Freiheit Wieder Besucht

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Einleitung

Freiheit Wieder Besucht – Auf die Frage „Was ist es, das du in diesem Leben am meisten haben möchtest?“, würden viele wohl sagen: „Freiheit“. Wir alle möchten frei sein von Sorgen, frei von Angst, frei von Ärger, frei von ….etc. etc. Wir möchten alle frei sein, um dorthin zu gehen, wo wir hingehen wollen, um zu tun, was wir zu tun wünschen, um zu sein, was wir sein möchten. Um diese Wünsche zur Erfüllung zu bringen, streben wir nach Freiheit. Wir verbringen ein ganzes Leben damit, dem Aspekt von „um zu … “ nachzurennen und gleichzeitig vor dem Aspekt „von…“ davonzurennen. Aber diese Art von Freiheit ist eine Fata Morgana.

Es handelt sich dabei bloss um den Namen eines unserer vielen Gedankenspiele. Das unaufhörliche Seilziehen zwischen dem „Frei-um-etwas-zu-tun“-Team“ und dem „Frei-von-etwas“-Team ist unser Schicksal; so scheint es. Dieses Schicksal hat man selbst geschaffen, daran ist nichts vorbestimmt. Und weil diese Sache namens „Schicksal“ selbst-geschaffen ist, kann es selbstverständlich auch „ent-schafft“ werden. In den nachstehenden Artikeln wird das Thema „Freiheit“ beleuchtet von J. Krishnamurti, Freiheit, von H. Platov, Der Buddha im Gefängnis, und im Abhisanda Sutta, Das Schenken von Freiheit. Wie man sich denken kann, zeigt jeder Artikel eine andere persönliche Perspektive, und, wie man sich auch denken kann, spricht jeder doch von derselben Sache.

Krishnamurti über „Freiheit“

Du siehst einen Menschen, den du für glücklich hältst oder für geistig vollendet. Er tut etwas, und du, der du dieses Glück auch haben willst, imitierst ihn. Diese Imitation verkauft sich oft als Disziplin, nicht wahr? Wir imitieren das Verhalten eines anderen, um etwas zu erlangen, was dieser hat; wir kopieren etwas, um so glücklich zu sein, wie wir denken, der es andere ist.

Kann Glück durch Disziplin bzw. Nachahmung gefunden werden? Wenn man einer bestimmten Regel nachlebt, wenn man eine bestimmte Disziplin praktiziert, ist man dann frei? Um etwas Unbekanntes zu entdecken, muss man innerlich frei sein, nicht wahr? Ist man frei, wenn man seinen Geist in die Form eines bestimmten Weges oder einer vorgegebenen Disziplin bringt? Offensichtlich ist dem nicht so. Man ist bloss ein Roboter, der allem, was nicht ins Konzept passt, Widerstand leistet und der von bestimmten Verhaltensweisen abhängig ist. Freiheit kann nie und nimmer durch eine einschränkende Disziplin entstehen. Freiheit kann nur zusammen mit unserer innewohnenden Intelligenz in Erscheinung treten; und diese Intelligenz ist erwacht. Es ist die Intelligenz, die in dem Moment vorhanden ist, in dem man sieht, dass jegliche Form von Zwang oder Pflicht die Freiheit verleugnet, innen wie aussen.

Die erste Notwendigkeit, nicht als Disziplin, aber als Voraussetzung für das Wirken dieser Intelligenz, ist natürlich Freiheit, und nur innere Aufrichtigkeit* (engl. virtue)* kann diese Freiheit geben. Habgier zeugt von Verwirrung; dasselbe gilt für Zorn und Ärger oder Bitterkeit: nichts als Verwirrung. Wenn man dies durchschaut, ist man offensichtlich frei davon. Man leistet keinen Widerstand, aber man sieht deutlich, dass man nur in Freiheit das Wahre entdecken kann, und dass jede Form von Zwang der Freiheit widerspricht und deshalb zu keiner echten Entdeckung führen kann. Aufrichtigkeit* macht frei. Der unaufrichtige Mensch ist ein konfuser Mensch; wie kann man in Konfusion etwas sehen? Rechtschaffenheit ist somit nicht das Endprodukt einer Disziplin, vielmehr geht Rechtschaffenheit mit Freiheit einher und Freiheit kann durch keine Tat entstehen, die nicht aufrichtig ist, nicht wahr in sich selbst.

