Sommerzeit

summertime

Einleitung

Sommerzeit und das Leben ist angenehm.” …so heißt es jedenfalls. In diesem Rundbrief wandern wir durch einige Sommertage. Wir hoffen, dass Ihr “Leben problemlos ist”, in dieser Sommerzeit.

Der Spielplatz

Neulich spazierte ich durch einen Park und kam am Spielplatz vorbei, auf dem es vor lauter Knirpsen aller Arten wimmelte – “in Beziehung”.

Da plötzlich erschallte wie ein Donner aus heiterem Himmel, jener alte, universell verstandene, nervtötende, herzzerreissende Schrei, den nur ein Knirps erzeugt, wenn es von einem anderen Knirps geschlagen wurde. Diesem Schrei folgte ein zweiter, für den Fall, dass die richtigen Leute die erste Darbietung nicht gehört haben könnten. Die Mami sprang wie von einer Wespe gestochen auf; gerade rechtzeitig, um den Körper ihres verletzten Knirpses auf der rasenden Flucht zu packen. Dort, dicht an Mami geschmiegt, von Kopf bis Fuss zitternd, das Gesicht zerknüllt wie eine getrocknete Tomate mit der entsprechenden Farbe, traf der verletzte Knirps ein hohes „C“, das Pavarotti vor Neid erblassen liesse und begann die „Knirpsen-Litanei“ zu heulen:

„MAMI, ER HAT MICH GESCHLAGEN! Aber es war nicht meine Schuld;
MAMI ER HAT MICH GESCHLAGEN! Ich habe bloss gespielt,

Mami, ER HAT MICH GESCHLAGEN! und
Mami – lies zwischen den Zeilen – was zum Teufel wirst du dagegen unternehmen?“

Mami sagt das Richtige und tut das Richtige und der Knirps fasst sich wieder und streift um den Sandkasten auf der Suche nach jemandem oder etwas, das es schlagen kann, ohne zurückgeschlagen zu werden.

Déjà vecu?
Darauf kannst du wetten!

Eine andere Zeit, ein anderer Ort, ein anderes Gesicht, eine andere Sprache, aber die gleiche Szene. Genau gleich gespielt. Derselbe Schmerz, dieselbe Qual und derselbe Zorn eingebrannt in die Gedächtniszellen wie ein Brandzeichen an einem Stier. Der heutige Knirps unterscheidet sich kaum vom gestrigen Knirps, ausser das seine Mami noch immer vorhanden ist und dass es an Jahren jünger ist.

Angesichts seiner „Mamilosigkeit“ würde man denken, dass der gestrige Knirps auch verschwunden ist, da er ja in der Beziehung zu etwas existierte, das nicht mehr in dieser Form vorhanden ist. Aber dies scheint nicht das normale Schicksal gestriger Knirpse zu sein, denn man hört sie noch immer schreien „MAMI, ER HAT MICH GESCHLAGEN!“ (gerichtet an wer auch immer in Hörweite ist) „…und was zum Teufel wirst du tun?“ dieser Appell bleibt unbeantwortet und so streift er um den Sandkasten, zertritt die Sandschlösser anderer Knirpse und wird seinerseits geschlagen von ihren unerfüllten Erwartungen. Wird dies jemals enden? Kann es jemals enden?

Eine freie Wiedergabe von 1. Korinther, 13;11 tauchte als Antwort auf die letzte Frage auf:

„Als ich ein Knirps war, sprach ich wie ein Kniprs,
verstand ich wie ein Knirps, dachte ich wie ein Knirps; aber als ich ein Mensch wurde, legte ich die knirpsischen Dinge weg.“

The Dancing Grass

Der Weg hatte mich nun von der Knirps-Menagerie weg geführt in ein Gehölz das eine Wiese mit wehendem Gras umgab. Es war wunderschönes Gras, sobald die Luft still war, stand es aufrecht in seiner vollen Grasheit, gekrönt von langen eleganten Samentaschen, die in der späten Vormittagsonne reiften.

Als ich mich auf einer kleinen Bank niederliess, schob sich eine Wolke vor die Sonne und der Wind schlich sich in den Schatten und nahm seine Form an – als sanft wiegendes Gras und seine Stimme – ein Flüstern.

