gedankenkleider hält, muss Vieles erleiden und kann nie sein wahres Wesen erkennen. Buddha lehrte, wie man sich selbst von dieser Wanderung befreien kann.

„Ich begegne (ihm) dauernd, aber kenne (es) nicht. Ich rede (mit ihm), kenne aber den Namen nicht.“ Man begegnet dem Namenlosen tatsächlich in jedem Augenblick, Tag und Nacht. Selbst im bodenlosen Tiefschlaf ist man mit ihm. Weil die Menschen es nicht kennen, geben sie ihm verschiedene Namen, z.B. „Gott“ oder „Allah“, und denken, es existiere irgendwo im Himmel. Sie studieren diese oder jene Religion, diese oder jene Philosophie, aber damit betätigen sie sich nur als Schneider ihrer Kleider. Lin-chi hält dies für ein grosses Missverständnis. Er sagt weiter:

„Die heutigen Zen-Schüler kommen nirgendwohin, weil sie ihr Wissen auf den Begriffen aufbauen. Sie schreiben die Worte eines toten alten Mannes in ein dickes Buch, wickeln dieses in vier oder fünf Lagen Stoff und erlauben niemandem, es zu sehen. Sie erklären es für das Mysterium und verehren es inbrünstig. Das ist ein grosser Fehler. Blinde Narren! Welchen Saft wollt ihr aus diesem trockenen Knochen gewinnen?

Dann gibt es jene, die nicht zwischen gut und schlecht unterscheiden können, aber über Buddhas Lehre spekulieren und willkürliche Interpretationen in Umlauf bringen. Das ist, wie wenn sie einen Klumpen Mist von Mund zu Mund weitergeben. Sie spielen Wortspiele und vergeuden damit ihr Leben. Sie sagen, sie hätten alles aufgegeben, aber wenn man sie etwas über das wahre Buddha-Dharma fragt, können sie nicht antworten. Ihre Augen sind leer wie schwarze Lackperlen und ihre Mundwinkel weisen nach unten wie eine schwer beladene Tragstange. Selbst wenn Maitreya in der Welt erschiene, sie würden ihn nicht sehen und weiterhin von einer Welt in die andere wandern und Höllenqualen erleiden.“

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Alle Buddhisten sind, solange sie den sogenannten Buddhismus studieren, in Hilfsmitteln gefangen und vergessen das Ziel. Hilfsmittel sind notwendig, um ein Ziel zu erreichen, aber das Ziel existiert vor dem Hilfsmittel, d.h. bevor man mit einer Praxis anfängt, ist das Wahre schon vorhanden. Jeder hat Anteil an der Wahrheit, deshalb: Bevor man nach aussen tritt, muss man zuerst nach innen zurückkehren und sein Selbst finden.

Wenn ich frage, was eine Kirschblüte ist, erklärt ihr mir die Farbe, die Anzahl Blütenblätter, den Duft usw. Solange ich selbst die Kirschblüte nicht sehe, sind alle diese Informationen nutzlos. Bringt ihr mir hingegen eine Blüte und zeigt sie mir direkt, dann – oh – verstehe ich sofort. Genau so ist es, wenn ich euch nach eurem Geist frage, ihr versucht zu erklären. Aber braucht das Auge eine Erklärung? Im Zen müsst ihr es zeigen, egal was es ist.

„Die heutigen Zen-Schüler kommen nirgendwohin, weil sie ihr Wissen auf den Begriffen aufbauen. Sie schreiben die Worte eines toten alten Mannes in ein dickes Buch…“ Lin-chi ist sehr sarkastisch und schelmisch. Der „tote alte Mann“ bedeutet Shakyamuni Buddha oder die Zen-Meister und ihre Lehren.

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„ ..wickeln dieses in vier oder fünf Lagen Stoff und erlauben niemandem, es zu sehen.“ In China und Japan gab es Mönche, die gegen Bezahlung Worte auf ein Papier schrieben; die Käufer brachten dieses nach Hause, wickelten es in Brokat und verehrten es wie ein Heiligtum.

„Sie erklärten es für das Mysterium und verehren es inbrünstig.“ Ihr sollt das achten, was ihr in euch fühlt (Sokei-an schlägt sich auf die Brust), und dessen Wirken ihr in euch selbst erkennen könnt. Dieses Eine soll verehrt werden und nicht die sichtbare Gestalt.

Zen repräsentiert die ursprüngliche Haltung des Buddha in Bezug auf die Wahrheit. Aber die eigentliche Lehre des Buddha steht im Herzen jedes Menschen auf der ganzen Welt. Deshalb sollt ihr eure eigene Seele, euren eigenen Geist beobachten. Das ist der direkte Weg zur Wahrheit. So jedenfalls sieht man es im Zen-Buddhismus. Wir glauben nicht an eine individuelle, von einem Schöpfer geschaffene Seele. Seele ist ein Aspekt des Geistes. Meine Seele gehört nicht mir; deine Seele gehört nicht dir!

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„Blinde Narren!“ Es sind die abergläubischen Mönche und Sitten, die Lin-chi hier verspottet. Und dann wendet er sich auch gegen diejenigen, die solche Lehren verbreiten:

„Dann gibt es jene, die nicht zwischen gut und schlecht unterscheiden können, aber über Buddhas Lehre spekulieren und willkürliche Interpretationen in Umlauf bringen.“ Wer keine eigene, echte Meditationserfahrung hat, kann sich nicht anmassen, andere zu belehren. Ein Papagei kann vielleicht „Tee“ rufen, aber wenn er Tee bekommt, weiss er nicht, was es ist. Die eigene Verwirklichung durch Körper und Geist ist die Grundlage des Zen-Buddhismus. Manche nennen dies „Glauben“. Aber was ist Glaube?