Unser Problem ist es, dass die Meisten so viel gelesen haben und schon so vielen verschiedenen Disziplinen gefolgt sind – am Morgen zu einer bestimmten Stunde aufstehen, in einer bestimmten Körperhaltung sitzen, den Geist in einer bestimmten Form zu halten versuchen – ihr kennt das, Praxis, Praxis, Disziplin. Denn es wurde euch gesagt, dass ihr, wenn ihr diese Dinge einige Jahre lang tut, am Ende Gott finden werdet. Meine Worte mögen ungehobelt sein, aber das ist die Basis unseres Denkens. Gott ist ganz sicher nicht so einfach zu haben, wie all dies klingt. Gott ist keine verhandelbare Angelegenheit: Ich tue dies und du gibst mir das dafür.

Aus: J. Krishnamurti „The First and Last Freedom“ , Kap. 20 „Time and Transformation“ 1

* Zum Begriff „virtue“ resp. Aufrichtigkeit:
Krishnamurti sagte: „Nur innere Aufrichtigkeit (engl. virtue) kann Freiheit geben.“ Das Wort „virtue“, das landläufig als „Tugend“ übersetzt wird, wird hier im Sinne von „Aufrichtigkeit“ bzw. „Rechtschaffenheit“ benutzt. Der folgende Dialog verdeutlicht den Zusammenhang zwischen Freiheit und dem, was Krishnamurti unter „virtue“ versteht.

Was heisst es, rechtschaffen zu sein?

Frage (F): Was heisst es, rechtschaffen zu sein? Was macht eine Tat richtig? Was ist die Grundlage der Moral? Wie verwirkliche ich Rechtschaffenheit, ohne darum zu kämpfen? Ist Rechtschaffenheit ein Selbstzweck?

Krishnamurti (K): Können wir uns von der Moral der Gesellschaft, die eigentlich recht unmoralisch ist, befreien? Diese Moral wird allgemein respektiert, durch Religionssysteme sanktioniert, und sollte eine Gegenrevolution eine andere Moral proklamieren, wird auch diese alsbald ebenso unmoralisch und salonfähig sein, wie diejenige der eingesessenen Gesellschaft. Diese anerkannte Moral beinhaltet Krieg, Mord, Aggression, Machtgelüste und gibt Hass einen Platz; sie umfasst die gesamte Grausamkeit und Ungerechtigkeit etablierter Autorität. Das ist nicht Moral. Aber können wir wirklich zugeben, dass es nicht Moral ist? Denn wir sind Teil dieser Gesellschaft, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht. Die soziale Moral ist unsere Moral; können wir sie ohne Weiteres ablegen?

Die Leichtigkeit, mit der wir sie beiseite legen ist das Merkmal unserer eigenen, intuitiven Moral – nicht die Anstrengung, die es uns kostet, sie abzulegen, nicht die Belohnung, nicht die Strafe, die auf diese Anstrengung folgt, ist entscheidend, sondern die vollkommene Selbstverständlichkeit, mit der wir sie ablegen. Wenn unser Verhalten von der Umgebung, in der wir leben, gelenkt, kontrolliert und geformt wird, dann ist es mechanisch und stark konditioniert. Wenn unser Verhalten das Abbild unserer eigenen konditionierten Reaktion ist, ist es dann moralisch? Wenn unsere Handlung auf Angst oder Belohnung beruht, ist sie aufrichtig? Wenn man sich richtig verhält, nur weil ein ideologisches Konzept oder Prinzip dies verlangt, kann dieses Verhalten dann als aufrichtig gelten? Es gilt herauszufinden, wie weit wir die Moral der Autorität, d.h. Nachahmung, Anpassung und den Gehorsam aufgegeben haben.