Das grüne Gras neigte sich in tiefer Resonanz und seine Stimme folgte in Übereinstimmung mit dem Wind, als diese „an Wind gewann“. Einige Samentaschen öffneten sich und die nun freien Samen leuchteten in den ab und zu durchbrechenden Sonnenstrahlen und verschwanden auf dem Weg des Windes; ihr Schicksal erfüllt. Der Wind änderte die Richtung, ohne Vorankündigung, ohne Warnung, Klang drehte sich selbst zu, und die Samentaschen wurden heftig in eine andere Richtung gepeitscht. Die langen, grünen Halme dämpften und absorbierten den Schock des Windwechsels – anstrengungslos nachgebend. Der Wind war das Gras und das Gras war der Wind. Keine Trennung. Harmonie. Stehend und nachgebend. Fliessend. In Bewegung. In Verbindung.

Auf der Bank sitzend, den Tanz von Wind-Gras betrachtend, fragte ich mich, wie viele von uns in ihrer „vollen Grasheit“ sind, aufrecht stehend, nachgebend, gebend, dem Gesang des Lebens Stimme zufügend.

Inzwischen begann es zu regnen, und der Wind wehte, wie Winde es tun und das Gras in seiner Grasheit war im Einklang mit dem Regen und der Tanz setzte sich fort, aufrecht stehend, nachgebend, dem Gesang des Lebens Stimme zufügend.

Sandburgen

Ich verliess die Bank und bewegte mich heimwärts. Der Spielplatz war jetzt leer. Der Regen hatte alle Knirpse und ihre Betreuerinnen auf die Suche nach einem Unterschlupf geschickt und löste nun die letzten noch stehenden Sandburgen auf, zusammen mit den Träumen, die sie gebaut hatten.

Warum baue ich Sandburgen und leide dann an ihrer Auflösung?
Warum brauche ich Sandburgen und das falsche Gefühl von Sicherheit, die sie bieten?

Könnte der Regen, der die Sandburgen auf dem Spielplatz auflöst, der selbe Regen sein, der die Sandburgen in meinem Kopf auflösen könnte? … Und warum nicht?

“Nichts bleibt für immer. Warum bestehst du darauf, dass es anders ist?”, flüsterte die freundliche Stimme des fallenden Regens.

Wovon mache ich Ferien?

Jetzt, da es Ferienzeit ist, habe ich aufgehört zu
– essen?
– trinken?
– schlafen?
Nein, ich denke nicht.
Habe meinen Namen in keiner Todesanzeige gesehen.

Jetzt, da es Ferienzeit ist, habe ich aufgehört
– mir Sorgen zu machen?
– niedergeschlagen zu sein?
– wütend zu sein?
– frustriert zu sein?
– verwirrt zu sein?
– Fantasien nachzujagen?
Nein, ich denke nicht. Habe bloss die Aufmerksamkeit von „Normal-Zeit-Dingen“ auf „Ferien-Zeit-Dinge“ verschoben.

Wovon mache ich also Ferien?

– von meinen Problemen?
– von meinem Unglück?
– von meinem Alleinsein?
– von meinem Partner?
Nein, ich denke nicht.

Manchmal sind die „vons“ da, auch wenn ich davon Ferien mache. Andererseits erinnern sie mich auch daran, warum ich überhaupt in den Ferien bin. Es macht die Ferien gewissermassen genussreicher, zu denken, dass ich nicht an die Dinge zu denken brauche derentwegen ich hier in den Ferien bin.☺

Die „vons“ scheinen immer vorhanden zu sein, wenn ich zurückkehre. Und wenn ich daran denke, habe ich sichergestellt, dass sie es in den Worten „Ferien von“ sind. Mit der Implikation, ich komme zurück.

Ok, ok, ich mache keine Ferien von – diesem oder jenem – oder beides. Ich mache Ferien – um.
Ja, ich mache Freien – um.
Um was?

Um meinen Geist zu klären?
Um eine neue Perspektive zu gewinnen?
Um mit der Wirklichkeit in Berührung zu kommen?
Um den Sinn des Lebens zu finden?
Um das Mysterium des Universums zu enthüllen?
Um den heiligen Gral zu finden?

Stopp, stopp, stopp, wovon ich wirklich frei werden muss, ist dieses konstante Gerede, dieses Wortspiel, dieser Lärm, dieses Hin- und Her; dieses soll ich und dieses soll ich nicht, dieses liebe ich und dieses nicht, dieses bin ich, dieses bin ich nicht, dieses und jenes, ich und mein, du und dein, wir und unseres, ihr und eures, schwarz und weiss, ying und yang.

Es regnete noch immer und die feuchte Luft trug den Duft der Sommerblüten in sich … Und ich, und ich habe diesen Duft beinahe verpasst, wegen der selbst erzeugten Fantasien, ausgelöst durch die selbstbezogene Frage: wovon mache ich Ferien?