Nachdem dem Sechsten Patriarchen, Hui-neng, die Flamme des Dharma vom Fünften Patriarchen übergeben worden war, musste er das Kloster verlassen, weil es innerhalb der Mönchsgemeinschaft grossen Widerstand gab. (Die Mönche hatten damit gerechnet, dass ihr langjähriger Hauptmönch Shen-hsiu Sechster Patriarch würde.) Hui-neng wurde verfolgt und versteckte sich lange in den Wäldern. Eines Tages aber hörte er seine Verfolger ganz in der Nähe. Da legte er die Kutte und die Almosenschale, die ihm vom Fünften Patriarchen als Zeichen der authentischen Übertragung gegeben wurden, auf einen grossen Stein und versteckte sich hinter einem Baum.

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Der Anführer der Verfolger, Hui-ming, versuchte, die Schale und die Kutte an sich zu nehmen, aber er konnte es nicht tun. Hui-neng trat hervor und sagte: „Diese Schale und diese Kutte sind das Symbol meines Glaubens. Du kannst sie haben, wenn es dir gelingt, sie vom Stein zu heben.“ Ming versuchte es wieder, aber sie waren so schwer wie ein Berg. Da realisierte er, dass sie tatsächlich dem Sechsten Patriarchen gehörten. (Die ganze Natur unterstützte ihn.) Heute benutzen wir diese Anekdote als Koan: Was ist Glaube?

„Liebe Brüder, was sucht ihr so rastlos und rennt umher, bis eure Fusssohlen flach werden? Da ist kein Buddha zu suchen, kein Weg zu verfolgen, kein Dharma zu erlangen.

Wenn du einen Buddha in äusseren Formen suchst,
wird das, was du findest, dir nicht ähnlich sehen.
Wenn du deine Urnatur kennst,
ist sie weder innerhalb noch getrennt von deiner Wahrnehmung.

Der wahre Buddha hat keine Form; der wahre Weg hat keinen Körper; das wahre Dharma hat keine Merkmale. Diese drei sind ein und dasselbe. Wer dies nicht erfassen kann, wird ‚Wesen mit unerschöpflichem Karma-Bewusstsein‘ genannt.“

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Die Füsse werden flach, weil die Suchenden in der verschwommenen Sphäre ihrer Gedanken und in den Flammen der Emotionen umherstolpern. Sie erleiden den Höhepunkt des Leidens, während sie nach der Wahrheit suchend von Kloster zu Kloster und von Lehrer zu Lehrer wandern. Auf den Gipfeln der Emotionen gibt es nur Zweifel und Konflikt; das ist nicht das Tor zum Buddhismus. Buddhismus ist in dir selbst.

Die Gipfel der Emotionen sind messerscharf. Wenn der Geist in Leidenschaft oder Zorn lebt, hat jeder dieser Gipfel die Kraft, ihn zu zerstören. Zorn, Ehrgeiz, Neid, Hass usw. können jederzeit töten. Emotionen gründen auf starken Kräften der Natur selbst. Unser Leben ist von der Natur abhängig. Die Natur belebt uns und gibt uns Nahrung. Aber wenn wir nicht wissen, wie wir uns selbst beherrschen können, dann beherrscht uns die Natur! Jede Kraft in uns hat die Potenz, uns zu töten.

Deshalb: Auf den Gipfeln der Emotionen umherzurennen führt zu nichts. Aus diesem Grund ist Meditation so wichtig; sie ermöglicht es uns, still zu sein. Stille ist das Tor zur Befreiung. Aber Viele scheitern hier wegen ihres Verlangens nach allem Möglichen, wegen ihrer Zweifel und ihres Argumentierens und logischen Denkens. Sie können keine Stille bewahren. i

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„Da ist kein Buddha zu suchen, kein Weg zu verfolgen, kein Dharma zu erlangen.“ Das ist der berühmte Hammer, mit dem Lin-chi alle Hypothesen und Erfindungen zerstört. Auch der Buddha zerstörte alle Religionen und seine philosophischen Fragen; er sass in Meditation unter dem Bodhibaum und trat ins Samadhi ein. Um in diesen Zustand zu kommen, muss man sich von allen mentalen Aktivitäten restlos trennen und sein wie ein gutes Baby.

Es gibt nichts Besseres als einen Geist im Zustand echter, ehrlicher Offenheit. Dann gibt es keinen Buddha zu suchen. Der Geist selbst ist Buddha. Aber er existiert nicht im Gehirn, Herzen oder Körper. Wenn der menschliche Geist dann die menschliche Sprache erschafft, dann nennt er natürlich alle Körperteile und alle äusseren Objekte „Geist“. Das Feuer, das am Himmel brennt, ist auch Geist – ebenso das silberne Mondlicht.

„Wenn du deine Urnatur kennst, ist sie weder innerhalb noch getrennt von deiner Wahrnehmung.“ Was ist diese Wahrnehmung? Kann man sein eigenes Auge sehen? Wenn man das eigene labendige Wesen nicht sehen oder kontrollieren kann, wie beobachtet man es dann? Es ist wie bei einem Vogel, wenn man zu viel Aufmerksamkeit auf ihn richtet, singt er nicht. Wenn man ihn nicht zu stark beobachtet, dann singt er. Wenn ich euch frage: „Wo ist dein Wesen gerade jetzt?“, wie antwortet ihr?

„Wer dies nicht erfassen kann, wird ‚Wesen mit unerschöpflichem Karma-Bewusstsein‘ genannt.“ Ein Wesen mit unerschöpflichem Karma-Bewusstsein ist eine schlafende Seele, die durch brennenden Berge wandert und keine Ahnung hat, wer oder wo sie ist.

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