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Ist es Angst, die meine Moral bestimmt? Ohne dass man diese Fragen für sich selbst beantwortet, kann man nicht wissen, was es heisst, wirklich rechtschaffen zu sein. Wie gesagt, die Selbstverständlichkeit, mit man der Scheinheiligkeit entsagt, ist entscheidend. Wenn man die unfreiwillige Moral bloss ignoriert, heisst das noch nicht, dass man dies aus Aufrichtigkeit tut, man könnte auch einfach psychopathisch sein. Auch ein Leben der Routine und Zufriedenheit hat nichts mit Moral zu tun. Die Moral eines Heiligen, der einer gut etablierten Heiligen-Tradition nacheifert, ist ebenfalls nicht echte Rechtschaffenheit.

So kann man sehen, dass jegliches konformes Verhaltensmuster, sei es durch eine Tradition sanktioniert oder nicht, kein ehrliches, aus intelligenter Erkenntnis resultierendes Verhalten ist. Wahrhaftige Rechtschaffenheit entspringt nur der Freiheit. Gibt es die Möglichkeit, sich mit richtigem Tun aus dem Netz der allgemein gültigen Moral zu befreien? Nur mit Freiheit. Denn mit Freiheit kommt richtiges Tun und Aufrichtigkeit. Alle diese Begriffe bezeichnen Aspekte des aus der Stille wirkenden Geistes und sind nicht voneinander trennbar.

F: Kann ich mich selbst von der gesellschaftlichen Moral befreien ohne Angst; allein mit Hilfe der Intelligenz, die sich im rechten Tun manifestiert? Mich ängstigt schon die Idee, dass ich in der Gesellschaft als unmoralisch gelten könnte. Die Jungen können es tun, aber ich bin im mittleren Alter, habe Familie und in meinen Adern fliesst Respektabilität, die Essenz der Bourgeoisie. So ist es und ich habe Angst.

K: Entweder anerkennst du die gesellschaftliche Moral oder du lehnst sie ab. Du kannst nicht einen Fuss in der Hölle haben und den anderen im Himmel.

Robert (R:): In einer dualistischen Perspektive gibt es keine andere Option, entweder du anerkennst die gesellschaftliche Moral oder du lehnst sie ab. Das „du“ ist das „Ich“ des Fragenden. Dieses Akzeptieren oder Ablehnen pflegen wir ununterbrochen. Ist es nötig?

F: Was soll ich also tun? Ich sehe nun, was echte Moral ist und doch verhalte ich mich die ganze Zeit unmoralisch. Je älter ich werde, desto scheinheiliger werde ich. Ich verachte die gesellschaftliche Moral und doch will ich davon profitieren, will ihre Bequemlichkeit, ihre Sicherheit, psychologisch sowie materiell, und das hohe Ansehen einer guten Adresse. Das ist mein gegenwärtiger kläglicher Zustand. Was kann ich tun?

R: Das Wort „Ich“ kommt in diesem Abschnitt 8 mal vor. Jeder Satz zeugt vom seelischen Schmerz (Dukkha), von dem der Buddha so oft sprach. Der Schmerz, der geboren wird aus dem Konflikt zwischen Ideen, Meinungen. Kurz: Das Leiden eines unruhigen Geistes.

K: Du kannst nichts anderes tun, als so weiterzufahren, wie du bist. Es ist viel besser aufzuhören sich um Moral zu bemühen, aufzuhören sich um Rechtschaffenheit Sorgen zu machen.

