Die Lehre vom Tao

Taoismus und Zen – Buddhismus

Historisch gesehen entwickelten sich die verschiedenen Schulen des Taoismus in China Seite an Seite mit dem Konfuzianismus. Obwohl die Taoisten oft zum Konfuzianismus in Opposition waren, bestand eine fruchtbare gegenseitige Beeinflussung. Ab dem ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung fasste auch der Buddhismus in China Fuss. Letzterer erlebte im vierten Jahrhundert eine Hochblüte. Fast sah es aus, als würde die vom indischen philosophischen Denken geprägte buddhistischen Lehre die von Magie und Riten geprägte, naturalistische Volksreligion verdrängen. Doch im Laufe der Zeit wurde der orthodoxe Buddhismus mehr und mehr eine Sache der gebildeten Elite und konzentrierte sich auf die Regierungszentren.

Als Gegenbewegung zu dieser Verstaatlichung bildeten sich fast unbemerkt kleine Zellen und Gemeinschaften, die einen neuen Weg einschlugen. Statt philosophischreligiöse Debatten zu führen und um möglichst hohe Anhängerzahlen zu buhlen, zogen sich einige Menschen aus den Städten zurück und besannen sich auf die alten Werte ihrer angestammten Weltanschauung. So kam es zur Verschmelzung von taoistischen und buddhistischen Elementen, welche um das achte Jahrhundert u.Z. schliesslich zu einer eigenen buddhistischen Richtung führte mit dem Namen Ch’an-Buddhismus. Wie der Name sagt, betonte diese Schule die Meditation. 

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Das aus der Heirat des chinesischen Taoismus mit dem indischen Buddhismus entsprungene Kind namens Ch’an erreichte seine Blüte in der Tang-Dynastie (618-907). Seine Nachkommen verbreiten sich in bis zum heutigen Tag in der ganzen Welt. Seine im Westen besser bekannte japanische Schwester hat den Namen Zen. Obwohl der Taoismus in allen Lebensbereichen Chinas Spuren hinterliess, seine eigentlichen Erben sind die Ch’an- bzw. Zen-Buddhisten. Dies lässt sich an einigen Grundsätzen und Lehrinhalten, welche dem Taoismus und dem Zen gemeinsam sind, leicht belegen: 

  • Das durch Meditation und Versenkung erreichte Wissen gilt mehr als rein theoretisches, konzeptuelles Wissen. 
  • Der Weg, Tao (jap. Do), führt zu einem intuitiven Erkennen, zur “Sicht in die Urnatur” bzw. zum “Erwachen zur eigenen Buddhanatur.” Denken und Nachsinnen führen nicht zum Ziel. 
  • Identische Bedeutung des taoistischen Begriffs Tao und des buddhistischen Begriffs Dharma als übergegensätzliches Prinzip. Beide werden auch als “Gesetz” und “Lehre” verstanden. In der Sprache der Sinnbildlichkeit erhalten sie das Prädikat “dunkel”.  
  • Das Prinzip der Leere: Die Urnatur aller Dinge, das Tao, ist Leere (Skrt. Shūnyatā, jap. Ku). Sie ist ohne Eigenschaften, nicht erfassbar, nicht in Worten auszudrücken. Es ist aber keine tote Leere, sondern schöpferische Leere, von der alle Existenzformen durchdrungen werden. 
  • Die Beherrschung der Atmung gilt nicht nur als Schlüssel zur körperlichen und geistigen Gesundheit, sie ist das Vehikel, das von der diesseitigen Welt der Gegensätze zur “jenseitigen” Welt der Übergegensätzlichkeit führt. 
  • Das Wissen um den subtilen Aspekt der Atmung als Ch’i bzw. Prana. 
  • Das Prinzip des Handelns ohne zu handeln (chin. Wu-Wei,) bzw. des Handelns ohne Absicht und ohne an Gewinn zu denken. (jap, Mushotoku ). 
  • Betonung der einfachen Lebensweise in ländlicher Umgebung. Trotzdem aktive Teilnahme am Leben. 

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Diese Prinzipien spiegeln sich auch in den folgenden drei Beispielen aus den Lehren des Zen, Taoismus und Buddhismus: 

Joshu fragte einmal seinen Lehrer Nansen: 

“Was ist Tao?” Nansen antwortete: “Tao ist der alltägliche Geist”. Joshu fragte: “Soll man danach suchen oder nicht?” Nansen antwortete: “Wenn du danach suchst, entfernst du dich davon.” “Wie kann ich dann den Weg kennen, wenn ich ihn nicht suche?” fragte Joshu. Nansen erwiderte: “Der Weg hat nichts zu tun mit Wissen und Nicht-Wissen. Wissen ist Illusion, Nicht-Wissen ist tote Leere. Wenn du wirklich das Tao des Nicht-Zweifelns gefunden hast, so ist es gleich der unermesslichen, grenzenlosen Leere des Alls. Wie kann man da von richtig und falsch sprechen?” Bei diesen Worten kam Joshu plötzlich zur Einsicht. 

(Koan-Sammlung Mumonkan, Fall 19)

Der Herr der gelben Erde wanderte ans Ende der Welt und schaute sich um. Auf dem Heimweg verlor er seine nachtfarbene Perle. Er schickte Erkenntnis aus, um seine Perle zu suchen und bekam nichts. Er schickte Analyse aus, um seine Perle zu finden und bekam nichts. Er schickte Logik auf die Suche nach seiner Perle, und bekam nichts. Schliesslich fragte er das Nichts” und das Nichts hatte sie! Der Herr der gelben Erde sagte: “Wie merkwürdig: Das Nichts habe ich nicht auf die Suche geschickt und es hatte die nachtfarbene Perle, ohne dafür etwas zu tun.” 

(Chuang-tzu: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland) 
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