Worte der Propheten

“Wer steif bleibt, ist schneller verletzt.”
wer-stief-bliebt
Wer steif bliebt…

Wie wahr das ist. Wir alle lernen dies in den frühen Schultagen im Sporttraining, im Turnen, in den Kriegskünsten, im Hatha-Yoga. Wir lernen es in unserer Körperarbeit, Massage, Akupressur-Ausbildung. Wenn der Körper steif ist, wenn er nicht wie das Gras ist, das sich im Wind biegt, wird er – wie das Gras, das sich nicht biegen will – brechen.

„Wessen Geist steif bleibt, ist schneller verletzt.“

Wie wahr das ist. Wir alle lernten in den frühen Schuljahren über verletzt sein, beleidigt sein, ausgelacht werden, beschimpft werden; und wir alle lernten zu verletzen, zu beleidigen, auszulachen und zu beschimpfen. Es hiess „Das gehört zum Heranwachsen“, mit der Implikation, dass man daraus heraus wächst. Aber für die meisten unter uns geht das Wachstum in Richtung subtilerer Verteidigung und Angriffe. „Ich werde nie mehr verletzt werden“, sagt das Ich zu sich selbst und stülpt sich seinen Panzer über und schäft seine Klingen. Es geht in die Welt und begegnet sich selbst bei jedem Schritt.

„In der Arena steht ein Boxer
und Kämpfer von Beruf.
Und er trägt die Erinnerung
von jedem Handschuh,
der ihn zu Fall gebracht oder geschnitten hat,
bis er schrie.
In seinem Zorn, in seiner Scham.
‘Ich gehe weg, ich gehe weg.’
Aber der Kämpfer bleibt zurück.“ *

“In the clearing stands a boxer,
And a fighter by his trade.
And he carries the reminders
Of every glove that laid him down
Or cut him till he cried out
In his anger and his shame.
‘I am leaving, I am leaving.’
But the fighter still remains.”

*Simon and Garfunkel – “The Boxer”

“Aber der Kämpfer bleibt zurück.” Warum?

Entscheidungen, Entscheidungen

Als ich neulich im Tram Nr. 14 unterwegs war, fiel meine Aufmerksamkeit auf ein Plakat, es hing an der Haltestelle “Berninastasse”.

Das Plakat zeigt eine Frau auf einem Sofa in einem geschmackvoll eingerichteten Raum, die ein Kind stillt, welches in halbwegs in einen Seidenschal eingewickelt ist.

Die Frau trägt ein rotes, sommerliches Partykleid mit passenden Sandalen. Ein massives Schmuckstück hängt an ihrem Hals. Eine Handtasche liegt auffällig auf einem Tischchen neben dem Sofa. Die Szene suggeriert, dass diese Dame mit Baby sich zu dieser Stillzeit wo anders befinden als zu Hause.

Auf einem orangenen Band am oberen Rand des Plakats springen die Worte – fett gedruckt, serif – herausfordernd dem Betrachter entgegen:

“Pflichtprogramm?
– oder Glücksmoment.”

pflichtprogramm
Pflichtprogramm oder…

Das Tram setzte sich rumpelnd in Bewegung und ebenso taten es die Gedanken über das Bild, und die Worte, die ich eben betrachtet hatte.

Ein Gedanke folgte auf den anderen, und ich fand mich in der Erinnerung an einige Worte des Dritten Patriarchen:

“Der Grosse Weg ist nicht schwierig,
für diejenigen, die keine Vorlieben haben.
Wenn Liebe und Hass beide abwesend sind,
wird alles klar und offenbar.
Mach jedoch die kleinste Unterscheidung,
und Himmel und Erde sind weit voneinander entfernt.”

Vertrauen in den Geist

Die Worte “Liebe und Hass” mit den Worten “Glücksmoment” und “Pflichtprogramm” zu ersetzten ist eine leichte Sache.

Alle Begriffe erzeugen ihren Gegensatz, das Denken bewegt sich zwischen den gegensätzlichen Polen hin und her und „Himmel und Erde sind weit voneinander entfernt.“

Das Tram hielt quietschend an, und meine Augen fanden das Plakat mit der Dame im roten Kleid, die ihr Baby stillt. Die Gedanken, niemals still, stellten die Frage: Wie wäre der Augenblick, in dem Mami alle Ideen über das “Mami-sein” fallen liesse und dem Baby an ihrer Brust in diesem “Baby-artigen” Zustand ohne Ideen begegnen würde?

Es ist nicht nötig, die Ideen über „wie man leben soll“ zu leben, wenn man das Leben lebt, ist es?

Es ist ein Katzenleben…

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