R: Das Ich kann nicht mehr oder weniger sein, als es ist. Seine Ausweitung oder sein Schrumpfen wird von ihm gesteuert und überwacht. Nun, wenn man aufhören würde, zu versuchen „etwas zu tun“, wenn man „mit beiden Händen loslassen“ würde, was wäre man dann?

F: Aber das kann ich nicht, ich will das andere. Ich sehe die Schönheit, die Kraft und die Reinheit der Aufrichtigkeit! Das, woran ich festhalte, ist schmutzig und hässlich, aber ich kann es nicht lassen.

R: Richtig, du kannst es nicht, weil alle diese „Sorgen“ ein wesentlicher Teil des Dramas ist, das du „mein Leben“ nennst.

K: Dann gibt es nichts weiter zu sagen. Du kannst nicht Aufrichtigkeit und gesellschaftliche Respektabilität haben. Rechtes Tun kommt aus Freiheit. Freiheit ist keine Idee, kein Konzept. Wo Freiheit ist, ist Gewahrsein, und nur in diesem Gewahrsein kann echte Rechtschaffenheit blühen.

R: Der Zustand von Rechtschaffenheit/Freiheit liegt nicht im Bereich der Gedanken.

Aus J. Krishnamurti, The Urgency of Change `Morality’; Deutsch von A. Wydler Haduch

*

Sobald Fragen entstehen, entwickeln sie eine Eigendynamik.
Je mehr du weisst,
desto mehr musst du wissen.
Ram Tzu erkennt….
Alle Antworten zu haben bedeutet über alle Fragen hinauszugehen.

*

Der Buddha im Gefängnis

In der menschlichen Kultur kennt man verschiedene Wege, mit denen man versucht, an die sogenannte Wahrheit zu kommen. Am bekanntesten und ältesten sind der Weg der Wissenschaft, der Weg der Philosophie und der Weg der Religion. Diese drei Denkdisziplinen befassen sich alle mit den verborgenen Gesetzmässigkeiten unserer Daseinswelt.

Die ursprüngliche Bedeutung von Religion leitet sich ab vom lateinischen Wort „relegare“, was als „rückbinden“ übersetzt werden kann. Gemeint ist Besinnung bzw. Rückkehr zum geistigen Ursprung. Der Ursprung der menschlichen Existenz liegt natürlich in der Natur und dementsprechend ist auch das geistige Wesen nicht von der körperlichen Natur zu trennen.

Vom so verstandenen religiösen Standpunkt aus wird gesagt: Willst du die Wahrheit verwirklichen, dann kehre zurück zu deinem Ursprung, gehe an die Lebensquelle und lebe aus dieser Quelle heraus. Ein schönes Beispiel dafür findet sich im Neuen Testament, als Jesus an einem Brunnen auf eine Frau traf, die ihren Krug an diesem Brunnen mit Wasser füllen wollte. Im Gespräch mit dieser Frau sagte Jesus: “Ich kann dir Wasser geben, das deinen Durst für immer löscht.“ Wasser ist das Lebenselixier für alle Wesen; von welchem Wasser aber sprach Jesus? In einem Gespräch mit dem Rabbiner Nikodemus sagte Jesus: „Du sollst aus Wasser und Geist wiedergeboren werden.“ Im Buddhismus sagt man, man solle aus Wasser und Feuer wiedergeboren werden. Feuer ist ein Symbol für den Geist. So sagen beide Religionen dasselbe. Kehre zurück zur Quelle, zum Ursprung deines Lebens.

Interessant in diesem Zusammenhang ist auch die Aussage von Jesus: „Verbleibt in mir und ihr werdet die Wahrheit wissen und sie wird euch befreien.“ Mit „mir“ ist hier Christos, der Logos, gemeint, das Wort Gottes, das sich in Jesus verkörpert hat.

Im Buddhismus heisst es: „Erkenne deine Buddhanatur und du wirst durch dieses Erkennen, durch dieses Wissen, befreit sein von all deinen Irrtümern in deinem Handeln, Denken usw.“ Das Wissen deiner Buddha-Natur – nicht die Kenntnis deiner materiellen Natur, nicht die Natur des Alltagsmenschen – befreit dich von den irrigen Auffassungen über deine Existenz. Denn das, was uns von einem natürlichen, glücklichen Leben trennt, sind unsere Ideen und Auffassungen über richtig und falsch und all die Meinungen, die wir uns im Laufe unserer Entwicklung angeeignet haben.

Befreie dich von dir selbst, indem du dich an deinen Ursprung bindest! Binde dich zurück an dein wahrhaftiges Wesen und befreie dich von dem, was du dein Ich nennst, dein empirisches Ego!

Der Hinduismus sagt dasselbe auf seine Art: Wisse, dass dein Wahres Selbst eins ist mit Brahman, dem höchsten Geist. Erkenne das Wahre Selbst im Unterschied zu deinem falschen, fiktiven Selbst und du wirst befreit sein.

Aber das Merkwürdige oder Paradoxe an dieser Sache ist: Um in diesem Sinne befreit zu werden von sich selbst, muss auch der wahre Christos oder der Buddha befreit werden. Denn Christos, Buddha oder Buddhanatur sind menschliche Ideen und Konzepte, in denen die Wahrheit gefangen ist. Die Wahrheit ist dieselbe Wahrheit, ob wir sie nun Christos oder Buddhanatur nennen.

Macht man korrekte, richtige Meditation – also eine zur Erkenntnis führende Meditation und keine blinde Meditation, in der man sich willentlich in einen anderen Bewusstseinszustand versetzt – dann legt man sämtliche Namen zur Seite und hält sich an das, was keinen Namen hat. Das ist der Ursprung, im Zen auch das Urwesen genannt. Dieses Urwesen ist dasselbe in jedem Lebewesen.

Meditation bedeutet im stillen, klaren Gewahrsein zu verbleiben. Man schalte alles Persönliche aus, restlos alles, was mit der persönlichen Identität zu tun hat und weilt in diesem Zustand. Das ist das befreiende Verbleiben in der Wahrheit, von dem Jesus sprach.

Im Zen wird dieses Thema mit Hilfe eines Koans beleuchtet. (Ein Koan ist eine Problemstellung, die aus dem Leben stammt, und die nicht mit der logischen Denkfunktion aufgelöst werden kann.) Es besagt: Der Buddhas wurde von seinen Feinden in ein Gefängnis gesteckt. Der Gefängniswärter jedoch erkannte, dass der Buddha vollkommen unschuldig war und sagte zu ihm: „Deine Feinde haben dich hier eingesperrt, aber ich weiss, du bist unschuldig. Ich möchte dich befreien.“ Da sagte der Buddha zu ihm: „Wenn du das tust, dann werden meine Feinde auch deine Feine sein. Befreist du mich, wird man dich ins Gefängnis stecken.“

Aber der Gefängniswärter konnte den Gedanken, den Buddha unschuldig im Gefängnis zu sehen, nicht aushalten und befreite ihn. Die Problemstellung dieses Koans lautet: Wer sind die Feinde des Buddha (oder des Christos) in dir selbst? Zu sagen es gäbe keine Feinde wäre vollkommen falsch. Wer ist der Gefängniswärter, der erkennt, dass der reine Geist unschuldig ist, und der diesen Geist befreien will? Und wie befreit der Gefängniswärter den Buddha? Das Interessante daran ist, dass der Gefängniswärter, obgleich er natürlich frei ist zu kommen und zu gehen, durch seine Arbeit als Wärter gewissermaßen auch im Gefängnis ist. Deshalb: Befreit er den Buddha, befreit er sich selbst.

Im Neuen Testament findet man die Aussage: ”Wenn der Menschensohn nicht herausgelassen wird, wird die Menschheit nicht befreit werden.“ Sie findet sich im Zusammenhang mit dem Verrat an Jesus durch seinen Jünger Judas, dem sog. Judaskuss im Garten Gethsemane. Jesus und seine Jünger sahen vermutlich alle ziemlich ähnlich aus – Sandalen, weisses Gewand, lange Haare, Bart – und in der Dämmerung war es für die Römer deshalb nicht leicht, Jesus zu erkennen. Also sagte Judas zu den Römern: “Den, den ich küssen werde, der ist es”, und so wurde Jesus verhaftet.

Vorher hatte er sich jedes Mal entzogen, wenn man ihn fangen wollte, diesmal liess er es jedoch mit Absicht geschehen. Aus der Sicht der christlichen Mystik musste der menschgewordene Sohn Gottes „herausgeführt“ und seiner Bestimmung zugeführt werden. Wäre dem nicht so, gäbe es das lebendige Wort Gottes auf Erden nicht und damit auch keine Befreiung der Menschheit. Der Sohn Gottes war frei, wurde verhaftet, also herausgeführt, und dann gekreuzigt. Der Kreuzigung folgten drei Tage in der Unterwelt und dann die Auferstehung. So sieht man es im Christentum.

Im grossen Epos des Hinduismus, in der Bhagavad Gita, findet man dieselbe Idee. Hier ist es Krishna, der als Verkörperung der göttlichen Weisheit – also ein Christos-Typ – zu Arjuna sagt: “Du musst die Feinde bekämpfen, die dir gegenüberstehen“. Arjuna, der für die menschliche Seele steht, zögerte und wehrte sich dagegen, denn das feindliche Heer bestand aus seinen Verwandten, Bekannten und Freunden.

Wie konnte man diese als Feinde betrachten? Krishna verhalf Arjuna zur Einsicht, dass all das, womit er sich identifiziert, zum Feind des wahren Selbst wird. Wer seiner wahrhaftigen Identität nicht gewahr ist, weil er sich mit allem Möglichen um sich selbst und in sich selbst identifiziert, muss sich aus dieser falschen Identifikation befreien. Andernfalls gibt es keine echte Freiheit. Macht man richtige Meditation – also keine Meditation zum Selbstzweck – , dann erkennt man, dass all die Gedanken- und Gefühlsinhalte in einem selbst und alles, was sich im Aussen abspielt, einem im Wege stehen, zum wahren Selbst zu gelangen.

Man hört natürlich auch, dass der Meditationszustand ein Zustand des inneren Friedens sei, frei von jeglichem Kampf zwischen dem einen und dem anderen. Das stimmt, im wahrhaftigen Zentrum seiner selbst herrscht absoluter Friede. Aber um dieses Zentrum herum ist es nicht derartig friedlich, da bekämpfen sich die Gedanken und Gefühle, die mit der eigenen Existenz und dem, was einen umgibt, zusammenhängen.

Ob man es wahrhaben will oder nicht, es gibt einen Konflikt zwischen der persönlichen Identität einerseits und dem, was man das wahrhaftige wahre Selbst nennt, andererseits. Im Zen wird Letzteres als „Nicht-Selbst“ bezeichnet, weil das Wort „Selbst“ immer etwas Ich-Bezügliches hat. So unterscheidet man zwischen dem „Ich-bezüglichen Selbst“ und dem unpersönlichen, formlosen „Nicht-Selbst“.

Im buddhistischen Befreiungsprozess gibt es drei zentrale Begriffe bzw. Aspekte: Erleuchtung, Erwachen, Befreiung. Diese drei Begriffe haben dieselbe Bedeutung, werden aber manchmal unterschiedlich betont. Wird Erleuchtung betont, dann richtet sich das Streben nach der geistigen Erkenntnis. Die Betonung des Erwachens weist darauf hin, dass man sich gewöhnlich in einem Traumzustand befindet mit all den Vorstellungen, Auffassungen, Annahmen und Überzeugungen. Wenn man erwacht, sieht man die Wirklichkeit. Wird der Aspekt der Befreiung betont, geht es um die Loslösung von der persönlichen Identität, um in Freiheit von und in Harmonie mit der Reaität zu leben.

Man kann es auch so sagen: Der “Ich-Wille” muss abgesetzt werden, so dass ein höherer Wille übernehmen kann. Also nicht “Mein Wille” geschehe sondern “Dein Wille” geschehe. Dieser Wille ist ein anderer Wille als der Eigenwille, als der im Ego zentrierte Wille. Es ist der Wille einer anderen, nicht definierbaren Kraft und in echter Meditation kommt diese andere Kraft zum Zug.

Um auf das Bild des im Gefängnis festsitzenden Buddhas zurückzukommen: Es wurde gesagt, die Befreiung Buddhas befreie auch den Gefängniswärter. Aber wie befreit der Gefängniswärter den Buddha? Diese Frage stellt sich, ob man nun Buddhist ist oder Christ oder irgendeiner Schule des Hinduismus anhängt. Die Begriffe zu diesem Thema mögen verschieden sein, aber wie man es auch sagen will, vom Standpunkt der Religionen geht es immer nur um das Eine, nämlich um die Verbundenheit mit der fundamentalen, einen Wirklichkeit.

Wir leiten unsere persönliche Identität primär von unserem persönlichen Namen ab. Aber auch die Dinge um uns herum und die Inhalte unseres Geistes bekommen einen Namen und damit eine Identität. Die vielen verschiedenen Namen verleiten zur Annahme, dass es ebenso viele verschiedene Identitäten gibt. Da wir so in den Namen gefangen sind, leben wir in uns gespalten und von anderen getrennt und wissen nichts von dem Einen, das über alle Namen hinausgeht und namenlos ist. Aus diesem Grund wird einem in vielen Religionen beim Eintritt ein anderer Name gegeben. Mönche zum Beispiel bekommen einen spirituellen Namen, der nicht die Person, sondern ihren Geist betrifft. Ursprünglich sollte der geistige Namen auf das hinweisen, was keinen Namen hat, weil es ausserhalb von Zeit und Raum existiert.

Solange man auf dieser Erde lebt, d.h. in Raum und Zeit existiert, solange hat das empirische Ich eine Funktion. Doch wenn man in der Stille der Meditation verbleibt, dann durchdringt das Nicht-Selbst das empirische Ich. Somit bedeutet Meditation eine Rückkehr zum Ursprung und dann, von diesem Ursprung aus, eine Rückkehr zum alltäglichen Dasein. Das fundamentale Bewusstsein durchdringt die Inhalte des individuellen Bewusstseins und die Inhalte des persönlichen Bewusstseins stehen nicht in Opposition dazu. Man ist frei aus dem eigenen Gewissen heraus spontan zu denken und zu handeln. Auf diese Weise befreit man sich selbst aus dem Gefängnis, in das man sich selbst hineinbegeben hat. Gebt den erwachten, offenen Geist frei und befreit euch damit selbst.

Henry Platov Teisho 10. 7. 89 überarbeitet von A. Wydler Haduch

*

Ram Tzu hat eine Frage an Dich….

Wenn du dich selbst nicht definierst durch das, was andere von dir denken und
dich selbst nicht genau definierst durch das, was du von dir denkst:
Was bist du?

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Das Schenken der Freiheit

„Wenn ein Jünger der Edlen Weisen dem Nehmen von Leben abschwörend vom Töten absieht, schenkt er einer grenzenlosen Zahl von Lebewesen Freiheit von Gefahr, Freiheit von Feindseligkeit, Freiheit von Unterdrückung. Indem er einer grenzenlosen Zahl von Lebewesen Freiheit von Gefahr, Freiheit von Feindseligkeit, Freiheit von Unterdrückung schenkt, hat er Anteil an der grenzenlosen Freiheit von Gefahr, an der Freiheit von Feindseligkeit, an der Freiheit von Unterdrückung. Das ist das erste Geschenk, das erste grossartige Geschenk – echt, nachhaltig, altbewährt, uralt, unverfälscht seit Anbeginn – , das keinen Argwohn hervorruft, nie Argwohn hervorrufen wird und an dem weise Kontemplierende und Priester nichts Falsches finden.

Des Weiteren, indem er dem Stehlen abschwört, sieht ein Jünger der Edlen Weisen davon ab, etwas zu nehmen, was ihm nicht gegeben wird. Dadurch schenkt er einer grenzenlosen Zahl von Lebewesen Freiheit von Gefahr, Freiheit von Feindseligkeit, Freiheit von Unterdrückung. Indem er einer grenzenlosen Zahl von Lebewesen Freiheit von Gefahr, Freiheit von Feindseligkeit, Freiheit von Unterdrückung schenkt, hat er Anteil an der grenzenlosen Freiheit von Gefahr, an der Freiheit von Feindseligkeit, an der Freiheit von Unterdrückung. Das ist das zweite Geschenk, das zweite grossartige Geschenk ……

Ferner, indem der Jünger der Edlen Weisen dem unstatthaften Sex abschwört, vollzieht er keine unstatthaften sexuellen Handlungen. Dadurch schenkt er einer grenzenlosen Zahl von Lebewesen Freiheit von Gefahr, Freiheit von Feindseligkeit, Freiheit von Unterdrückung. Indem er einer grenzenlosen Zahl von Lebewesen Freiheit von Gefahr, Freiheit von Feindseligkeit, Freiheit von Unterdrückung schenkt, hat er Anteil an der grenzenlosen Freiheit von Gefahr, an der Freiheit von Feindseligkeit, an der Freiheit von Unterdrückung. Das ist das dritte Geschenk, das dritte grossartige Geschenk ……..

Und indem der Jünger der Edlen Weisen der Lüge abschwört, spricht oder handelt er nicht lügnerisch. Dadurch schenkt er einer grenzenlosen Zahl von Lebewesen Freiheit von Gefahr, Freiheit von Feindseligkeit, Freiheit von Unterdrückung. Indem er einer grenzenlosen Zahl von Lebewesen Freiheit von Gefahr, Freiheit von Feindseligkeit, Freiheit von Unterdrückung schenkt, hat er Anteil an der grenzenlosen Freiheit von Gefahr, an der Freiheit von Feindseligkeit, an der Freiheit von Unterdrückung. Das ist das vierte Geschenk, das vierte grossartige Geschenk ……..

Des Weiteren, indem er dem Gebrauch von Rauschmitteln abschwört, verzichtet ein Jünger der Edlen Weisen auf den Gebrauch von Rauschgiften. Dadurch schenkt er einer grenzenlosen Zahl von Lebewesen Freiheit von Gefahr, Freiheit von Feindseligkeit, Freiheit von Unterdrückung. Indem er einer grenzenlosen Zahl von Lebewesen Freiheit von Gefahr, Freiheit von Feindseligkeit, Freiheit von Unterdrückung schenkt, hat er Anteil an der grenzenlosen Freiheit von Gefahr, an der Freiheit von Feindseligkeit, an der Freiheit von Unterdrückung. Das ist das fünfte Geschenk, das fünfte grossartige Geschenk – echt, nachhaltig, altbewährt, uralt, unverfälscht seit Anbeginn – , das keinen Argwohn hervorruft, nie Argwohn hervorrufen wird und an dem weise Kontemplierende und Priester nichts Falsches finden.“

Auszug aus dem Abhisanda Sutta. Vom Pali ins Englische übersetzt von Thanissaro Bhikkhu, deutsch von A. Wydler Haduch.

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Dein Meister hat dir gesagt, der Weg ist zu sein,
ohne Fragen.
Jetzt willst du wissen, wie du das machen kannst?

Ram Tzu, Sackgasse

Dhyāna Winter 2011

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